Bundeswehr-Anzeige gegen Schüler produziert PR-Gau und stellt Schulbesuche der Jugendoffiziere in Frage

Mit Nachtrag und Anmerkungen | 31. 10. 2025 | Nach dem Besuch eines Bundeswehr-Jugendoffiziers in einer Freiburger Schule hat die Bundeswehr Berichten zufolge einen kritischen Schüler angezeigt. Die Polizei ermittelt wegen Beleidigung gegen ihn. Das Verteidigungsministerium dementiert die Anzeige des Schülers durch die Bundeswehr. 

Ein Schüler des Freiburger Angell-Gymnasiums postete nach dem Besuch eines Bundeswehr-Jugendoffiziers eine satirisch-kritische Bildcollage (Meme) auf Instagram. Darin steht ein stilisierter Mann mit Maschinengewehr vor einer Projektion des Themas des Vortrags des Jugendoffiziers: „Demokratie verteidigen – aber wie?“. Darunter steht, mit der Anmutung eines Zitats des Gewehrträgers: „Also Kinder, wer von Euch würde gerne an der Ostfront sterben?“

Kritisches Meme eines Freiburger Schülers anhand eines Posts von Dritten auf X. Für die Originaltreue keine Gewähr.

Daraufhin wurde der Schüler, wie der Nachrichtenblog jugend.info und die Informationsstelle Militarisierung (IMI) berichten, von der Bundeswehr wegen Beleidigung angezeigt. (Hinweis: Das wird dementiert; siehe Nachtrag unten.) Gegen den Schüler wurde ermittelt. Der Schüler sei von der  Polizei vorgeladen worden, die Eltern als Zeugen ebenfalls.

Auf meine Medien-Anfrage vom 30. Oktober, ob es zutreffe, dass die Bundeswehr einen Freiburger Schüler wegen Beleidigung angezeigt habe, antwortete eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums, eine Beantwortung bis 12 Uhr am 31.10., wie erbeten, sei nicht realistisch. Man werde mir die Antwort so schnell wie möglich zukommen lassen. Ich werde diese nachreichen(Siehe Nachtrag unten).

Nachtrag 17:40 Uhr: Die Schule stellt den Vorfall gegenüber dem Blogger Alexander Wallasch gänzlich anders dar. Danach ging es gar nicht um dieses Meme, sondern um ein verfremdetes Foto des Bundeswehroffiziers mit NS-Bezug. 

Der Schuldirektor soll personenbezogene Daten an die Bundeswehr weitergeleitet haben. Außerdem habe er dem Schüler Schulverweis angedroht.

Die Anzeige scheint keine Kurzschlussreaktion eines übereifrigen Offiziers gewesen zu sein. Der Schüler hatte schon vor dem Besuch eine Schülerzeitung gegründet, in der er zum Protest gegen den Vortrag des Jugendoffiziers in der Schule aufrief. Die Abteilung für „Militärische Sicherheit“ der Bundeswehr sei vor dem Schulbesuch eingeschaltet worden, um zu prüfen, wie mit Störaktionen umgegangen werden solle, und ob ein Besuch an dieser Schule sinnvoll sei.

Eine Unterstützergruppe für den Schüler hat sich gebildet. Sie ruft zu Spenden zur Prozessfinanzierung auf. Auf den digitalen Medienplattformen gibt es sehr viel Kritik am Vorgehen der Bundeswehr.

Die Anzeige, so sie sich bestätigt, straft einen älteren Werbespruch der Bundeswehr Lügen, in dem es hieß: „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst.“

Bundeswehr-Werbebanner mit der Aufschrift: "Wir Kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst. Mach was wirklich zählt."
Bundeswehr-Werbung

Das Ermittlungsverfahren gegen den Schüler erweckt den Eindruck, dass es dabei vor allem um Einschüchterung von Kritikern der Bundeswehr und der Militarisierung geht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem bekannten Beschluss von 1995 geurteilt und danach mehrmals bekräftigt, dass die Verwendung des drastischen Tucholsky-Zitats „Soldaten sind Mörder“ vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist, wenn es sich um eine allegmeinpolitische Aussage handelt, die nicht gegen eine konkrete Person gerichtet ist. Um eine solche Meinungsäußerung handelt es sich bei dem Meme des Schülers offenkundig.

Schuldirektoren, Schulämter und kommunale Gremien müssen sich unter solchen Umständen fragen und fragen lassen, ob sie es verantworten können, die Bundeswehr in Schulen auftreten zu lassen. Lehrer sind gefordert Stellung zu beziehen und Zivilcourage zu zeigen.

Nachtrag (15:15 Uhr): Antwort des Verteidigungsministeriums

Die Antwort des Verteidigungsministeriums auf meine Frage, ob es zutrifft, dass die Bundeswehr einen Freiburger Schüler wegen Beleidigung angezeigt hat, lautet:

„Die Vorgesetzten des betroffenen Mitarbeiters, die laut §77a des Strafgesetzbuches für die Bundeswehr berechtigt sind, einen Strafantrag zu stellen, haben in diesem Fall keinen Strafantrag gestellt. Über die Einzelheiten eines möglichen anderen strafrechtlichen Verfahrens, das aus anderen Gründen von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wurde, kann das Bundesministerium der Verteidigung keine Aussage treffen. Um es also ganz klar zu sagen: Die Bundeswehr als Institution hat keine Strafanzeige bzw. keinen Strafantrag gegen einen Schüler gestellt.“ .

§77a bestimmt, dass bei Straftaten gegen Soldaten der Vorgesetzte zu einem etwaigen Strafantrag berechtigt ist. Da Beleidigung ein „Antragsdelikt“ ist, das nur auf Antrag des Geschädigten, bzw. im Fall von Soldaten von dessen Vorgesetzten verfolgt wird, müsste „Beleidigung“ nach dieser Darstellung als Tatvorwurf gegen den Schüler ausscheiden.