Am 18. Juni 2020 fand im Bundestag ein „Fachgespräch“ über die „Welt ohne Bargeld“ statt. Darin ließ der Moderator seinem Ärger über kleine Einzelhändler und Gaststätteninhaber freien Lauf, die keine Karten akzeptieren wollen. Er nötigte Vertreter von Banken und Einzelhandel, sich dafür zu rechtfertigen, dass sie immer noch mit diesem unpraktischen, schmutzigen Bargeld hantieren. Der Vertreter des IT-Verbandes Bitkom durfte, assistiert von einem Startup-Verband, mehrfach ohne Diskussion fordern, dass man nicht Bargeld schützen, sondern stattdessen dafür sorgen müsse, dass alle Einzelhändler und Gaststätten (alle) Karten akzeptieren. Ein Wissenschaftler pries die Datenkrake Paypal als den tollsten aller Zahlungsverkehrsdienste
Konzipiert hat das Fachgespräch und alles darum herum, einschließlich der Auswahl der Diskutanten und Experten für das Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestags (TAB) das Beratungsunternehmen VDI/VDE-IT, eine gemeinsame Tochter des Verbands der deutschen Ingenieure VDI und der IT-Lobby VDE. Sie haben auch eine Vorstudie zur Vorbereitung gemacht und eine Studie zur „Welt ohne Bargeld“. Letztere sollte, wie die Projektleiterin im Februar 2020 ankündigte, bis September 2020 fertig werden und dann von den Bundestagsabgeordneten vor Veröffentlichung geprüft werden.
Auf Nachfrage erläuterte Projektleiterin Dr. Simone Ehrenberg-Silies, die Studie sei im Mai 2021 dem Bundestag vorgelegt worden. Seither stecke sie in der Warteschlange von TAB-Studien, die den Parlamentariern zur Abnahme vorlägen. Sie hofft, dass die Studie spätestens im Sommer 2022 veröffentlicht werden kann.
Schade, dass es so lange dauert. Ich würde sehr gern die Studie lesen und selbst sehen, was von ihrer öffentlichen Ankündigung zu halten ist, die Studie werde ausgewogen die Vor- und Nachteile von Bargeld und digitalen Bezahllösungen darstellen und sie werde keine Empfehlungen enthalten. Denn wegen des Titels „Welt ohne Bargeld“, sowie der Einseitigkeit der Ausschreibung, der Expertenauswahl und des Fachgesprächs hege ich Zweifel.
Technikfolgenbewertung durch die Profiteure?
Dr. Ehrenberg-Silies Rolle ist kompliziert. In Ihrer Antwort auf meine Anfrage firmiert sie als:
„Dr. Simone Ehrenberg-Silies
Konsortialpartner des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB),
VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.“
Sie ist Senior Beraterin von VDI/VDE-IT und arbeitet seit 2008 für das Unternehmen. Dass sie gleichzeitig in den Medien auch als langjährige „Expertin vom Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB)“ auftreten kann, liegt an einer komplizierten Struktur dieses Büros. Das TAB wird seit 1990 für den Bundestag von einer Tochter des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) betrieben. Das KIT ist eine renommierte Forschungsuniversität. Seit 2013 kooperiert das KIT beim Betrieb des TAB mit dem gemeinnützigen Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und mit der VDI/VDE-IT für die Frau Ehrenberg-Silies arbeitet.
Bis zu einem gewissen Grad ist es also eine Tochter des Interessenverbands der Digitalwirtschaft VDE, die für den Bundestag die Technikfolgenabschätzung übernimmt. Im Falle des „Welt ohne Bargeld“-Projekts ist VDI/VDE-IT in der Führungsrolle und Frau Ehrenberg-Silies die Projektleiterin. Mich persönlich wundert es nicht, wenn dabei ein ziemlich einseitiges Fachgespräch herauskommt, und möglicherweise auch ein einseitiger Abschlussbericht.