28. 04. 2015 | Bei Zentralbankern war bisher der Glaube an die höhere Einsicht der „Finanzmärkte“ Dogma. Wo die das Geld hingeben, ist es gut aufgehoben, lautete die Philosophie. Die große Finanzkrise demonstrierte eindrucksvoll das Gegenteil. Sieben Jahre später bröckelt das Dogma endlich. Jüngster Abtrünniger: Der finnische Notenbankpräsident im Handelsblatt-Interview.
Vielleicht liegt es daran, dass die Finnen keine große Bank haben, deren Interessen ihr Notenbankpräsident schützen müsste. Jedenfalls hat Erkki Likkanen im Interview mit dem Handelsblatt (Montagsausgabe) offen an dem immer noh bestehenden Dogma gekratzt, dass eine Zentralbank nicht in die Entscheidungen der Finanzbranche beeinflussen sollte wer für welchen Zweck Kredit bekommt – oder auf gut Deutsch, dass Kreditlenkung, wie sie in de goldenen Zeit des Kapitalismus in der Nachkriegszeit allgemein üblich war, dass diese Kreditlenkung des Teufels ist.
Einen ersten Kratzer bekam das Dogma im letzten Jahr, als die Europäische Zentralbank (EZB) die sogenannten Gezielten Langfristigen Refinanzierungsoperationen beschloss. Das lief darauf hinaus, dass Banken gewissen (sehr lasche) Bedingungen hinsichtlich ihrer Kreditvergabe erfüllen mussten, damit sie sehr langfristige Notenbankkredite zu Vorzugskonditonen erhielten. Über die Zielvorgaben für die Kreditsumme ging die Lenkung sogar so weit, dass nicht alle Arten von Kredit gleich behandelt wurden. Nur Kredite an Haushalte und Unternehmen zählen zur Erfüllung der Bedingungen, und unter den Krediten an Haushalten zählen Immobilienkredite nicht.
Die vernünftige Idee dahinter: Investitionskredite an Unternehmen sind die besten Kredite. Die Kreditvergabe schafft Nachfrage und setzt mehr Geld in Umlauf. Gleichzeitig sorgen die damit finanzierten Investitionen dafür, dass künftig mehr Güter hergestellt werden können. Es muss also weder Inflation der Verbraucherpreise, noch der Vermögenswerte geben.
Konsumentenkredite sind zweischneidig. Sie schaffen Nachfrage und bringen mehr Geld in Umlauf, schaffen aber nicht direkt die Kapazitäten für größere Güterproduktion. Durch si entsteht also Preisdruck. Allerdings kann man in vielen Situationen davon ausgehen, dass die höhere Nachfrage verzögert zu höheren Investitionen führt. Und wenn Deflationsgefahr besteht, ist Inflation – in Maßen – ohnehin etwas Gutes.
Eigentlich nur problematisch sind dagegen Kredite, die dazu verwendet werden, schon produzierte Vermögenswerte zu kaufen oder zu ersteigern, jedenfalls dann, wenn das Verhältnis dieser Kredite zur Wirtschaftskraft deutlich steigt. Das ist etwas bei kreditfinanziertem Kauf von Aktien oder bestehenden Immobilien der Fall. Sie erhöhen den Geldumlauf und die Nachfrage nach diesen Vermögenswerten, sowie deren Preise. Das nennt man dann Vermögenspreisblase. Das geht gut, solange der Geldzustrom jedes Jahr größer wird. Wenn das irgendwann aufhört, platzt die Blase wahrscheinlich.
Banken mit ihrer kurzfristigen, einzelwirtschaftlichen Sicht ist es egal, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen ihre unterschiedlichen Arten von Kreditvergabe haben.
Nach dieser Vorrede nun zu Likkanen. Er bejaht die Frage, ob ihm Sorge mache, dass das viele billige Geld Blasen verursachen könne und betont deshalb die Wichtigkeit „makroprudenzieller Regulierung“, also einer Aufsicht über das Bankgeschäft, die sich an gesamtwirtschaftlichen Zielen orientiert. Und dann greift er direkt den Grundpfeiler des derzeitigen „Baseler“ Systems der Bankregulierung an, dessen völliges Scheitern noch kaum ein Offizieller eingeräumt hat.
„Was mir Sorge bereitet ist, dass die Kapitalanforderungen an die Banken nach Risiko gewichtet sind. Wenn sch Blasen entwickeln, hat das häufig mit dem Immobilienmarkt zu tun. Als Gegenmittel ließen sich die Kapitalanforderungen für Kredite anheben. Für Hypothekenkredite müssen die Banken aber relativ wenig Kapital hinterlegen – für Kredite an Mittelständler hingegen relativ viel. Die Banken könnten daher ihre Kredite an Mittelständler begrenzen, statt ihre Hypothekendarlehen.“
Ich will das mal Übersetzen. Likkanen sagt damit: ‚Unser Regulierungsansatz ist dumm. Wir benachteiligen Banken, die die gesellschaftlich wertvollsten Kredite vergeben und begünstigen jene, die die gesellschaftlich schädlichste Kreditpolitik verfolgen.‘
Das ist natürlich nicht (nur) Dummheit, sondern Klientelpolitik. Man muss nur in die Mitgliederliste der Lobbyorganisation der internationalen Großbanken, Group of Thirty schauen, wo sich neben em derzeitigen und ehemaligen EZB-Chef ganz viele Notenbanker tummeln, die wie Draghi vorher Investmentbanker waren, oder hochrangige Investmentbanker, die vorher Notenbanker waren. Likkanen ist nicht dabei. Sparkassenlobbyisten und Vorstände auch nicht.