Wundermittel finanzielle Inklusion – auch bekannt als Bargeldabschaffung

12. 06. 2017 | Im Juli werden die Regierungschefs, Notenbankpräsidenten und Finanzminister der G20 mit ihrem Gipfel Hamburg in den Ausnahmezustand versetzen. Zu einem Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft hat Finanzminister Wolfgang Schäuble die „finanzielle Inklusion“ erklärt. Das ist eine Art neues Wundermittel in der Entwicklungspolitik mit dem die Armut besiegt werden soll. Sein profanerer Name lautet Bargeldabschaffung.

Seinen glamouröseren Ausdruck findet die sogenannte finanzielle Inlusion in der Ehrenvorsitzenden der „Globalen Partnerschaft für finanzielle Inklusion“ der G20, die gleichzeitig Uno-Sonderbeauftragte für finanzielle Inklusion ist: Königin Máxima, Prinzessin der Niederlande.

In der G20 kooperieren die Regierungen der 20 wichtigsten Volkswirtschaften. Auf Arbeitsebene gibt es eine Reihe von öffentlich-privaten Kooperationsgruppen, die an der G20-Agenda zur finanziellen Inklusion mitgeschrieben haben und nun Umsetzungspartner der G20 sind. Dazu zählen vor allem die Alliance for Financial Inclusion (AFI) und die Better Than Cash Alliance (BTCA).

„Eine unserer Prioritäten im Rahmen unserer G20-Präsidentschaft ist es, den Zugang und die Nutzung von Finanzdienstleistungen weltweit zu verbessern.

Das sagte Schäuble aus Anlass eines Besuchs von Königin Máxima in Berlin. Denn ohne diesen Zugang sei wirtschaftliche Entwicklung sehr schwierig, wie es auf der deutschen G20-Website heißt:

„Nur wenn die Haushalte und Unternehmen die Möglichkeit haben, Bankkonten zu eröffnen, um zu sparen und Kredite aufzunehmen, Versicherungen zu kaufen und Überweisungen zu empfangen, können nachhaltige ökonomische Strukturen entstehen.

Entwicklungsexperten sind nicht begeistert

Es gibt jedoch auch Kritik an dieser Schwerpunktsetzung. „Der Nachweis, dass Finanzinstrumente etwas zur Bekämpfung der Armut beitragen, muss noch erbracht werden“, meint Phil Mader, Wissenschaftler am britischen Institute for Development Studies. Sally Brooks, die in York Entwicklungspolitik lehrt, erinnert daran, dass schon einmal eine ähnliche Strategie, nämlich Mikrokredite für Arme, ihre großen Versprechungen nicht erfüllen konnte. Friedensnobelpreisträger Mohammad Yunus hatte versprochen, mit Mikrokrediten die Armut innerhalb einer Generation zu besiegen. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt. „Es gibt einen Trade-off zwischen finanzieller Inklusion und Finanzstabilität“, warnte jüngst Bundesbankpräsident Jens Weidmann vor dem Risiko, dass arme Haushalte in die Überschuldung geraten. „Die indische Mikrofinanzkrise von 2010 zeigt uns, was passieren kann, wenn zu viele Subprime-Schuldner Zugang zu Krediten bekommen“, warnte er auf einer G20-Vorbereitungstagung.

Stephanie Blankenburg, Leiterin der Abteilung Entwicklungsfinanzierung bei der Handels- und Entwicklungskonferenz der Uno (Unctad) sieht einen ernsten Interessenkonflikt:

„Paypal, Visa oder Mastercard profitieren direkt von einer Ausweitung finanzieller Dienstleistungen und Finanzvermittlung unter der Agenda für finanzielle Inklusion. Trotzdem sind sie direkt oder über Stiftungen entscheidend an der Gestaltung dieser Strategie beteiligt.

Dazu gehört besonders prominent die Stiftung des Microsoft Gründers Bill Gates, aber auch das Omidyar Network des E-Bay-Gründers Pierre Omidyar, das selbst in Fintech-Start-ups investiert. Von 2002 bis zu seiner Abspaltung 2015 war Paypal ein Tochterunternehmen von E-Bay. Außerdem als Gründungsmitglieder dabei bei der Better Than Cash Alliance: Visa und Mastercard. Vom Bundesfinanzministerium hieß es dazu auf Anfrage, die beteiligten Stiftungen betonten ihre Unabhängigkeit von den Unternehmen. Das Ministerium beobachte das genau und stelle sicher, dass deren Agenden und Strategien im Einklang mit den Ansätzen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit stehen.

Zu den Empfehlungen der öffentlich-privaten Partner gehört, dass der Staat Zahlungen an Bürger nur noch bargeldlos leisten soll, um die Empfänger an den digitalen Zahlungsverkehr anzubinden. Dessen Regulierung soll flexibel sein, und die gesellschaftlichen Kosten des Bargelds sollen den Nutzern stärker klargemacht werden.

Das bisher größte Experiment in Richtung Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und finanzielle Inklusion hat Ende 2016 die indische Regierung gestartet, als sie kurzfristig das meiste Bargeld für ungültig erklärte und so eine massive Bargeldknappheit herbeiführte. Premierminister Narendra Modi preist den Schritt als Indiens Weg in die Modernität. Der Kreditkartenanbieter Mastercard, für den Indien einer der größten Wachstumsmärkte ist, registrierte einen steilen Kundenzuwachs.

Mit der Bill & Melinda Gates-Stiftung hat Entwicklungshilfeminister Gerd Müller im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein Abkommen geschlossen, um die finanzielle Inklusion in Afrika gemeinsam voranzubringen. Die Stiftung hat neben der Better Than Cash Alliance auch die Alliance for Financial Inclusionmit auf den Weg gebracht und gehört zu deren Hauptsponsoren.

Windige Verheißungen

Die entwicklungspolitische Bedeutung der finanziellen Inklusion ist mehr als fragwürdig“, schließt sich die Unctad-Abteilungsleiterin Blankenburg den Kritikern an, die befürchten, dass durch deren Betonung wichtige entwicklungspolitische Aufgaben vernachlässigt werden:

„Wenn jemand einen oder zwei Dollar pro Tag verdient, wozu braucht diese Person Bankdienstleistungen, für die sie auch noch Gebühren bezahlt?

Sie fügt hinzu, die meisten Studien, die anderes nahelegten, seien von denselben Unternehmen und deren Stiftungen finanziert worden, die von der finanziellen Inklusion profitierten. Sogar der Frankfurter Banking-Professor Reinhard Schmidt, ein engagierter Verfechter von finanzieller Inklusion, schrieb 2011 in Reaktion auf die von Weidmann angesprochenen Überschuldungskrisen im Mikrofinanzsektor: „Finance für die wirklich Armen dürfte keine allzu große Zukunft haben. Wirklich Arme brauchen sauberes Wasser und Gesundheitsversorgung zu bezahlbaren Preisen.“

Selbst Thorsten Beck von der Cass Business School in London, ein viel zitierter wissenschaftlicher Kronzeuge der finanziellen Inklusion, räumt auf Anfrage ein, dass Finanzdienstleistungen nicht unbedingt der am meisten einschränkende Faktor im Entwicklungsprozess sind. Auch gebe es keine wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass Zugang zu Finanzdienstleistungen auf Länderebene der Armutsbekämpfung dient. Auf Personen bezogen gebe es Indizien dafür, aber auf aggregierter Ebene sei die Datenlage schwierig.

Auch was Asli Demirguc-Kunt, leitende Weltbank-Volkswirtin und Werberin für finanzielle Inklusion, in einem aktuellen Forschungsüberblick mit Koautoren resümiert, liest sich sehr viel vorsichtiger als die Begründung des Finanzministeriums, warum finanzielle Inklusion so priorisiert wird: „Auch wenn es noch keinen stichhaltigen Nachweis gibt, könnte Zugang zum formalen Finanzsystem möglicherweise langfristig Wachstum und Produktivität steigern“, erklären die Weltbank-Volkswirte.

Anderer Ansicht ist man im Finanzministerium. „Zahlreiche unabhängige Studien in wissenschaftlichen Zeitschriften liefern empirische Evidenz für den Zusammenhang zwischen finanzieller Inklusion und Wachstum, verringerter Ungleichheit und verringerter Armut“, betont eine Sprecherin des Ministeriums und verweist dabei auch auf eine Veröffentlichung von Thorsten Beck.

Die Einschätzung der Unctad-Ökonomin Blankenburg, dass andere entwicklungspolitische Projekte dem Fokus auf die finanzielle Inklusion zum Opfer fallen, ist nicht unbegründet. So empfahl ein von Präsident Barack Obama 2012 eingesetzter nationaler Entwicklungsrat, Gelder der Etats für Entwicklungshilfe zur Förderung der finanziellen Inklusion zweckzubinden. Außerdem solle die US-Regierung ihre Rolle in der G20 geltend machen, damit diese eine ambitionierte Agenda der finanziellen Inklusion verfolge.

Ein Ziel, wechselnde Begründungen

Die Begründung der Förderung des digitalen Zahlungsverkehrs und der Zurückdrängung des Bargelds in Entwicklungs- und Schwellenländern mit den vermeintlichen Segnungen der finanziellen Inklusion zeigt besonders schön, wie flexibel die Bargeldabschaffer bei der argumentativen Unterfütterung ihres Ziels sind. Wo es passt, ist angeblich Armutsbekämpfung das Ziel. Wo das nicht zieht, müssen Mal die Notwendigkeiten der Geldpolitik (Negativzinsen), mal die Geldwäsche und seit Neuestem sogar das besonders absurde Argument der Terrorbekämpfung herhalten. In Indien, wo die finanzielle „Inklusion“ besonders brutal dadurch vorangebracht wurde, dass Hunderte Millionen Arme wochenlang fast ganz vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen wurden, wechselte die Regierung die Argumentation unterwegs aus. Anfang waren Korruptionsbekämpfung und Schwarzgeldentwertung die angeblichen Ziele. Als klar wurde, dass die Korruption eher befördert wurde und alles vermeintliche in Bargeld aufbewahrte Schwarzgeld umgetauscht worden war, wechselte die Regierung auf das Argumente der Modernisierung des Zahlungsverkehrs, die für die wirtschaftliche Entwicklung so wichtig sei. Seither tut sie so, als habe es nie ein anderes Ziel gegeben.

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13. 10. 2017 | Von Philip Mader.* | Nach mehr als 30 Jahren fehlt noch der Nachweis für eine armutslindernde Wirkung von Mikrofinanzen. Im Namen der Armutsbekämpfung wird aber mit „finanzieller Inklusion“ das Wachstum des Armutsfinanzmarkts weiter angekurbelt und die Abschaffung von Bargeld zugunsten privater Zahlungsdienste gefördert. Entwicklungspolitisch zweifelhaft, winken für Finanzindustrie und Regierungen neue Profite, Daten, und Formen sozialer Kontrolle.

Dossier zur Finanziellen Inklusion

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