Australiens digitale Sozialhilfe zeigt: Bargeldabschaffung hilft nicht gegen Alkoholismus, Spielsucht und Verbrechen

31. 12. 2020 | Seit einigen Jahren bekommen in Australien  viele Sozialhilfeempfänger den Großteil ihrer Unterstützung nur noch in Form spezieller Zahlkarten mit eingeschränkter Nutzbarkeit. Das ist nicht nur entwürdigend, sondern – wie Studien zeigen – auch noch nutzlos im Hinblick auf die angestrebten Ziele.

Zuerst waren die Sozialhilfekarten regional begrenzte „Versuche“, eingeführt dort, wo die Quote der Sozialhilfeempfänger hoch und Probleme wie Spiel-, Alkohol- und Drogensucht verbreitet waren. Zumeist sind es Gebiete mit großen Anteilen von Ureinwohnern an der Bevölkerung. Eingeführt wurden die Karten ab 2015 mit dem erklärten Ziel, genau diese Missstände zu bekämpfen. Dahinter steht die mit verletzender Offenheit präsentierte Grundannahme, dass die Bedürftigen selbst an ihrer Bedürftigkeit schuld seien, weil sie sich nicht unter Kontrolle haben.

Australien führt Sozialhilfeempfänger am digitalen Gängelband und macht die hässliche Fratze der bargeldlosen Gesellschaft sichtbar

Die digitale Stütze, soll ihnen bei der Selbstkontrolle helfen. Nur noch ein Fünftel ihrer Sozialhilfe bekommen die Versuchsobjekte in einer Geldform, die sich in Bargeld verwandeln lässt oder so gut ist wie Bargeld. Achtzig Prozent werden auf spezielle Zahlkarten geladen, die nur von teilnehmenden Händlern akzeptiert werden, mit denen man bestimmte Arten von Käufen nicht tätigen kann, zum Beispiel Alkohol, Glücksspiel und Drogen, mit denen man kein Bargeld abheben kann, und die den Gebern Einblick in das Ausgabenverhalten der Karteninhaber geben.

Die Karten würden die „generationenübergreifende Wohlfahrtsabhängigkeit“ und die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, versprach die konservative Regierung später bei der Ausweitung des Programms auf eine weitere Region.

Vier Wissenschaftler der University of South Australia und der Monash University untersuchten für eine vor kurzem veröffentlichte unabhängige Studie Verwaltungsdaten aus den Testregionen und kamen zu dem Ergebnis:

„Wir fanden keine substanzielle Wirkung der Maßnahmen auf Glücksspiel, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Kriminalität oder Notaufnahmen.

Auch andere Studien hatten zuvor ähnliches festgestellt. Dennoch ist die konservative Regierungskoalition entschlossen, den „Test“ zur Dauereinrichtung zu machen. Nur durch den Widerstand der Opposition ließ sie sich zu einer weiteren Befristung auf zwei Jahre bewegen.

Es ist kein Wunder, dass die Wirkung ausbleibt. Süchtige finden Wege ihre Sucht zu befriedigen, Kriminelle finden Wege. Das ist eine Binsenweisheit. Andererseits haben viele Familien das Problem nicht, das die Karte vorgibt zu lösen, Schwierigkeiten mit dem Einteilen des Geldes. Eine andere Studie von vier Universitäten auf Basis von Befragungen kam zu dem Ergebnis, dass die meisten Empfänger ihr Geld gut einteilen konnten. Sie hatten nur zu wenig davon. Nur eine Minderheit von freiwilligen Teilnehmern an dem Programm schätzte die Hilfe bei der Selbstkontrolle.

Andererseits stellten die Wissenschaftler der vier Universitäten fest, dass die Karte das Leben der ohnehin nicht auf Rosen gebetteten Menschen zum Teil erheblich und unnötig erschwert. Sie gaben zum Beispiel an, dass die 20 Prozent ihrer Stütze, die sie als Bargeld bekommen, oft nicht ausreichen die Ausgaben zu tätigen, die sie zwingend bar begleichen müssen, wie Schulausflüge und andere Ausgaben der Kinder oder Käufe von gebrauchten Artikeln.

Man darf es schon als Skandal betrachten, dass die Regierung dem Kartenbetreiber bis zu 10.000 australische Dollar pro Jahr und Karte bezahlt, umgerechnet etwa 500 Euro pro Monat. Ein Betrag, mit dem man die Budgetprobleme der meisten Empfänger, die keine Suchtproblem haben, lösen könnte.

Änderungshinweis: In der ersten Version hatte ich versehentlich geschrieben, die Regierung bezahle dem Kartenbetreiber 10.000 Aus-Dollar pro Monat, nicht pro Jahr (korrekt). Die Euro-Angabe pro Monat war korrekt. Ich habe auch ein „bis“ vor 10.000 Dollar eingefügt, wie ich es in einer weiteren Quelle geschrieben fand, in der die Interessenverquickung mit der Politik hinter diesen absurd hohen Gebühren beschrieben wird. Dort ist von 4000-10.000 Dollar je Teilnehmer die Rede. Auch 4000 Dollar sind skandalös hoch, wenn nur 14.000 Dollar ausgezahlt werden.

Resümee

Die Erkenntnisse aus Australien sind übertragbar auf die vorgeschobenen Begründungen für Bargeldrestriktionen überall auf der Welt, damit ließe sich Terrorismus und Kriminalität wirkungsvoll bekämpfen. Das sind Behauptungen, denen jede wissenschaftliche Basis fehlt. Wissenschaftliche Nachweise sind totale Fehlanzeige. Und wie in Australien macht man trotzdem einfach weiter, weil die Begründungen ohnehin nur vorgeschoben sind.

Friedrich Schneiders Vortrag auf einer Bundesbank-Konferenz zum „War on Cash“

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