Zweck und Bedeutung von Klaus Schwabs Buch „Covid-19: The Great Reset” kann man nur verstehen, wenn man weiß wer Schwab ist und was er macht.
Schwab hat vor fast 50 Jahren das Weltwirtschaftsforum gegründet, den mächtigen Club der großen multinationalen Konzerne, und leitet ihn seither. Nach eigener Aussage ging es Schwab darum, die Botschaft zu verbreiten, dass Konzerne nicht nur Gewinne ihrer Aktionäre mehren sollen, sondern sich um das Wohl aller „Stakeholder“ kümmern. Stakeholder sind alle, die ein Interesse am Tun und Lassen eines Unternehmens haben, also Aktionäre, Gläubiger, Beschäftigte und Kunden, bei großen Unternehmen die ganze Gesellschaft.
Ab den 80ern setzte sich aber ganz im Gegenteil nicht der „Stakeholder-Value“, sondern der „Shareholder-Value“ durch, also die bedingungslose Ausrichtung des Unternehmenshandelns an Aktienkurs und Dividende. Die Mitglieder von Schwabs Club wurden immer reicher und mächtiger, gerade WEIL sie sich im Geschäft nicht um den vom Weltwirtschaftsforum propagierten „Stakeholder-Value“ scherten. Und mit ihnen wurde das Forum immer einflussreicher. Seit einigen Jahren ist es normal, dass fast alle wichtigen Staatschefs der Welt, darunter natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Milliardären bei deren Jahrestreffen in Davos ihre Aufwartung machen.
Weltverbesserungspathos unterfüttert Herrschaftsanspruch
Gerade deshalb ist Schwabs Gerede von Stakeholder Value so wichtig. Denn nur wenn die Konzerne den Willen bekunden, die Welt zu verbessern, wie es das Motto des Weltwirtschaftsforums ist: „Improving the state of the world“, können sie den Anspruch erheben, die Regeln des Miteinander auf der Welt mitzubestimmen.
Und das tun sie massiv und immer mehr. Viele UN-Organisationen sind, nachdem sie von der US-Regierung und ihren Alliierten planmäßig finanziell ausgehungert worden sind, heute hochgradig abhängig vom Geld der Konzerne und deren Stiftungen. Das Weltwirtschaftsforum ist inzwischen sogar als Internationale Organisation anerkannt und darf ganz offiziell in der UN mitreden. Die Konzerne und Stiftungen reden über die Bedingungen für ihre Geldgaben mit.
Genug der Vorrede. Sie war nötig, um Sinn und Zweck des Buchs „Covid-19: The Great Reset“ zu verstehen, zu Deutsch eigentlich „Der große Neustart“, das deutsche Buch wurde allerdings weniger ominös „Der große Umbruch“ genannt. Schwab hat es im Juli mit seinem Koautor Thierry Malleret veröffentlicht.
Das große Einerseits-Andererseits
Die beiden stellen mit viel Pathos fest, dass Corona die Welt an eine Weggabelung gebracht habe: Entweder wir machen weiter wie bisher, und alles wird ganz schlimm, oder wir starten neu und lösen alle Probleme der Welt, Klimawandel, Krankheit, Ungleichheit, Hunger, Arbeitslosigkeit.
Viel mehr als Pathos haben sie nicht aufzubieten, um die Grundthese zu unterfüttern. Denn im Buch regiert das Einerseits-Andererseits. Einerseits ist Covid ganz schlimm. Andererseits werde Corona als eine der am wenigsten tödlichen Pandemien in die Medizingeschichte eingehen. Einerseits ist der Zustand der Welt ganz schlimm, andererseits ist der Zustand der Welt bisher immer besser geworden, nicht zuletzt dank des segensreichen Wirkens des Weltwirtschaftsforums.
Einerseits sind Kontaktverfolgungsapps wichtig für die Bekämpfung des Virus. Andererseits droht der Überwachungsstaat. Einerseits wird nach Covid Umverteilung kommen und der Neoliberalismus zu Grabe getragen, andererseits sollen es ausgerechnet die steuervermeidenden Konzerne sein, die die Welt retten.
Angst vor Revolutionen
Nur bei Schwabs großer Sorge, dass es zu Aufständen und Revolutionen kommen könnte, gibt es kein Einerseits-Andererseits. Das kommt an vielen Stellen im Buch vor und klingt etwa so:
„Eine der größten Gefahren der Nach-Pandemie-Ära sind soziale Unruhen, im Extremfall bis hin zu gesellschaftlicher Auflösung und politischen Zusammenbruch. (..) Persönliche Tragödien werden in verschiedenen Gruppen Ärger, Wut und Verzweiflung hervorrufen, darunter die Arbeitslosen, die Armen, Migranten, Gefangene, Obdachlose, alle Zurückgelassenen … Wie kann all dieser Druck nicht zu einer Explosion führen?
Nur eine Revolution könnte Macht und Reichtum der globalen Elite gefährden, die durch alle Krisen hindurch immer mehr Reichtümer anhäuft und sich Besteuerung und Regulierung weitgehend entzogen hat. Während der globalen Corona-Rezession hat der Reichtum der Multimilliardäre zugenommen wie selten zuvor in nur sieben Monaten – während das Elend der unteren Hälfte in der Welt-Reichtumsverteilung größer geworden ist.
Alle Mächtigen machen mit
Ein Revolution zu vermeiden ist DAS Ziel von Schwabs Wirken. Sein Buch ist ein kleiner Teil davon. Parallel zu dessen Veröffentlichung organisierte er im Sommer den ganz großen Auftrieb. Zusammen mit ihm kündigten der britische Thronfolger, die Chefin des Internationalen Währungsfonds und der Generaldirektor der Vereinten Nationen gemeinsam an, dass das Weltwirtschaftsforum sein Wirken künftig unter das Motto „Great Reset“ stellen werde.
Weder Schwab noch die anderen Top-Globalisten erklärten, außer in leeren Floskeln, wie man die Welt retten würde. Aber der Chef des Kreditkartenunternehmens Mastercard skizzierte wenigstens das Grundprinzip:
„Damit es funktioniert, muss es der Privatsektor zu einem Teil seines Geschäftsmodells machen
Übersetzt: Unternehmen müssen Geld damit verdienen können. Sonst wird das nichts.
Wenn es für Lobbyisten, Politiker und Adlige nur darum geht, Floskeln zu verbreiten, und die Konzerne nur weiter Geld verdienen wollen, wozu dann der große Auftrieb mit Starbesetzung?
Der Weg ist das Ziel
Es geht nicht um die Umsetzung des Großen Neustarts, es geht um die Diskussion. Man könnte sagen: Der Weg ist das Ziel. Denn auf die Forderung, dass ein Neustart nottut kommen derzeit auch andere. Es geht für die Konzerne darum, im Zentrum der Reformdiskussion zu stehen und sich an die Spitze jeder möglicherweise gefährlichen Bewegung setzen zu können. In Schwabs Worten:
„Diese Initiative wird jeden auf der Welt integrieren, der eine Stimme hat und der einen besonders innovativen Vorschlag zur Verbesserung der Lebensbedingungen hat.
Dafür will das Forum seine Tentakeln ausfahren: Sein Netzwerk von knapp 10.000 “Global Shapers“, in 428 Städten und 148 Ländern wird aktiviert.
Die Global Shapers sind die Nachwuchsorganisation des Forums. Sie hat Schwab für Zwecke des Great Reset zu DEN Vertretern der Jungen Generation erklärt, die dafür sorgen sollen, dass die Reformen im Sinne künftiger Generationen ausfallen – künftiger Generationen von Eliten, darf man dazudenken.
Diese jungen Hoffnungsträger der Elite sollen im Einzugsbereich ihrer Shaper-Stützpunkte mögliche Reformer und Revoluzzer identifizieren. Diese sollen sie einladen, am Great-Reset-Pauwau des Forums teilzunehmen. Dazu passt dann hervorragend, dass Schwab in seinem Buch und das Forum auf seiner Website und bei seinen Treffen so sehr dem Einerseits-Andererseits frönen und für jedes Anliegen eine gut klingende Weltverbesserungs-Floskel bereithalten. Es soll sich ja jeder potentielle Revoluzzer angesprochen fühlen.
Diejenigen, die sich als potentiell wirkmächtig und gefährlich herausstellen, werden umgarnt, zu Versammlungen in allen Teilen der Welt geflogen, mit Jobangeboten und Stipendien geködert und so unmerklich in einem Netz von Abhängigkeiten verstrickt, aus dem sie sich nicht mehr befreien können, ohne in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen.
Wer sich dieser Umarmung entzieht, darf hilflos zusehen, wie andere Reformer mit weniger Berührungsangst zu den Mächtigen zu Hoffnungsträgern hochstilisiert werden. So will das Forum sicherstellen, dass keine Reformbewegung außer Kontrolle gerät, die etwa die Marktmacht und Steuerprivilegien von Digital-, Finanz- und Gesundheitskonzernen angreifen könnte.
Lasst uns über den Großen Neustart reden! Damit alles bleiben kann wie es ist.