Leserbriefe zu „Richtigstellung!“ (Teil 2): Mein Einwand und Replik von Michael Ballweg

 

Geehrte Herren,

ich möchte als Erstes auf zwei maßgebliche Schriften hinweisen, welche die Grundfragen der Technologisierung umfänglich behandeln.

  • „Die Technologische Gesellschaft“ von Jacques Ellul, veröffentlicht im Jahr 1954, ISBN 9780394703909. Leider nie auf Deutsch erschienen, glücklich ist wer fließend Französisch lesen kann. Ansonsten ist die englische Übersetzung absolut empfehlenswert.
  • „Die Industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“ von Theodore Kaczynski, veröffentlicht im Jahr 1994. Deutsche Übersetzungen u.a. von Lutz Dammbeck finden sich im Buchhandel oder als PDF auf archive.org und anderen Stellen im Internet. Das englische Original kann ich dringend zur Lektüre empfehlen.
  • Ältere und originär deutsche Werke wie „Die Perfektion der Technik“ von Friedrich Georg Jünger nehmen ebenfalls Bezug auf zahlreiche Ideen der beiden erstgenannten Werke, sind aber häufig zu theoretisch und schwer verständlich formuliert, um einen praktischen Nutzen ziehen zu können.

Im Wesentlichen geht von einflussreichen Technologien eine stärkere Macht zur gesellschaftlichen Veränderung hervor als aus den Gesellschaften selbst. Die Gesellschaften beugen sich also den neuen Techniken, statt in der Lage zu sein die Techniken an die wirklichen Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen.

Es gilt der Grundsatz, dass alles technisch Mögliche früher oder später auch umgesetzt wird. Schritt für Schritt werden auch zunächst aus gutem Grund eingeschränkte Techniken erst verboten, dann in der Nutzung gelockert und schließlich vollständig freigegeben. In welcher Geschwindigkeit dies geht, und wie völlig machtlos die Bevölkerung dem gegenüber steht, kann jeder selbst nachprüfen indem er in eine Suchmaschine seiner Wahl nach dem Satz „Ich kann Ihnen in aller Klarheit sagen, dass wir diesen Unfug nicht mitmachen“ sucht im Zusammenhang mit Nacktscannern und dem damaligen Innenminister Schäuble.

Was 2008 noch unverstellbare Demütigung der Menschen vor Maschinen war, ist heute Normalität und wer nicht mitmacht gilt als zu beseitigender Querulant der nicht mitfliegen darf und als ein Hemmnis des Systems. Ich bin Mitte der 2010er Jahre seit Langem wieder einmal mit dem Flugzeug geflogen. Als Einziger in einer sehr langen Schlange forderte ich eine normale Kontrolle statt dem Nacktscanner. Vor dem Scanner stand ein großes Schild, dass der Scanner absolut freiwillig sei.
Die Bundespolizei wurde hinzugerufen und ich musste mich, um den Flug nehmen zu können, vor einem Bundespolizisten komplett entkleiden inklusive Bücken und Hoden anheben. Dem Bundespolizisten war dies nicht besonders angenehm, er sagte aber dass diese Sonderbehandlung gewünscht sei, sodass der Nacktscanner zwar freiwillig sei aber jeder ihn nutzen „wolle“. Heute ist auch diese Freiwilligkeit nicht mehr gegeben. Die Menschen laufen mit erhobenen Händen wie Neuankömmlinge in einem Lager durch die Maschine, entblößen sich vor der Mikrowellenstrahlung und machen eben mit.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, von völlig alltäglich gewordener digitaler Überwachung der Geldverwendung aller Einwohner im Land (Stichwort „Kontenabruf“) über das Einspritzen von Bestandteilen genmanipulierter Organismen in die Körper der Mehrheit aller Einwohner im Land („Impf-Spritze“) und den de-facto-Zwang, ein Mobiltelefon mit einem System von einem von zwei US-amerikanischen Großkonzernen zu verwenden (Apple oder Android-basiert), um noch ein normales Leben führen zu können. Die Vonovia als eines der größten Wohnungsunternehmen ermöglicht nicht einmal mehr den Zugang zum Kundenportal über einen Browser, es muss die „App“ auf einem „Smartphone“ sein.

Herr Ballweg begeht den gravierenden Fehler, mögliche Annehmlichkeiten während kurzer Übergangszeiten bei der Einführung neuer Techniken mit der Gesamtauswirkung ebenjener Techniken zu verwechseln. Klar, Sie können heute (noch) ein Blog eröffnen und einige Leute erreichen. Allerdings bleibt Ihnen heute kaum mehr eine andere Möglichkeit, da Sozialkontakte bereits jetzt weitgehend zum Erliegen gekommen sind. Wo es früher jedem Bürger offenstand, beim Stammtisch seine Meinung an zahlreiche Zuhörer kundzutun, gibt es heute doch kaum noch derartige Restaurants und stattdessen fast nur noch Lieferdienste für die vereinsamten Wohnungsinsassen und Grillbuden mit Straßenverkauf.

Und ja, das Internet hat Kommunikation über große Strecken, gar weltweit, ermöglicht, aber der allergrößte Teil dieser Übertragungsvolumen entfällt heutzutage auf Computerspiele, einsamen Pornokonsum und sozial degeneriertes TV-Serien-Streaming.

Zudem werden Hostingmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt und noch viel schneller als Sie mit einer Webseite theoretisch weltweit jeden erreichen können, haben die Suchmaschinen ihre Zensurmechanismen ausgebaut. Schon heute tauchen viele Suchergebnisse in der Google-Suche gar nicht mehr auf.

Eine weitere Bedrohung, die auch schon eingesetzt wird, ist das Überfluten mit KI-generierter Systempropaganda. Ich investiere zum Schreiben dieses Leserbriefs wertvolle Zeit für ein paar Zeilen. In der Zwischenzeit spuckt ein ChatGPT auf Wunsch Millionen und Milliarden Nachrichtenartikel, Blogbeiträge und Leserbriefe aus, mit der meine Worte einfach überflutet und weggeschwemmt werden aufs Nimmerwiedersehen.

ChatGPT weigert sich bereits heute, regierungskritische Essays zu verfassen mit Hinweis, dass Regierungen etwas Gutes und stets im Sinne der Bürger agieren würden.
Die von Herrn Ballweg vorgeschlagene Lösung wäre nun vielleicht, einen eigenen ChatGPT-Klon zu entwickeln. Dies ist aber aus ressourcentechnischen Gründen unmöglich und wird immer Produkten von Großkonzernen wie ChatGPT/OpenAI etc. hinterherhinken und somit nichts bringen. Zudem hätte auch dann die Technik gewonnen und nicht der Mensch, da Sie ihre Zeit damit verbringen würden eine bereits bestehende Technik einfach nachzubauen, anstatt darüber entscheiden zu können ob Sie sie überhaupt haben möchten.

Hier kommen wir zum Kern des technologischen Probems: Technik kennt keine Sinnfrage, hat aber maximale Macht. Sie ist vielmehr in ihrer Gesamtheit die Menge aller Methoden zum Erreichen maximaler Effizienz. Somit ist Technik maximal mächtig, da Sie per Definition jene Methoden bietet, mit denen das Meiste aus gegebenen Ressourcen herausgeholt werden kann. Egal ob zwei Ideologien oder zwei Länder gegeneinander ankämpfen – es gewinnt stets jener Akteur, der die „fortschrittlichste Technik“ besitzt.

Heute lassen sich große Textmengen am effizientesten mit einem generativen Computermodell erzeugen statt mit einer großen Anzahl von Journalisten und Schreiberlingen. Also werden diese großen Textmengen zukünftig von generativen Computermodellen erzeugt. Als Mensch und erst recht als Privatperson haben Sie gar keine – null, 0 – Chance, dagegen anzukommen. Bis Sie eine Webseite aufgebaut und ein paar Artikel veröffentlicht haben, hat ein ChatGPT schon das halbe deutschsprachige Internet druckbetankt. Und wenn Sie nun auch auf diese Technik setzen um vermeintlich mithalten zu können, dann sind Sie in diesem Moment Teil des Systems geworden und helfen sogar mit, es noch stärker zu machen. Indem Sie sich am Ringen um die technologische Vorherrschaft beteiligen, werden Sie einfach ein weiterer Akteur der eine menschenverachtende Technik noch stärker macht.

Die Tatsache, dass nur ein verschwindend geringer Bruchteil von Menschen überhaupt in der Lage ist, z.B. einen Webserver zu mieten und eine selbst gehostete Webseite aufzusetzen, möchte ich hier gar nicht erwähnen.

Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem System ist nötig, und zwar eine solche, die NICHT auf der Gedanken- und Argumentationswelt des Systems aufbaut.
Vielmehr ist für eine echte Veränderung eine Auseinandersetzung auf Basis jener Argumente erforderlich, die grundsätzlich inkompatibel zu den Anforderungen des Systems sind. Es ist grundsätzlich menschenverachtend und mit unserem Selbstverständnis als Menschen unvereinbar, wenn man die Teilnahme am sogenannten gesellschaftlichen Leben oder auch einzelnen seiner Facetten von der Nutzung irgendwelcher Geräte oder gerätebasierten Techniken abhängig macht.

Aus diesem Fundamentalprinzip folgt z.B. automatisch die Bewahrung von Bargeld als einzigem allgemeinen Zahlungsmittel, das überall anerkannt zu werden hat, und vieles andere auch (keine subventionierten Handy-Tickets für den ÖPNV, keine QR-Codes mit Impfzertifikaten usw. usf.).

Ich bin selbst Akademiker und vom Fach, und daher weiß ich umso besser dass jegliche Teilnahme am System eben das ist, was sie ist: Teilnahme und Unterstützung.
Es gibt einige Leuchtturmprojekte wie Signal, die vielleicht verschlüsselte Kommunikation erlauben. Dafür aber degeneriert die Gesellschaft durch ebenjene Projekte (von den Entwicklern ungewollt!) in eine Gesellschaft, die ohne solche Dienste dann völlig aufgeschmissen ist und verlernt hat, auch mal ohne Handy Kontakte zu knüpfen.

Sehen Sie sich doch mal die Großproteste der 1980er und frühen 1990er Jahre an. Sowohl die Proteste in der DDR zum Mauerfall als auch die Proteste gegen den Flughafenausbau in Rhein Main, gegen die Stationierung von Atomwaffen und gegen Atomkraftwerke haben Größenordnungen mehr Demonstranten angezogen, als die Freiheitsdemos zur Coronazeit je in der Lage waren – obwohl die Menschen bei den Freiheitsdemos sehr direkt und sehr persönlich betroffen waren. All dies war ohne Internet möglich. Heute würde ohne Internet nicht einmal mehr eine regionale Kleindemonstration zu Stande kommen. So hat sich die Gesellschaft geändert und ist durch ebenjene Techniken degeneriert und abhängig geworden.

Wer ein Navi am Smartphone verwendet, kennt den Effekt. Klar, das Navi ist eine tolle Sache. Aber nach einer Zeit kann man nur noch schwerlich oder gar nicht mehr mit einer echten Karte navigieren, hat die eigene Positionsbestimmung verlernt und merkt sich auch kaum mehr die zurückgelegte Strecke.

Wer heute noch an die Möglichkeiten zur Vernetzung durch moderne Kommunikationsmedien glaubt, der braucht sich doch nur ein Mal das gruselige Bild einer Haltestelle oder ÖPNV geben. Da stehen scharenweise Menschen, jeder mit Stöpseln im Ohr und mit fixiertem Blick auf einen Bildschirm, völlig isoliert. Das einst die Welt verbindende Internet hat zu völliger sozialer Atomisierung geführt und sehr starker Sucht. Die allermeisten Menschen wissen doch heute gar nichts mehr in ihrer Wohnung und mit ihrer eigenen Zeit anzufangen, wenn mal der Strom für längere Zeit ausfallen würde und keine Bildschirme und kein Internet verfügbar sind.

Wie Jacques Ellul sagte: Technik ist verlockend, da sie auf den ersten Blick Vorteile bietet. Zunächst sieht es so aus, als mache sich der Mensch die Technik zum Untertan. Mittel- und langfristig macht sich aber die Technik den Menschen Untertan, er muss sich ihr anpassen und kann nicht mehr ohne sie. Mit steigender Geschwindigkeit technischer Entwicklung werden wir Menschen immer mehr wie Sklaven, die nur noch den neuen Erfordernissen der Technik hinterherhecheln und uns auf Biegen und Brechen ihr anpassen müssen.

Wo in den 1960er Jahren eine Ausbildung reichte, um als Alleinverdiener vielleicht sogar ein kleines Haus am Stadtrand finanzieren zu können, braucht es heute zwei Vollzeitbeschäftigte, die bis zum Rentenalter wie kleine Schülerchen dem Konzept des „Lebenslangen Lernens“ huldigen müssen, um die Mietwohnung in der Stadt zu bezahlen.

Die Erfindung des Kopierers hat nicht zu weniger Arbeit geführt, sondern zu noch mehr Papierverbrauch und noch mehr Gesetzen, Verordnungen und Prozessen, die immer mehr fotokopierte „Nachweise“ einfordern. Diese gesellschaftlichen Änderungen wie das andauernde Einfordern irgendwelcher „Nachweise“ durch Staat und Unternehmen sind erst durch die Technik des Kopierens möglich geworden.

Lieber Herr Ballweg, Sie sollten dringend zunächst grundsätzliche Fragen stellen, statt Hals über Kopf ins Geschehen stürzen und an dem großen Irrgang in Richtung der technologischen Dystopie teilnehmen zu wollen.

Der geniale Essay „Hit where it hurts“ (Deutsch: „Zuschlagen, wo es am meisten Schaden anrichtet“) von Dr. Kaczynski bringt es auf den Punkt.

Mit besten Grüßen,

Ari Saphir

Lieber Herr Häring, lieber Herr Ballweg,

mit großem Interesse und sehr gemischten Gefühlen habe ich Ihre Diskussion verfolgt und auch die bisherigen Leserbriefe dazu. Ich kann Ihre Standpunkte beide gut verstehen.

„Digitalisierung“, also die zunehmende Durchdringung des alltäglichen Lebens der Menschen mit Computernetzwerken, Datenbanken und mobilen Endgeräten, hat, wie alle zivilisatorischen Techniken, positive wie negative Seiten.

Auf der einen Seite sehe ich eine dystopisch anmutende Entwicklung in Richtung allgegenwärtiger Überwachung und zentralisierter, automatisierter Kontrolle und Steuerung des Verhaltens jedes einzelnen Menschen. Ich sehe auch die Gefahr der zunehmenden Verdummung an deren Endpunkt eine abgestumpfte Masse an „überflüssigen“ Menschen steht die sich nur noch dem Konsum trivialer, schriller (und zunehmend von KIs produzierter) Aufmerksamkeits-„Kultur“ hingibt.

Auf der anderen Seite sehe ich freie Software, alternative Medien und Kommunikationsplattformen (Signal, Telegram, das WWW), die nicht nur diesem Trend entgegenwirken, sondern tatsächlich neue Freiheiten eröffnet haben. Man sollte nicht vergessen, dass es vor 30 Jahren praktisch unmöglich war, Nachrichtenkanäle und Diskussionsplattformen mit einer großen Anzahl von Lesern/Zuschauern aufzubauen, ohne große Mengen an Kapital zu investieren. Ich würde behaupten, dass es die heutige alternative Gegenöffentlichkeit ohne Internet nicht geben würde. Ebenso wenig sollte man vergessen, dass viele Aspekte unsere modernen Zivilisation ohne vernetzte Computer-Steuerung inzwischen kaum noch denkbar sind: Transport, Fabriken, Energieversorgung, aber auch Wissenschaft und Verwaltung. Ich weiß wovon ich spreche, weil ich seit Jahrzehnten im Bereich der automatisierten Steuerung von (wissenschaftlichen) Anlagen arbeite.

Es ist also ein Dilemma. Wir werden, realistischerweise, eine weitere Digitalisierung nicht gänzlich aufhalten und schon gar nicht zurück rollen können. Und niemand will die vielen Möglichkeiten die durch das Internet entstanden sind aufgeben, trotz aller damit verbundenen Gefahren.

Auf der anderen Seite muss man anerkennen, dass auch Verweigerung ein politisch wirksames Mittel sein kann, wenn sie von genügend vielen Menschen ausgeübt wird, die bereit sind, hierfür ein gewisses Maß an Unbequemlichkeit in Kauf zu nehmen. So wie Kriegsdienstverweigerung zum Beenden von Kriegen beitragen kann, so kann auch Digitalisierungsverweigerung dazu beitragen, bestimmte unerwünschte Entwicklungen vielleicht nicht zu verhindern, aber zumindest zu bremsen und/oder in eine bessere Richtung zu lenken.

Man kann Monopolisten wie Amazon und Google boykottieren (weniger bequem aber es gibt genug Alternativen), einer digitalen Gesundheitsakte widersprechen, und weiterhin Bargeld benutzen, wo immer das möglich ist. Ich werde auch in Zukunft ausschließlich freie Software (basierend auf Linux und Google-freiem Android) benutzen, Verschlüsselung dort wo es ratsam erscheint (z.B. private Dinge mit Signal statt per E-Mail), zur Anonymisierung Tor und VPNs verwenden, und der Überwachung im Internet durch Nutzung diverser Browser-Plugins (uMatrix, uBlock) entgehen.

Ebensowenig wie ich mir keine als Impfung getarnte experimentelle Gentherapie spritzen lasse, springe ich auch nicht auf jeden neuen Trend im digitalen Bereich auf, und ich kann vor allem jüngeren technik-affinen Leuten nur dringend raten, sich nicht von scheinbar bequemen Angeboten verführen zu lassen. Man sollte sich das lange und gründlich anschauen und nur (und erst) dann mitmachen, wenn die Vorteile klar überwiegen und die Sicherheit überzeugend demonstriert ist. „Digitale Assistenten“ oder „Smart Home“ Geräte und dergleichen mehr kommen mir nicht in meine 4 Wände!

Dezentrale digitale Währungen habe ich noch nicht ausprobiert, finde die Idee jedoch faszinierend und denke sie hat durchaus revolutionäres Potenzial. In der aufkommenden multipolaren Weltordnung kann ich mir einen gleichberechtigten Platz für solche Währungen im Prinzip vorstellen. Aber, lieber Herr Ballweg, bitte kein Bitcoin: das ist eine sehr schlechte Idee wegen der ungeheuren Energieverschwendung die damit zwangsläufig verbunden ist. Es gibt inzwischen genug Alternativen die auf Proof-of-Stake statt Proof-of-Work basieren, zum Beispiel TON-Coin (https://ton.tg/), und die auch deutlich schneller und besser skalierbar sind.

Weniger radikal, vielmehr als direktes Gegenkonzept zu den momentan diskutierten CDBCs angelegt, ist der GNU Taler. Das ist keine Blockchain und auch keine eigene unabhängige Währung, sondern ein zentralisiertes digitales Bezahlsystem bei dem die Käufer (garantiert) anonym bleiben, die Geldempfänger aber nicht. Ein spannender und gut verständlicher Vortrag (auf Deutsch) findet sich unter https://taler.net/en/news/2022-08.html . Ich würde mir viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Projekt wünschen, vielleicht können Sie beide einen Teil dazu beitragen.

Ben Franksen

Sehr geehrter Herr Häring, sehr geehrter Herr Ballweg,

im Grunde erscheint mir ihre Kontroverse schon von der Realität überholt. Jedoch will ich trotzdem mit dem dezentralen Konzept von Herrn Ballweg anfangen. Das gefällt natürlich gut, doch müßte er eigentlich merken, daß es kaum realisierbar ist. Schon die Tatsache, daß er eine Mail-Verschlüsselung als unabdingbar ansieht, zeigt doch die Grenzen auf. Das funktioniert nur, wenn sich beide Seiten beteiligen. Wenn es schon auf dieser individuellen Ebene schwierig wird, wie sollen dann gesellschaftliche Gruppen über dezentrale digitale Strukturen zusammengebracht werden?

Die Erfahrung durch Querdenken mag Herrn Ballweg optimistisch stimmen, doch wird er vermutlich nie wieder die Aufmerksamkeit von so vielen Leuten bekommen, die sich vernetzen und engagieren wollen. Das wird dann alles schnell recht kleinteilig.

Wenn man z.B. die Einführung eines digitalen Euro schon als gegeben ansieht, wie sollen sich die Menschen von den damit absehbaren Zumutungen befreien?
Ich will nicht zurück zu Pferdekutschen, schon alleine, weil ich keine Pferde mag. Allerdings betrachte ich mein Leben mit Smartphone nicht als höherwertiger, als das davor. Ich habe auch nichts gegen eine andersartige Organisation des Internets, doch kann ich das hohe Lied auf die Digitalisierung nicht mehr hören. Wir sind doch schon längst an einem Punkt angelangt, an dem sich die Technik gegen den einzelnen richtet. Beispiele gefällig?

Ich habe zwei Monate und etwa dreißig Versuche benötigt, um mittels Internet einen Termin für die Umschreibung meines Führerscheins, für Kraftfahrzeuge, nicht für Droschken, zu erhalten. Ein befreundetes Ehepaar ist einfach analog zu einem Amt gefahren, von dem ich gar nichts wußte, und hatte alles in einer halben Stunde erledigt.
Für Asylbewerber ist es in einigen Bundesländern schon Realität, daß sie statt Geld Karten bekommen, die die Bezahlung bestimmter Waren oder Dienstleistungen ausschließt.

In Hamburg haben sich diverse soziale Einrichtungen beschwert, weil ihre Klientel dank Digitalisierung keinen Zugang mehr zu den Ämtern bekommt.
Ähnliches hörte ich von einem Bürgergeldbezieher aus NRW, dem mitgeteilt wurde, daß jetzt alles total praktisch über eine APP läuft (Bitte suchen sie uns nicht auf bzw. Vorsicht, Bürger!). Er hat gar kein Smartphone und kann es sich natürlich auch nicht leisten.

Gestern kam ich in den Genuß meines ersten E-Rezepts. Früher mußte ich zwanzig Minuten in der Praxis warten bis der Arzt das Rezept unterschrieben hatte. Jetzt bekomme ich mein eigenes Rezept nicht mal mehr zu sehen, sondern muß mit der Versichertenkarte in die Apotheke. Obwohl ich zwischenzeitlich vorsorglich noch einkaufen gegangen bin, konnte die Apothekerin dann kein Rezept auf meiner Karte finden. Also kann ich heute nochmal mein Glück versuchen. Und wie zu lesen war, soll nach der Vorstellung unseres obersten Gesundheitsdigitalisierers künftig KI als dritte Kraft ins Arzt-Patienten-Gespräch integriert werden.

Letztes Jahr hatte ich einen kurzen Aufenthalt in einem Universitätsklinikum. Dort gab es kein WLAN, sämtliche Computersysteme der Klinik waren offline, da deren Netz Wochen zuvor gehackt wurde. Interessanterweise konnten Ärzte und Pflegepersonal ihre Arbeit auch ohne die neueste Wunderwelt der Technik leisten. Wo man doch ohne dies angeblich quasi hinter dem Mond lebt.

Also, nichts gegen andere, bessere Strukturen im Digitalbereich. Aber das System ist schon dabei, sich mittels Digitalisierung gegen die Bevölkerung zu immunisieren und da hilft m.e. nur noch Sand ins Getriebe zu schaufeln. Und ein Rückschlag wird analog kommen oder gar nicht.

Mit freundlichen Grüßen

T. Seng

Sehr geehrter Herr Dr. Häring!

Die o.g. Replik stimmt das ewig gleiche Lied von den Fortschrittsverweigerern an, darum möchte ich schon etwas dazu schreiben. Es reicht schlichtweg nicht, Bedenken gegen die immer rascher und intensiver vorangetriebene Digitalisierung stets mit dem platten Argument, man wolle nicht zurück ins Mittelalter, abzutun. Dazu steht zuviel auf dem Spiel, und dieses Argument kann genau genommen gar nichts.

Sicher, man benutzt keine Pferdekutschen mehr. Man putzt sich aber auch nicht mehr mit radioaktiver Zahnpasta die Zähne. Es scheint das ständig gleiche Muster zu sein: zuerst wird eine Technologie auf Biegen und Brechen und mit vielen Heilserwartungen eingeführt-und dann muss korrigiert werden.

Wie das vonstatten gehen soll, wenn wir uns von dieser Technologie vollkommen abhängig gemacht haben (und da liegt imho das größte Problem, selbst wenn es die anderen Probleme nicht gäbe)-keine Ahnung. Schon jetzt verlieren und verlernen wir (essentielle!) Fähigkeiten und Möglichkeiten in erschreckendem Tempo, wird auf Teufel komm raus an die KI delegiert.

Und in Wahrheit existiert die Trennung zwischen analog und digital nicht. Alles ist analog. Ohne Strom und Infrastruktur IRL gibt es das Digitale nicht. Es ist purer Machbarkeitswahn, sich hier eine neue Welt zusammenzubasteln, die Maschine beherrschen zu wollen. Es ist btw auch purer Machbarkeitswahn, sich alle fünf Jahre neu zu erfinden.

Es ist sehr wichtig, gewisse Bereiche eben nicht auf Nimmerwiedersehen dem Digitalen zu überlassen.

Wie gesagt, meine Meinung zu dieser Replik-ist halt nur die einer mittelalten weißen Frau.

Mit freundlichen Grüßen

P. Eder

Sehr geehrter Herr Häring,

ich begreife tatsächlich auch nicht diese Digitalisierungs-Hoffnungsaufbruchstimmung vieler Menschen. Woran ist „aufstehen!“ gescheitert – wenn nicht an dem Digitalhoffnungsglauben, woran sind diePiraten zugrunde gegangen. und gerade habe ich es wieder mit dieBasis erlebt. Tatsache bleibt und ist: im Digitalen gibt es immer wenigstens einen Admin, der wie die Spinne im Netz sitzt. Eine Einzelperson oder Kleinstgruppe, die ALLE Fäden des (Sub-)Systems in der Hand hat – kaum kontrollierbar ist aufgrund deren Fachwissens und leicht zu verbergenden bzw. zu kaschierenden Strukturschaffungen und Systementwicklungen. Eine Person oder kleine Gruppe die leicht installiert werden kann oder unterwandert oder unter Druck gesetzt werden kann. Eine Person oder Gruppe, die Informationsweitergabe verzögern oder „vergessen“ kann, die Reaktionen auf aktuelle Vorgänge ausbremsen, unsichtbar machen kann, die Einblicke in das Gesamtgeschehen hat, Abstimmungen, „Konsensierungen“ manipulieren kann, Anweisungen, Geldströme manipulieren und lenken kann, Meinungen unterschlagen oder ausblenden kann, …

Darüber hinaus stammen die meisten von den Systembildnern genutzten „Tools“ aus Großkonzern-Software-Schmieden, oft genug mit Backdoors ausgestattet, und dann setzt das ganze System auf Technologie und Infrastruktur auf, die von Konzernen, von Superreichen, von Regierungen, von Gierigen und abhängig Beschäftigten geschaffen, bessesen, gelenkt und kontrolliert wird.

Digitalisierung als Weg zur Selbstermächtigung ist wirklich ein naiver Traum. Wie Sie schrieben führt Digitalisierung eher zur Weltferne, zum Surrogat-Leben, zur sozialen Deprivation, zum Rückzug aus dem Lebendigen, Echten, Zusammenhängenden, Realen.

Wir leben in einer Zeit mit immer noch ungebrochenem Fortschritt-durch-Technik-Glauben, ja, Wohlfahrt-EINZIG-durch-Technik-Gauben, gefühlt dem güldenen „Technoparadies“ unmittelbar nahe – und das, obwohl mehr und mehr unübersehbar und unleugenbar ist, wie Technik mehr und mehr nur noch dazu eingesetzt wird, schädliche TECHNIKFOLGEN einzudämmen.

Wir sind als Menschheit auf einem sagenhaften Irrweg – und leider könne auch Querdenker und Vordenker das auch nicht immer erkennen. Ballweg ist leider falsch orientiert mit seiner Digital-bringt-Hoffnung-Gläubigkeit. Bei einem Interview auf der Karlsruher Demo letztens sagte Ballweg, dass er an einem Digital-Projekt arbeite und all seine Kräfte drauf richte, durch das man von den Digitalkonzernen unabhängig werden könnte – was für eine naive, einäugige Vorstellung. Digitaltechnik ist immer auf Technik und Infrastruktur der Herrschenden angewiesen. Hat immer Hintertüren, ist immer undurchsichtig und in der Hand weniger Profis, die undurchsichtig und verschleiert arbeiten können. Vielleicht sieht ein Ballweg mehr als ein völliger Laie – aber auch ein Ballweg sieht nicht alles und muss auf Dritte vertrauen, auf Software vertrauen, auf Chips vertrauen, …

Je mittelbarer, vermittelter unser Leben eingerichtet ist, je mehr wir auf undurchsichtige Strukturen, auf fernstehende Vermittler, auf fragwürdige, fremdbestimmte Kanäle und Verbindungen, auf blinden Glaube und Vertrauen gegenüber unsichtbaren, versteckten, unerkennbaren, ja unkennbaren „Vermittlern“, Personen und Gruppen angewiesen sind – umso ausgelieferter sind wir auch.

Vielen Dank für Ihre kritische Rezeption und Rezession des Buches von Ballweg.

MfG

A. Storz

Print Friendly, PDF & Email