Ein Insider beschreibt, wie sich Organisationen der „Zivilgesellschaft“ für Militär und Geheimdienste als Zensoren betätigen

16. 07. 2024 | Auf den Nachdenkseiten ist ein sehr interessanter Beitrag des australischen Aktivisten für digitale Rechte, Andrew Lowenthal erschienen. Weil die führende Rolle des Militärs beim Kampf gegen angebliche Desinformation und Hassrede noch nicht annähernd bekannt genug ist, will ich einen Auszug des Textes hier wiedergeben, der sich mit diesem Thema befasst.

Auszug aus Andrew Lowenthals Beitrag „Die Rolle der NGOs „im Kampf gegen Desinformation“ – Ein Insiderbericht“

„Besonders war ich mir nicht über den Umfang und das Ausmaß der Arbeit von Gruppen wie dem Atlantic Council, dem Aspen Institute, dem Center for European Policy Analysis und Beratungsunternehmen wie Public Good ProjectsNewsguardGraphika, der Media Forensics Hub an der Clemson Universität und anderen bewusst.

Noch alarmierender war, wie viel militärische und geheimdienstliche Finanzierung involviert ist, wie eng verbunden die Gruppen untereinander sind und wie stark sie sich in die Zivilgesellschaft einmischen. Graphika erhielt zum Beispiel einen Drei-Millionen-Dollar-Zuschuss vom Verteidigungsministerium sowie Gelder von der US-Marine und -Luftwaffe. Der Atlantic Council (berüchtigt für sein Digital Forensics Lab) erhält Mittel von der US-Armee und den Marines, von den Firmen Blackstone, Raytheon, Lockheed und dem NATO STRATCOM Center of Excellence und anderen.

Wir haben lange Zeit klar zwischen „zivil“ und „militärisch“ unterschieden. Aber in der „Zivilgesellschaft“ gibt es jetzt eine Vielzahl von militärfinanzierten Gruppen, die sich vermischen, ja miteinander verschmelzen und eins werden mit denen, die sich für Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten einsetzen. Graphika arbeitet auch für Amnesty International und andere Menschenrechtsaktivisten. Wie passen diese Dinge zueinander? Welche moralischen Grenzen verschwimmen hier?

E-Mails von Twitter zeigen eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Militär- und Geheimdienstbeamten und „Elite-Progressiven“ aus NGOs und der akademischen Welt. Unterschriften wie „they/them“ (Pronomina für Personen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, Anm. d. Übers.) mischen sich mit E-Mail-Endungen wie .mil, @westpoint, @fbi und anderen. Wie kam es dazu, dass das FBI und das Pentagon, einst die erklärten Feinde der Progressiven für ihre Angriffe auf die Black Panthers und die Friedensbewegung, ihre Kriegstreiberei und ihre übermäßige Finanzierung, mit ihnen zu verschmelzen und zu kollaborieren begannen? Sie treffen sich bei Planspielen zu Wahlen und teilen Häppchen bei Konferenzen, die von Oligarchen-Philanthropen organisiert werden. Diese kulturelle und politische Verschiebung hätte einst einen großen Bruch dargestellt, aber jetzt ist es so einfach geworden, wie sich gegenseitig bei E-Mails in „cc“ zu setzen.

Noch schlimmer ist es, dass Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes im Bereich der digitalen Rechte gelobt werden. 2022 nahm US-Außenminister Anthony Blinken prominent an der RightsCon teil, der größten Konferenz im Bereich der digitalen Rechte (eine Veranstaltung, die EngageMedia 2015 auf den Philippinen mitorganisierte – Blinken erschien damals nicht). Blinken leitet das Global Engagement Center (GEC), eine der wichtigsten US-Regierungsinitiativen gegen Desinformation (siehe #TwitterFiles 17), und wird nun beschuldigt, seine eigene Desinformationskampagne im Zusammenhang mit dem Hunter-Biden-Laptop initiiert zu haben – die „russische Informationsoperation“ unterzeichnet von 50 ehemaligen US-Geheimdienstlern.

Vormalige Gegner sind jetzt durch viele Verbindungen und Allianzen, von der Terrorismusbekämpfung über die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus bis hin zu „Minority Report“-artiger Polizeiarbeit im Alltag, wie zu einem gemeinsamen Netz versponnen.

Ich habe auch unterschätzt, wie offen viele Organisationen sich für die Überwachung von Narrativen aussprachen, die manchmal sehr offensichtlich vom Kampf gegen Desinformation in den Bereich der Überwachung von abweichender Meinung abdriftete. Das Virality Project der Stanford University empfahl, dass Twitter „wahre Geschichten über Impfnebenwirkungen” als „Standard-Fehlinformation auf Ihrer Plattform“ klassifiziert werden, während das Algorithmic Transparency Institute von „zivilem Mithören” und „automatisierter Datensammlung” aus „geschlossenen Messaging-Apps” sprach, um „problematische Inhalte” zu bekämpfen, d.h. von der Ausspionierung einfacher Bürger. In einigen Fällen war das Problem schon im Namen der NGO selbst erkennbar – das Automated Controversy Monitoring beispielsweise betreibt „Toxicity Monitoring” (Schädlichkeitskontrolle) zur Bekämpfung von „unerwünschten Inhalten, die Sie stören”. Es geht nicht mehr um Wahrheit oder Unwahrheit, es geht nur noch um die narrative Kontrolle.

Regierungen und philanthropische Oligarchen haben die Zivilgesellschaft kolonialisiert und werben jetzt für Zensur, wobei sie Denkfabriken, die akademische Welt und NGOs als Handlanger nutzen. Wenn man das den Kollegen sagt, schließen sich jedoch die Reihen, um ihre Regierungs-, Militär-, Geheimdienst-, Big-Tech- und Milliardärs-Gönner zu schützen. Das Feld wurde gekauft. Es ist kompromittiert. Das anzuprangern ist nicht willkommen. Wenn Sie das tun, werden sie sehr schnell aussortiert.“

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