Leseprobe aus „Die Öko-Katastrophe“

Im Rubikon-Verlag ist am 23.11. das Buch „Die Öko-Katastrophe“ erschienen. Es ist ein Sammelband mit Beiträgen von Rainer Mausfeld, Susan Bonath, Noam Chomsky, Dirk Pohlmann und vielen mehr. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags finden Sie hier als Appetithappen eine gekürzte Version des im Buch enthaltenen Interviews von Rubikon-Herausgeber Jens Wernicke mit dem Kognitionsforscher Rainer Mausfeld.

Jens Wernicke: Herr Mausfeld, keine soziale Bewegung der vergangenen Jahre hat so viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und eine solche Breitenwirkung entfaltet wie die Fridays for Future-Bewegung. Sehen Sie darin etwas, das uns Hoffnung auf wirkliche Veränderungen geben kann?

Rainer Mausfeld: Die Fridays for Future-Bewegung und andere Klimabewegungen sind notwendig, erfreulich und begrüßenswert! Es erscheint mir wichtig, das zunächst festzuhalten, weil sich das, was sich im Moment in einigen sozialen Medien gegen diese Bewegung entlädt, nur als Diskursverrohung bezeichnen lässt.

In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, die durch eine große ideologische Homogenisierung, eine Entleerung des politischen Raumes und einen massiven Abbau mühsam errungener demokratischer Substanz gekennzeichnet ist, ist jede Form außerparlamentarischer emanzipatorischer Bewegungen zu begrüßen.

Bei dem lange verdrängten Thema einer drohenden Klimakatastrophe haben die Fridays for Future- und die Extinction Rebellion-Bewegung überhaupt erst wieder für die erforderliche mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Zugleich haben sie in der jüngeren Generation eine erfreuliche Repolitisierung bewirkt.

Natürlich wird diese Art der Revolte — wie bei allen sozialen Bewegungen — aus sehr unterschiedlichen Quellen gespeist. Sie ist im Moment nur ein erster Impuls und muss sich erst noch politisch stabilisieren und in ihren Zielen konturieren. Daher sind die Klima-Bewegungen teilweise noch diffus und fragil. Erst wenn es ihnen gelingt, sich durch Einbettung in eine emanzipatorische Rahmengeschichte ein gedankliches Fundament zu geben, haben sie eine Chance auf Stabilität und politische Wirksamkeit. Das braucht Geduld. Wir dürfen daher an die Klimabewegungen im Moment keine überzogenen Ansprüche an ihre gedankliche Kohärenz stellen.

In den Debatten in sozialen Medien zum Thema stehen sich zwei Positionen zunehmend unvereinbar gegenüber. Die einen sind begeistert von Greta Thunberg. Auf der anderen Seite steht eine sehr diffuse Bewegung, die argumentiert Thunberg sei eine Marionette der Machteliten, die sie und ihre Bewegung nur nutzen, um mit Angsterzeugung Geschäfte zu machen, eine anthropogene globale Erwärmung gäbe es gar nicht, und man müsse sich gegen die drohende „Öko-Diktatur“ zur Wehr setzen. Was halten Sie von dieser Gemengelage?

Bei dem, was Sie beschreiben, handelt es sich ja gar nicht um Aspekte einer ernsthaften Debatte, also um einen halbwegs rationalen Austausch von Argumenten. In diesem Sinne ist es auch wenig sinnvoll, davon zu sprechen, dass sich hier zwei Positionen gegenüberstehen, zwischen denen man in rationaler Weise vermitteln könnte. Man würde ja auch nicht davon sprechen wollen, dass sich mit Vernunft und Unvernunft zwei vermittelbare Positionen gegenüberstehen.

Bei der Sache, um die es hier geht, nämlich unser gegenwärtiges wissenschaftliches Verständnis geophysikalischer Prozesse, die einer Klimadynamik zugrunde liegen, gibt es nur einen geringen Beurteilungsspielraum — zumindest, was die großen Linien betrifft. Die Befundlage ist eindeutig. Und auch die wissenschaftliche Interpretationslage ist für einen so extrem komplexen Bereich geophysikalischer Phänomene außergewöhnlich einhellig. Was die Einschätzung der qualitativen Situation zivilisationsrelevanter Parameter und Prozesse betrifft, gibt es keinen vernünftigen Grund, am Konsens der relevanten Forschergruppen zu zweifeln.

Hier geht es wohl vor allem um die Bewältigung von starken Affekten, die durch eine krisenhafte gesellschaftliche Situation ausgelöst werden. Das wird schon daran erkennbar, dass die Affekte des Hasses, die sich im Moment gegen die Klimabewegungen entladen, ihren rohesten Ausdruck in Teilen der US-amerikanischen Rechten finden. Leider haben sie sich in einer Art Affektansteckung auch in alternativen Medien des sich progressiv fühlenden Milieus verbreitet.

Durch die historische Entwurzelung fehlt vielen ein stabiler innerer politischer Kompass. Das ist natürlich von den Zentren der Macht intendiert, und sie verfügen über ausgefeilte Mittel, diese Verluste politischer Orientierung zu erzeugen und zu fördern.

Auch neoliberale Mechanismen einer sozialen Fragmentierung und Atomisierung haben sicherlich dazu beigetragen, da sie unsere gesamte Kultur und unseren Lebensalltag tief durchdringen. Doch scheint mir die rasche mediale Verbreitung dieser Hass-Affekte auch ein journalistisches Problem alternativer Medien zu sein. Denn diese Affekte konnten ihre spaltende und zersetzende Wirkung erst durch eine mediale Verstärkung entfalten.

Was die hiesigen Debatten betrifft, hat erfreulicherweise Dirk Pohlmann in journalistisch vorbildlicher Arbeit die Fäden entwirrt und die Hintergründe politischer Bemühungen von Machtgruppierungen beleuchtet, die zur Verfolgung ihrer ökonomischen Interessen aus individuellen Ressentiments des Hasses eine politische Gegenbewegung zu formen suchen.

Die Diskussion um die Rolle von Greta Thunberg ist für Sie ein Ablenkthema?

Ja, diese personalisierte Diskussion ist völlig irregeleitet. Durch sie wird ein im Grunde berechtigtes Misstrauen gegen politische Handlungsmotive der Zentren der Macht gegen ein psychologisches Ablenkziel umgelenkt. Tatsächlich zeigt diese Personalisierungsdiskussion noch einmal, wie erfolgreich die Zentren der Macht bewährte Spaltungstechniken einsetzen, mit denen sich Erfolg versprechende, das heißt für sie möglicherweise bedrohliche emanzipatorische Bewegungen zersetzen und neutralisieren lassen.

Bei der Klimadebatte können wir zwei bewährte Spaltungstechniken erkennen: Eine besteht darin, ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem auf so hochgradig technische Teilaspekte zu verengen, dass ein erheblicher Teil der öffentlichen Veränderungsenergie in Pseudodiskussionen dieser technischen Aspekte absorbiert und somit neutralisiert wird. Die zweite Technik macht sich unsere natürliche Vorliebe für Personalisierungen zunutze.

Diese Vorliebe ist gleichsam eine ‚Schwachstelle‘ unseres Geistes, die sich für alle möglichen Manipulationen wirkungsvoll nutzen lässt; auch die Regenbogenpresse lebt von ihr. Um sie für Spaltungszwecke zu nutzen, muss man zunächst darauf zielen, dass eine soziale Bewegung mit einzelnen öffentlich besonders sichtbaren Vertretern identifiziert wird.

Man muss also gezielt einzelnen Personen große mediale Resonanz und Prominenz verleihen. Wenn dann die Bewegung aus Sicht der Herrschenden zu erfolgreich wird, lässt sich die gesamte Bewegung leicht spalten, indem man ihre prominenten Vertreter durch einen geeigneten Rufmord diskreditiert. Und genau dies ist gegenwärtig, gerade auch in einigen alternativen Medien, massiv der Fall. Beispiele hatten Sie ja schon genannt, etwa wenn Greta Thunberg als „Marionette des Kapitals“ oder als „Ikone“ einer Elitenverschwörung bezeichnet wird, die nur dazu diene, die arbeitende Bevölkerung auf die Ziele der Eliten einzuschwören.

Das gilt übrigens allgemein. Ein Trump-Hass und eine Obama-Begeisterung sind lediglich zwei Seiten derselben Verblendungsmedaille. Beide Personalisierungs-Affekte machen blind für die Art und für das Funktionieren tatsächlicher Machtstrukturen. Für eine Analyse politischer Machtverhältnisse ist es ebenso wenig relevant, ob ihre Repräsentanten in kultivierter oder in vulgärer Maske auftreten, wie es für die Opfer eines Verbrechers relevant ist, ob der Täter bei seiner Tat bürgerlich-kultivierte Manieren gezeigt hat oder nicht. Personalisierungen erzeugen stets eine Art Affektverschiebung auf Ablenkziele und sind genau aus diesem Grund ein bewährtes Mittel zur Spaltung und Zersetzung von emanzipatorischen Bewegungen.

Könnte man einer Verschiebung der Veränderungsenergie auf Ablenkziele und den damit verbundenen Spaltungen vorbeugen, wenn man das berechtigte Misstrauen der Menschen ernst nimmt, ihnen aber aufzeigt, dass es sich hier gegen das falsche Ziel richtet? Dass sich ihr Misstrauen vielmehr gegen diejenigen richten muss, die ursächlich die Hauptverantwortung für die gegenwärtige Situation tragen?

Selbstverständlich muss es genau darum gehen. Dazu ist es nötig, die tatsächliche Situation und Interessenlage für die allgemeine Öffentlichkeit einsichtig und transparent zu machen.

(…)

Wenn nun von oben ein Kampf gegen den Klimawandel ausgerufen wird, so kann man annehmen, dass die ökonomisch und politisch Mächtigen weniger das Gemeinwohl als ihr eigenes im Auge haben. Jede soziale Bewegung, die sich für Lösungen des Klimaproblems einsetzt, tut daher gut daran, stets genau zu schauen, wer aus den Zentren ökonomischer und politischer Macht sich in einer vorgeblichen Partnerschaft zu ihr ins Boot setzt und welche Ziele derartige ‚Mitstreiter‘ dabei verfolgen.

Etwa wenn hunderte von Großkapitalgebern und Finanzkonzernen, die gemeinsam ein Vermögen von 34.000 Milliarden US-Dollar verwalten, in einem gemeinsamen Aufruf die Politik auffordern, Pariser Klimaziele zügig und konsequent umzusetzen. In solchen Fällen ist es erforderlich, sehr genau hinzuschauen und die genauen Beweggründe für derartige Allianzen zu identifizieren.

Bei einer angemessenen Analyse lässt sich aus solchen vergifteten Partnerschaftsangeboten viel lernen, weil sie uns genau zu den politischen Problemen führen, um die es tatsächlich geht.

Die Finanzinvestoren wie auch die ökonomischen Zentren der Macht allgemein sind nämlich darauf angewiesen, dass sie die für ihre ökonomischen Interessen relevante Realität in hinreichender ideologischer Nüchternheit wahrnehmen. Daher ziehen sie auch aus den vorliegenden geophysikalischen Befunden zum Klimawandel den korrekten Schluss, dass in absehbarer Zeit mit gewaltigen klimabedingten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen zu rechnen ist.

Zugleich sind sie mit der Realität politischer Entscheidungsmechanismen so gut vertraut, dass sie die Wahrscheinlichkeit für äußerst gering einstufen, in den uns verbleibenden, geophysikalisch diktierten Zeitspannen die erforderlichen Änderungen zu bewirken. Auf der Basis einer in Think Tanks und Universitäten gekauften Vorhersagerationalität rechnen sie also in absehbaren Zeiträumen mit einer Destabilisierung der Weltwirtschaft, die ihre eigenen Geschäftsmodelle gefährdet und unkalkulierbar macht.

Die Frage, wie sich eine Klimakatastrophe abwenden lässt, ist also für sie eher nachgeordnet, weil sie die Chancen hierfür eher gering einschätzen. Was sie jedoch hier und heute interessiert, sind die wahrlich paradiesischen Möglichkeiten, aus den wachsenden gesellschaftlichen Ängsten vor einer Katastrophe Gewinne nie gekannten Ausmaßes zu erwirtschaften.

Der Kapitalismus versteht sich darauf, aus wirklich allem Gewinn zu schlagen. Und Krisen, gerne auch gezielt herbeigeführte, sind seit jeher eine Kraftnahrung für ihn. So wird ihm auch die zu erwartende Panik, die letztlich das unvermeidbare Resultat des gegenwärtigen reformistischen Klima-Gewurstels der Politik sein wird, eine willkommene Gelegenheit hierzu sein.

Und eine weitere Frage beschäftigt schon jetzt die Machteliten: Sie wollen schon jetzt so gut es geht sicherstellen, dass sie dann, wenn es schließlich zu einer Klimakatastrophe kommt, immer noch sehr viel besser dastehen als der Rest der Bevölkerung. Es geht also um Probleme einer relativen Nutzenoptimierung unter extremen Krisenbedingungen. Diese Probleme werden in Think Tanks intensiv diskutiert.

Was sind die Worst Case-Szenarien der weiteren Entwicklung aus Ihrer Sicht?

Dazu kann ich natürlich keine Prognosen wagen, schon deswegen nicht, weil die Skala von Worst Case-Szenarien leider nach oben offen ist.

Zwei Entwicklungen sind jedoch bereits jetzt erkennbar und werden sich verschärfen. Die eine ist der schon genannte weitere massive Abbau an historisch mühsam gewonnener demokratischer Substanz. Der Grund hierfür liegt schlicht darin, dass sich alle von den ökonomischen Eliten gewünschten Maßnahmen um so weniger demokratisch legitimieren lassen, je mehr sich eine Krise verschärft. Denn eine demokratische Legitimation bedeutet ja gerade, dass Lösungen nicht durchsetzbar sind, die zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung gehen.

Die zweite damit eng verbundene Prognose bezieht sich auf die schon mehrfach angesprochenen autoritären Entwicklungen, also darauf, dass auf allen Ebenen gesellschaftlicher Organisation, insbesondere auf allen Ebenen der exekutivischen Apparate, zunehmend autoritäre Strukturen eingeführt und verrechtlicht werden.

Dieser Prozess wird bereits seit längerem intensiv, wenn auch für die Bevölkerung kaum wahrnehmbar, vorangetrieben — von Polizeigesetzen über alle möglichen Arten exekutivischer Ausführungsgesetze bis hin zu einem autoritären Konstitutionalismus. Er ist eine zwangsläufige Folge davon, dass Kapitalismus und Demokratie trotz ihrer zeitweiligen Symbiose letztlich miteinander unverträglich sind und dass die neoliberalen Spätformen des Kapitalismus nur in Verbindung mit einem autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat lebensfähig sind. Die Frage, wie dieser genau ausgestaltet werden könnte, lässt viel Spielraum für dystopische Fantasien.

Noch ein letztes Wort?

Gerne noch einen grundsächlicheren Punkt. Wir benötigen in mehrfacher Hinsicht eine breitere Perspektive, da der Klimawandel lediglich ein Symptom ist und wir daher auch bei den Mitteln zu seiner Bewältigung sehr viel grundsätzlicher vorgehen müssen.

Gerade beim Klimaproblem wird in absehbarer Zeit sehr konkret offenkundig werden, dass der übliche politische Reformismus einer wilden Mixtur von Oberflächenmaßnahmen zwangsläufig in einem Desaster enden muss. Denn diese Maßnahmen resultieren gerade als politische Kompromisse aus dem, was innerhalb der durch unterschiedliche Elitengruppierungen und ökonomische Lobbygruppen bestimmten Machtkoordinaten möglich ist.

Wie tief die notwendigen Änderungen an die Grundfesten einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gehen müssen, ist bereits daran zu erkennen, dass die Politik ihre Versprechen grundlegender Änderungen allein schon deswegen gar nicht einlösen kann, weil die erforderlichen Änderungen Eigentumsverhältnisse berühren, die mittlerweile durch nationales und internationales Recht nahezu unantastbar sind.

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung beruht auf einer „Sakralisierung des Eigentums“, wie Thomas Piketty es nannte. Diese Sakralisierung des Eigentums hat ihre Wurzeln bereits in der römischen Antike, ist also weit älter als der Kapitalismus. Sie bildet geradezu das Fundament unseres gesamten Rechtssystems. Der globalisierte Kapitalismus hat ihre Verrechtlichung zu einem Extrempunkt getrieben und sie ein für allemal einer demokratischen Kontrolle entzogen. Damit hat er sich selbst gleichsam auf Ewigkeit verrechtlicht, sich also eine Art Ewigkeitsgarantie verschafft.

Dies zeigt noch einmal, dass wir das Klimaproblem dringend aus einer Verengung auf geophysikalische Aspekte befreien müssen und in den Kontext derjenigen politischen Faktoren stellen müssen, die es hervorgebracht haben:

Das Klimaproblem ist untrennbar mit der Frage verbunden, in welcher Art von Gesellschaft und in welcher Wirtschaftsordnung wir nicht nur überleben, sondern auch menschenwürdig leben können. Dabei geht es buchstäblich um alles, nämlich die menschliche Zivilisation.

Rainer Mausfeld, Jahrgang 1949, studierte Psychologie, Mathematik und Philosophie in Bonn. Er ist Professor für Allgemeine Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und arbeitet im Bereich der Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung. Zuletzt erschienen von ihm „Warum schweigen die Lämmer?“ sowie „Angst und Macht“.

Print Friendly, PDF & Email