Der EZB-Rat hat im September 2020 eine Bargeldstrategie beschlossen. Diese wurde bemerkenswerterweise erst am 2. Dezember ohne Ankündigung in den Tiefen des EZB-Internetauftritts „veröffentlicht“. Ich habe sie eine „Pontius-Pilatus-Strategie“ genannt, die lediglich dazu diene, dass die Fraktion der Bargeldfreunde in der EZB und die EZB insgesamt ihre Hände in Unschuld waschen kann, wenn das Bargeld langsam stirbt.
Die neue „Bargeldstrategie“ der EZB – eine Pontius-Pilatus-Strategie
Als Teil der Bargeld-Strategie hat die EZB eine Arbeitsgruppe des European Retail Payment Board (ERPB) beauftragt, einen Bericht zur Sicherung des Zugangs zu Bargeld und der Akzeptanz von Bargeld zu erstellen. Der Europäische Retail-Zahlungsverkehrsrat ist eine von der EZB-geführte feste Beratungsgruppe. Mitglieder sind Vertreter von Banken und anderen Verbänden, die mit Zahlungsverkehr zu tun haben, als Anbieter, Händler oder Konsumenten.
Das E in der Abkürzung könnte ebenso gut für „Elektronisch“ stehen, denn im Mandat des ERPB ist nur die Optimierung des elektronischen Zahlungsverkehrs als Ziel genannt. Weder „Bargeld“ noch „Banknote“ kommt im Text vor. Bargeld wird im Mandat des ERPB behandelt als wäre es nicht Teil des Zahlungsverkehrs. Das liegt vermutlich daran, dass der ERPB eine Gruppe unter der Ägide des Generaldirektorats Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr bei der EZB ist, und es daneben ein eigenes Direktorat Banknoten gibt.
Eine Gruppe mit der Aufgabe der Bargeldbewahrung zu betrauen, die bisher ihre Aufgabe darin sah, Bargeld möglichst überflüssig zu machen, und Bargeld, zumindest auf Geld-Anbieterseite, eher negativ gegenübersteht, hat sich schnell als problematisch herausgestellt.
Mitte April hat sich nach einem Eklat der Verband der europäischen Bargeldbranche, ESTA, unter scharfem Protest aus der Arbeitsgruppe zurückgezogen und angekündigt, einen konkurrierenden Bericht zum Thema zu veröffentlichen. ESTA ist kein ordentliches Mitglied im ERPB, weil ESTA ja nur mit Bargeld zu tun hat, und damit in der Definition des ERPB nicht mit Zahlungsverkehr. Der Verband durfte aber wie andere am Bargeld interessierte Verbände als externes Mitglied an der Arbeitsgruppe teilnehmen.
In einer von vier Unter-Arbeitsgruppen, die die Hindernisse für die Akzeptanz von Bargeld katalogisieren sollte, und die von einem ESTA-Vertreter moderiert wurde, kam es zu dem Eklat. Dem Vernehmen nach hatte ESTA zusammen mit dem Verband der Geldautomatenbetreiber ATMI und dem Verband der Verkaufsautomatenbetreiber EVA in die Liste der Hindernisse auch solche eingebracht, über die die Bankenvertreter in der Arbeitsgruppe nicht einmal bereit waren zu reden. Dazu gehörte dem Vernehmen nach die Kampagne großer Banken im Zuge der Corona-Pandemie, Bargeld als schmutzig und gefährlich darzustellen. Auch Einschränkungen der Bargeldversorgung und Bargelddienstleistungen durch die Banken wurden in diesem Zusammenhang genannt, weil sie den Händlern die Bargeldakzeptanz verleideten.
Dem Vertreter von ESTA, der die Unter-Arbeitsgruppe moderierte, wurde es dem Vernehmen nach bei einem Treffen der des Plenums der ERPB-Arbeitsgruppe am 30. März nicht ermöglicht, die vollständige Liste der Akzeptanzhindernisse vorzutragen. Nach fruchtlosen Protesten dagegen beschloss der ESTA-Vorstand seinen Rückzug aus der Arbeitsgruppe.
Für ESTA bestätigte Generalsekretär Thierry Lebeaux, dass ESTA die Arbeitsgruppe verlassen habe, wollte aber zu den Gründen nicht Stellung nehmen. Ein hochrangiger EZB-Manager antwortete auf die Frage, ob mit der ERPB nicht das falsche Gremium mit der Aufgabe betraut worden sei, sich um das Bargeld zu kümmern, dass die Bargeld-Arbeitsgruppe des ERPB (anders als der ERPB selbst) vom EZB-Direktorat Banknoten geleitet werde. Dieses setze sich nachdrücklich für das Bargeld ein. Den Eklat bezeichnete er als „nicht ganz nachvollziehbar und ziemlich unnötig“.
Jean Allix, der für die europäische Verbraucher-Dachorganisation BEUC an der ERPB-Bargeld-Arbeitsgruppe teilnimmt, gab zwar ESTA und den beiden anderen Bargeldverbänden in der Sache Recht, meinte aber ebenfalls, mit etwas mehr Kompromissbereitschaft wäre der Eklat zu vermeiden gewesen. Für die angesprochenen Punkte sei streng genommen eine andere Unter-Arbeitsgruppe zuständig gewesen. Darauf angesprochen antwortete Lebeaux: „Ich gebe zu, dass ich nicht kompromissbereit war, denn das hätte verlangt zu akzeptieren, dass die Punkte, die wir einbringen wollten, nie diskutiert werden. Ich gebe zu, dass ich hartnäckig darin war, eine Debatte führen zu wollen, die andere ebenso hartnäckig, aber mit mehr Erfolg, verweigert haben.“
Auf das von mir vermutete Ziel der EZB, mit dieser Arbeitsgruppe zu zeigen, dass man es mit der Bewahrung des Bargelds als Zahlungsmittel ernst meine, wirft der Eklat einen Schatten. Denn wenn die Interessenvertretung der Bargeld-Branche nicht mehr mitmacht, und stattdessen einen konkurrierenden, vermutlich bankenkritischen Bericht herausbringen sollte, würde das Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Unterfangens nähren.