Im Interview mit dem Handelsblatt sagt Allianz-Chef Oliver Bäte:
„Die Geldpolitik ist dabei, die Sparer zu enteignen. Wer Geld spart, der wird entreichert und dessen Rendite umverteilt. (…) Wir müssen sagen: Lieber Kunde, Sie werden hier systematisch übervorteilt, weil jemand angefangen hat, Geld zu drucken. (..) Wir werden noch zehn Jahre Null- oder Negativzinsen haben. Die Sparer werden betrogen, das gilt auch für Lebensversicherungskunden.
Das ist starker Tobak: Heftige Systemkritik aus dem Olymp des Kapitals.
Bäte sagt uns, dass Kapitalbesitzer einen wohl gottgegebenen Anspruch darauf haben, dass sich ihr Geld ohne weiteres Zutun vermehrt. Er nennt sie „Sparer“, das klingt mehr nach der Oma, die sich ein paar Spargroschen vom Munde abgespart hat als nach dem reichen Erben, der die Zinsen und Dividenden „spart“, die er beim besten Willen nicht ausgeben kann, weil es zu viel ist.
Es gibt natürlich beides, und die erste Variante von Sparern ist tatsächlich die zahlreichere. Das Sparvolumen, auf das es für Bätes Zwecke ankommt, ist aber in der zweiten Gruppe erheblich größer. Die Statistik sagt, dass die untere Hälfte der Bevölkerung zusammengenommen kein nennenswertes Nettovermögen hat. Da gibt es nicht viel anzulegen und nicht viel Rendite, um die sie „betrogen“ werden könnte.
Das Meiste ist bei den oberen zehn Prozent der Einkommen und Vermögen konzentriert. Am stärksten beim obersten Prozent, aber dort spielen Lebensversicherungen prozentual keine so große Rolle mehr.
Wenn Bäte sagt, „unsere Kinder“ würden entreichert und Sparer enteignet oder betrogen, dann meint er nicht die Oma mit ihrem Spargroschen, sondern Leute näher an seiner Gehaltsklasse.
Leute in seiner Gehaltsklasse haben zunächst einmal ein geringeres Problem, den Dividendenrenditen und Kursgewinne von Aktien sind nicht nur höher als (frühere) Sparzinsen, sie werden auch stärker geschützt, nicht zuletzt von der Allianz, die eifrig und Jahr für Jahr steigend Dividende ausschüttet. Die Dividendenrendite der Ausschüttung 2020 betrug immerhin knapp sechs Prozent. Aber auch von der EZB, die mit ihren riesigen Wertpapierkäufen die Aktienkurse nach oben treibt, werden die Interessen großen Kapitalbesitzer gut bedient. Bäte sieht das zwar, nennt dann aber gleich den Grund für seine großen Sorgen in dieser Beziehung:
„Wir bereiten bereits der nächsten großen Krise den Boden. Man sieht es in Teilen des Aktienmarktes, in dem es völlig abstruse Bewertungen gibt. Wenn es dann „peng“ macht, dann deutet die Politik wieder auf die bösen Finanzmärkte.
Die EZB-Politik war recht, solange sich damit die Aktien- und Anleihekurse nach oben treiben ließen und so die Kapitalbesitzer immer reicher werden konnten. Aber aufgeklärte Menschen wie Bäte wissen, dass das nur eine gewisse Zeit funktionieren kann. Sie vermuten aus gutem Grund, dass wir dabei sind, das Ende dieser Periode zu erreichen. Und deshalb ist jetzt wieder der Staat gefragt:
„Wir brauchen mehr Fiskalpolitik, mehr Innovationen, mehr Reformen und müssen mehr in Bildung investieren, damit wir langfristiges Wachstum erzeugen, statt permanent Geld zu verteilen, das wir von unseren Kindern stehlen.
Wir brauchen mehr Fiskalpolitik soll wohl heißen, der Staat muss mehr Geld geben, und zwar den Unternehmen in Form vom Forschungsförderung, und weniger für unproduktive Teile der Gesellschaft (Stichwort „Reformen“), also weniger soziale Leistungen, weniger Geld für alles was nicht den Unternehmen und deren Aktienkursen zu Gute kommt. Denn: Geld für solche Zwecke wird von den Kindern der Kapitalbesitzer gestohlen:
„Selbst wenn die EZB aufhört, Bonds zu kaufen, dauert es Jahre, bis die Zinsen auf ein ökonomisch rationales Niveau zurückkommen.
Ökonomisch rational ist ein Zins, der den Renditevorstellungen von Kapitalbesitzern entspricht, nicht derjenige, der es ermöglicht, dass Unternehmen investieren und dass dem (verschuldeten) Staat nach Schuldendienst genug Geld für Infrastrukturausgaben bleibt. Was das angeht, sieht Bäte es anders als die ökonomischen Lehrbücher. Denen zufolge führt ein niedrigerer Zins dazu, dass mehr investiert wird, weil die Renditeanforderungen an die zu prüfenden Investitionsprojekte geringer sind. Bei Bäte ist das anders herum:
„Durch die verfehlte Geldmarktpolitik mangelt es an Innovationen, Investitionen in Infrastruktur, am Ausbau von Wettbewerbsfähigkeit bei Energie, Technologie oder Klimawandel. Unsere Fähigkeit zu investieren geht systematisch nach unten.
Aber es ist ja Weihnachten. Da darf sich auch das Kapital etwas wünschen, und seien es neue ökonomische Wahrheiten.
Nachtrag (26.12.): Ein Leser hat mich auf nachfolgend verlinkten Artikel in der Süddeutschen aufmerksam gemacht, der mehr als 1000 schöne Worte des Allianz-Chefs zeigt, wie sehr dieser wirklich an die Lebensversicherung glaubt.