Verbraucherschützer protestieren gegen Digitalzwang im Verkehr

16. 09. 2024 | Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), europäische Verbraucherschützer und weitere Verbände appellieren an Bundesregierung, Bahn und öffentliche Verkehrsunternehmen, niemanden durch die Digitalisierung des Ticketverkaufs von Bus- und Bahnreisen auszu­schließen. Ähnliche Appelle gab es bereits von anderen Verbändekoalitionen, doch Bahn und Verkehrsminister geben sich bisher hartleibig.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat heute die Forderungen an die Regierung veröffentlicht, die die deutschen Verbraucherschützer zusammen mit dem Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz, dem Verkehrsclub ACE, dem Fahrgastverband Pro Bahn, dem Bundesjugendring, Digitalcourage und einigen weiteren Vereinen und Verbänden veröffentlicht haben. Die Verbraucherschützer bemängeln:

„Die Deutsche Bahn AG (DB) und andere Verkehrsunternehmen des öffentli­chen Personenverkehrs fordern beim Verkauf von Tickets und anderen Produk­ten wie der BahnCard zunehmend Kundenkontaktdaten wie E-Mail-Adresse o­der Mobilfunknummer ein. Einige Fahrkarten und Produkte werden nur noch di­gital und gar nicht mehr oder nur stark eingeschränkt an Automaten oder Schal­tern verkauft. Insbesondere die preisreduzierten und deshalb für Verbrau­cher:innen mit kleinem Geldbeutel attraktiven Tickets werden an die Heraus­gabe von Daten geknüpft.“

Damit würden Verbraucher ausgeschlossen, vor allem ältere Menschen, die seltener das Internet nutzen, aber auch Personen, die aus finanziellen, sozialen, gesundheitlichen, behinderungsbedingten oder persönlichen Gründen keinen digitalen Zugang haben oder diesen nicht nutzen möchten.

Die Verbraucherschützer berichten, dass nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland etwa fünf Prozent der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren offline sind. Mit zunehmendem Alter steige die Zahl derjenigen, die weder das Internet nutzen noch ein Smartphone besitzen. Sie gaben auch eine repräsentative Umfrage in Auftrag, unter anderem mit folgendem Ergebnis:

„Digitalisierung ohne Alternative widerspricht den Wünschen der Verbraucher:in­nen: So stimmen 96 Prozent der Teilnehmenden einer repräsentativen Befra­gung im Auftrag des vzbv im Sommer 2024 der Aussage voll und ganz oder e­her zu, dass auch Menschen ohne Internetzugang oder Smartphone Zugang zu allen Angeboten im öffentlichen Personenverkehr haben müssen.“

Der erste Protestbrief einer Allianz von Interessenvertretern der Alten, Behinderten, Verbraucher und Arbeitnehmer von Mai richtete sich unter dem Titel „Bahnfahren ohne Digitalzwang“ noch an den Vorstandsvorsitzenden der Bahn. Erfreulicherweise ist die Lernkurve der Verbände, die lange geschlafen haben, recht steil. Der aktuelle Protest richtet sich an die Politik, auch wenn er sehr schonend die Verantwortung der Regierenden für die zwangsweise Digitalisierung des Ticketkaufs im öffentlichen Nah- und Fernverkehr beschreibt:

„Die Politik darf nicht länger untätig zuschauen, sondern muss handeln, wenn der Bahnvorstand einen Teil der (potenziellen) Fahrgäste dauerhaft vor die Tür setzen will. Der vzbv und die mitzeichnenden Verbände fordern, unverzüglich dafür zu sorgen, dass Tickets bei der Deutschen Bahn auch ohne Herausgabe von personenbezogenen Daten erhältlich sein müssen.“

Das untertreibt deutlich die Verantwortung der Regierung, denn die Zwangsdigitalisierung wird von dieser nicht untätig hingenommen, sondern aktiv betrieben, vor allem vom anti-liberalen Minister für Digitales und Verkehr, Volker Wissing. Dieser nutzt nicht nur seinen Einfluss auf die Bahn für seine Digitalzwang-Agenda, sondern er subventioniert auch Projekte im öffentlichen Nahverkehr, bei denen die Möglichkeit der Barzahlung abgeschafft wird. Auf Wunsch Wissings dürfen Verkehrsunternehmen das 49-Euro-Ticket nicht mehr in Papierform ausgeben. Die Chipkarte als einzige verbleibende Alternative zum vorherrschenden Vertrieb des Deutschlandticket via App bieten nur manche Betriebe und Verbünde an. Wer also kein hinreichend modernes Smartphone besitzt, kommt dank Wissings Hang zum Smartphone-Zwang nur noch schwer an das günstige Deutschlandticket.

Vor kurzem hat ein aus 20 Verbänden, Gewerkschaften, Parteigliederungen und anderen Vereinen bestehendes Bündnis Bahn für Alle eine Petition gegen dieses Treiben verfasst, die sie Wissing auf der Verkehrsministerkonferenz am 9. und 10. Oktober übergeben will, zusammen mit den gesammelten Unterschriften. Auf der Netzseite des Bündnisses kann man die Petition unterschreiben und möge das bitte, wenn man das Ziel teilt, auch tun.

Verkehrsminister und Bahn geben sich hartleibig und lassen die wiederholten Proteste der vielen Verbände bisher an sich abprallen. Die Bahn rechtfertigt den Zwang zur Angabe einer Mailadresse oder Mobilfunknummer beim Ticketkauf im Reisezentrum mit der dummdreisten Ausrede, das brauche man für den Service, die Käufer auf Fahrplanänderungen hinzuweisen. Eine Rechtfertigung dafür, dass der QR-Code auf Papier für das Deutschlandticket und Semestertickets für Studenten nicht mehr als Fahrschein anerkannt wird, wird nicht einmal versucht. Das einzige Zugeständnis, dass man die BahnCard doch weiter ersatzweise auf Papier ausdrucken kann, stammt von März, bevor die Verbände öffentlich aktiv wurden. Mutmaßlich spielten die Berichte, mit denen ich die geplante rein-digitale BahnCard skandalisierte eine Rolle. Man wird sehen müssen, ob der FDP ihr Desaster bei den Landtagswahlen und ihre miserablen Umfragewerte genug Warnung sind, um ihren freiheitsfeindlichen Minister an die Kandare zu nehmen, oder ob wir warten müssen, bis sie in einem Jahr aus dem Bundestag und der Regierung fliegt, bis die Zwangsdigitalisierung des Verkehrs aufhört.

Mehr

Heuchelei geht weiter: Auch grüner Bahn-Aufsichtsrat Gelbhaar tut so, als hätte er mit dem Digitalzwang nichts zu tun
10. 07. 2024 | Wie Nadine Heselhaus, Sprecherin der SPD-Fraktion für Verbraucherschutz, tut auch der grüne Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar, der im Aufsichtsrat des Bundesunternehmens sitzt, so, als könnte er nichts gegen den Digitalzwang unternehmen, den die Bahn ausübt, und den er – angeblich – ablehnt.

Bahn-Eigentümerin Bundesregierung wäscht Hände in Sachen Smartphonezwang durch die Bahn in Unschuld
5. 07. 2024 | In der Bundestagsdebatte über digitalen Verbraucherschutz am 4. Juli war der Smartphonezwang Thema, den die Bahn ausübt, indem sie die BahnCard seit einem Monat nur noch für das Smartphone ausgibt. Die Union hatte die Regierung in einem Antrag aufgefordert, dafür zu sorgen, dass das rückgängig gemacht wird.

Beim Deutschlandticket führt die Regierung scheibchenweise den Smartphone-Zwang für alle ein
8. 05. 2024 | Henry Mattheß. Das von vielen im Nah- und Fernverkehr genutzte Deutschlandticket wird seit 1. Mai nicht mehr in Papierform, sondern nur noch auf einem Handy oder als Chipkarte akzeptiert. Die Ausgabe von Chipkarten liegt im Ermessen der Anbieter, sodass vielerorts ein Handyzwang besteht. Die Stellungnahme der Verantwortlichen zur Diskriminierung von Millionen Menschen ohne Smartphone grenzt an Verhöhnung. Doch es hat sich gezeigt, dass man ihnen erfolgreich Dampf machen kann.

Falsche Auskunft vom FDP-Abgeordneten und Bahn-Aufsichtsrat Bernd Reuther zu Sparpreistickets
21. 02. 2024 | Ein Leser hatte Bahn-Aufsichtsrat Bernd Reuther gefragt, warum er unterstützt, dass die Bahn keine Sparpreistickets ohne digitale Datenspur mehr abgibt. Er antwortete, dass man nach Auskunft der Bahn solche Fahrkarten im Kundenzentrum auf Papier ausgedruckt und ohne E-Mail-Adresse bekommen könne. Das ist irreführend.

Bahn lenkt ein: BahnCard wird doch nicht rein digital
13. 03. 2024 | Mit einem Beitrag vom 23. Februar und einigen Folgebeiträgen habe ich skandalisiert, dass die Deutsche Bahn Menschen ohne Smartphone vom Kauf der BahnCards ausschließen will und vom Kauf von ProbeBahnCards bereits ausschließt. Außerdem habe ich die politisch Verantwortlichen genannt. Heute nun hat die Bahn in einem Kundenrundbrief angekündigt, dass Menschen ohne Smartphone ein „Ersatzdokument“ auf Papier bekommen können.

Machtmissbrauch und Arroganz des Bahnmanagements gegenüber den Kunden
13. 03. 2024 | Wenn sich die ohnehin leidgeprüften Bahnkunden darüber beschweren, dass der Staatsmonopolist sie zwingen will, sich ein Smartphone anzuschaffen und die datenschutzrechtlich sehr umstrittene App DB Navigator zu nutzen, bekommen sie eine Antwort, die an herablassender Arroganz kaum zu toppen ist.

Bahn diskriminiert hemmungslos Alte und Datenschutzaffine und die Ampel nickt das ab
23. 02. 2024 | Bei der Bahn fallen alle Hemmungen in Sachen Digitalisierungszwang. Wer Bahn fahren will, ohne Premium-Preise zu bezahlen, muss ein Smartphone nutzen und wird – auf mutmaßlich rechtswidriger Weise – genötigt sich mit dem DB Navigator gegenüber Google und weiteren Datenkraken nackig zu machen. Die Ampel-Aufsichtsräte des Staatsmonopolisten nicken diese Diskriminierung von Menschen ab, die kein persönliches digitales Überwachungsgerät kaufen oder bedienen können oder wollen.

Bahn schließt analog Lebende von bezahlbarem Bahnfahren aus
30. 09. 2023 | Die Bahn verkauft ab Oktober auch an physischen Verkaufsstellen Fahrkarten zum Sparpreis nur noch gegen Angabe eines Namens und einer Handynummer oder E-Mailadresse. Der Staatsmonopolist begründet die Maßnahme zur besseren Überwachung der Bewegungen seiner Kunden verlogenerweise damit, dass er diese besser über den Reiseverlauf informieren wolle.

Print Friendly, PDF & Email