Lorenz Jarass und Carsten Siebels: Neue Stromautobahnen machen die Energiewende unnötig teuer

18. 11. 2020 | Die Bundesregierung will das überregionale Stromnetz für sehr viel Geld ausbauen. Das ist für Energiewende nicht nötig und macht diese unnötig teuer. Lorenz Jarass und Carsten Siebels begründen in diesem Gastbeitrag warum und stellen Alternativen vor.

Lorenz Jarass, Carsten Siebels.* Die Bundesregierung veranschlagt 95 Milliarden Euro sind bis zum Jahr 2035 für den Ausbau des überregionalen Stromnetzes, davon allein 15 Milliarden Euro für die Gleichstromerdkabel „Südlink“ und „Südostlink“. Laut der Bundesnetzagentur entsteht der geplante Netzausbau „zum größten Teil durch innerdeutschen Transportbedarf“, der Übertragungsnetzbetreiber Tennet bezeichnet Südostlink als „Erdkabel für eine sichere Stromversorgung Bayerns“.

Die Leitungen sind aber, anders als behauptet, ganz überwiegend nicht für die sichere Stromversorgung Deutschlands nötig, sondern für den Export von bundesweiten Stromüberschüssen. Das zeigt das Beispiel Bayern. Bei einer bundesweiten Dunkelflaute, bei der kein Wind weht und auch keine Sonne scheint, nutzt ein Netzausbau nach dem Kohleausstieg nichts. Vielmehr ist zur gesicherten Stromversorgung Bayerns der Bau zusätzlicher Gaskraftwerke in Bayern erforderlich.

Tritt die Dunkelflaute dagegen nur in Bayern auf, dann reichen nach unseren Berechnungen die bestehenden Leitungen fast immer aus, um die bayerischen Stromdefizite zu decken. Bei Leitungsstörungen können die bayerischen Gaskraftwerke einspringen. Die im Netzentwicklungsplan vorgesehene Verdoppelung der Transportleistung von Norden nach Bayern ist also weit überdimensioniert.

Kosten des Netzausbaus werden nicht berücksichtigt

Aktuell befindet sich eine Novellierung des Bundesbedarfsplangesetzes in der parlamentarischen Abstimmung. Die darin enthaltenen Ausbaumaßnahmen für das Stromübertragungsnetz wurden von den zukünftigen Betreibern vorgeschlagen, gutachterlich geprüft und dann von der Bundesnetzagentur bestätigt.

Allein weil diese Maßnahmen technisch geeignet sind, die errechneten Spitzenleistungen des Transports von Strom aus erneuerbaren Energien weitgehend abzudecken, werden sie per Gesetz als energiewirtschaftlich notwendig deklariert.

Dabei wird verkannt, dass diese Spitzen nur wenige Hundert Stunden im Jahr auftreten sowie ganz überwiegend dem Export und nicht der Versorgung deutscher Stromverbraucher dienen.

Der Neubau einer Vielzahl von Stromleitungen führt zu enormen Beeinträchtigungen von Menschen und Umwelt – und damit zu langen Genehmigungs- und Realisierungszeiten. Zudem steigen die spezifischen Kosten durch verstärkten Zwang zur Verkabelung stark an.

Im Widerspruch zu §1 Energiewirtschaftsgesetz und den Grundregeln der Marktwirtschaft bleiben aber im Netzentwicklungsplan und damit auch im Bundesbedarfsplangesetz die Kosten des Stromnetzausbaus völlig unberücksichtigt. Beispielsweise kostet allein die Netzanbindung von Offshore-Windkraftanlagen über 1000 Euro pro Kilowatt; für dasselbe Geld könnte man dezentrale Photovoltaik-Dachanlagen bauen, die keinen überregionalen Netzausbau erfordern.

Die spezifischen Kosten derjenigen Energie, die durch neue Leitungen zusätzlich übertragbar ist, werden nicht bewertet. Dies führt zu einem weit überdimensionierten Netzausbau, weil so kostengünstige Alternativen keine Marktchance bekommen.

Es braucht marktwirtschaftlichen Prinzipien.

Es gibt kostengünstige Alternativen, zum Beispiel die produktionsnahe Nutzung von regionalen Stromüberschüssen für die Wärme- und Gaserzeugung oder ein nach Erfordernissen der Netze optimierter Speichereinsatz. Jedes Kilowatt Stromüberschuss, das an der Küste etwa in erneuerbares Gas umgewandelt wird, verringert den Netzausbau nach Süden um ein Kilowatt.

Die meisten alternativen Möglichkeiten können aber nur dann Netzausbaumaßnahmen und Stromkosten reduzieren, wenn die Aktivitäten der Stromproduzenten, Netzbetreiber, Stromhändler und Stromanwender durch Regelwerke gesteuert werden, die auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basieren.

Bleiben bei der Energiewende die Kosten des Netzausbaus weiterhin unberücksichtigt, gibt es keine Anreize, kostengünstigere Alternativen dafür zu nutzen. Die Energiewende lebt vom Wettbewerb, wie der Präsident der Bundesnetzagentur in seinem Handelsblatt-Gastbeitrag vom 29. Oktober 2020 betont hat.

Damit sollte er beim Netzausbau anfangen, indem er zukünftig für die Umsetzung der Energiewende den Netzausbau nicht mehr ohne Beachtung der damit verbundenen Kosten privilegiert, sondern einen Wettbewerb mit alternativen Maßnahmen ermöglicht.

*Lorenz Jarass arbeitet im Bereich erneuerbare Energien und Stromnetze für Regierungen, Netzbetreiber und Kommunen. Seine aktuelle Buchveröffentlichung: „Überdimensionierter Netzausbau behindert die Energiewende“

*Carsten Siebels ist Diplom-Ingenieur und Stromnetzberater. Er hat über 30 Jahre lang Hoch- und Höchstspannungsnetze geplant.

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