Nicht nur als Investor, Kreditgeber, Rohstoffkäufer und Exporteur macht sich China in Afrika und Asien breit. Auch Anbieter von mobilen Zahlungsdienstleistern, zuvorderst Alibaba und Tencent mit den Diensten WeChat und Alipay, expandieren kräftig. Sie gehen Kooperationen mit afrikanischen Banken und Zahlungsdienstleistern wie dem kenianischen M-Pesa ein. Das ermöglicht es Händlern, Zahlungen in der chinesischen Währung Yuan einfach und preisgünstig vorzunehmen. Wenn Zahlungen von und an chinesische Adressen verbreitet genug sind, kann dieses Angebot die Dominanz des Dollars für internationale Zahlungen in Afrika gefährden. Denn wenn Kunden wissen, dass sie leicht einen Händler finden, der Yuan braucht, um Importe aus China zu bezahlen, dann können sie auch Yuan akzeptieren, wenn sie selbst gar keine China-Kontakte haben.
Andere Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem in Asien, darunter in Indien und Pakistan, sind ähnlich umkämpft zwischen den USA und China und deren Zahlungsdienstleistern.
Dem chinesischen Vordringen wollen die USA etwas entgegensetzen. Das mit Abstand beste Vehikel, das anzugehen ist Facebook. Denn Facebook hat mit WhatsApp und Facebook Messenger in fast allen Ländern die dominierenden Messenger-Dienste, die sich gut für Massen-Zahlungsverkehrsdienste eignen. In Afrika bietet Facebook einen kostenlosen Zugang zu einer Basisversion des Internets über das eigene soziale Medium an. Für Millionen Afrikaner ist Facebook dadurch Synonym für das Internet.
Diesen Hintergrund für das Libra-Projekt sollte man im Hinterkopf haben, wenn man das Getöse um die Zulassung und Regulierung von Libra in den Industrieländern richtig einordnen will.
Allerdings hat die Konkurrenz mit China das Projekt einer amerikanischen Social-Media-Währung wohl nur beschleunigt. Gekommen wäre es auch so, denn es fügt sich ein in die in Teil 1 beschriebene Kampagne der „finanziellen Inklusion“, also der möglichst engen Bindung eines möglichst großen Teils der Weltbevölkerung an ein US-dominiertes Zahlungsverkehrssystem. Diese Dominanz soll von den internationalen Zahlungen auf die innerstaatlichen Zahlungen in möglichst vielen Ländern ausgeweitet werden.
Das Weißbuch der Libra Association, mit dem das Libra-Projekt beschrieben wird, deutet den Fokus auf Entwicklungsländer durchaus an, und das Ziel, deren Bevölkerung im US-dominierten Finanzsystem zu halten. Die Libra Association nutzt den Begriff Finanzielle Inklusion und schreibt weit vorne und prominent:
„Trotz dieses Fortschritts sind große Teile der Weltbevölkerung immer noch benachteiligt: 1,7 Mrd. Erwachsene weltweit sind nach wie vor vom Finanzsystem ausgeschlossen, haben also keinen Zugang zu einer herkömmlichen Bank, obwohl zwei Drittel von ihnen ein Mobiltelefon mit Internetzugang besitzen.
Marcel Thum und Stefan Eichler von der TU Dresden haben im ifo-Schnelldienst beschrieben, warum Libra für Bürger von Entwicklungsländern attraktiv sein kann:
„„In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wird die Zentralbank als verlängerter Arm der Regierung missbraucht, was zu Inflation, Währungsabwertung und realer Entwertung von Sparvermögen führt. Mit der Libra könnten sich die Bürger dieser Art der finanziellen Repression entziehen.“
Bei einer starken Verbreitung der Libra würde die offizielle einheimische Währung immer seltener verwendet, fügen sie hinzu und beschreiben, warum das für die betreffenden Regierungen ein Problem ist. Der Aufsatz heißt: „Libra – Totengräberin für gescheiterte Währungen“. Tatsächlich dürfte Libra dort besonders schnell erfolgreich sein, wo es besonders schlechte Währungen gibt. Eine Währung wird allerdings mit jedem Erfolg stärker, weil sie um so attraktiver ist, je mehr Menschen und Unternehmen sie nutzen. Als nächstes könnten die US-Unternehmen mit ihrer neuen Währung daher Länder mit mittelschlechter Währung aufrollen und dann auch Länder, deren Bürger mit ihrer Währung bis dahin ganz zufrieden waren.
Ein zweiter wichtiger Angriffspunkt sind Heimüberweisungen von Migranten. Diese sind sehr teuer, auch weil sich viele Finanzinstitute aufgrund der von den USA angeführten Kampagne gegen Geldwäsche aus diesem Geschäft zurückgezogen haben. Hier kommt die Ankündigung von Facebook ins Spiel, man wolle ein Vorreiter bei der Entwicklung eines „offenen Identitätsstandards“ sein. Das dürfte eine schöne Umschreibung für eine zentrale biometrische Datenbank für Milliarden Menschen sein. Solche entweder zentralen oder vernetzten Datenbanken aufzubauen, um die Bevölkerungskontrolle zu verbessern, ist ein wichtiges Nebenziel der Partnerschaft für Finanzielle Inklusion der G20. Das wird in Entwicklungsländern bereits intensiv betrieben. In den meisten Industrieländern mit halbwegs funktionierendem Rechtswesen sind entsprechende Versuche an den Verfassungsgerichten gescheitert, darunter in Großbritannien und Frankreich. Auch deshalb dürfte man es jetzt mit einem weltweit dominanten Sozialen Medium versuchen, wo sich so etwas auf freiwilliger Basis im Idealfall milliardenfach umsetzen lässt. Irgendwann muss dann jeder mitmachen und die zentrale biometrische Datenbank ist geschafft, ohne dass ein Verfassungsgericht dazwischengehen könnte.
Wenn Libra erfolgreich ist, dann gehen die Zahlungsverkehrsdaten und biometrischen Daten aus immer mehr Ländern in die USA, und mit ihnen die Geschäftsmöglichkeiten, die sich aus der Verfügung über die Daten ergeben, und die politische Macht, die damit verbunden ist, alles zu wissen und alle Zahlungen nach Belieben unterbinden zu können. Wenn man die biometrischen Daten der Bürger hat, funktioniert auch die Internetüberwachung viel besser, denn dann weiß man eindeutig, wer es ist, der auf dieser oder jener Webseite unterwegs ist. In den Industrieländern ist das schon weitgehend gewährleistet. In Entwicklungsländern, wo das Namensrecht oft diffus und die Internetnutzung noch gering ist, würden eindeutige biometrisch unterlegte Identitäten den Überwachern in Fort Meade und Langley sehr helfen, ebenso wie den auf Geschäftsgelegenheiten spekulierenden Unternehmen.
Darauf zielen die Institutionen ab, die direkt und indirekt hinter Libra stehen.