Der Spannungsfall, die Zensur und das unaussprechliche N-Wort

7. 10. 2025 | Der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter, hat für Bundesregierung und NATO den Eisbrecher gemacht und die Ausrufung des Spannungsfalls gefordert. Entgegen dem, was die Medien uns erzählen, sind wir nur einen einfachen NATO-Beschluss vom Durchregieren der Militärs entfernt.

Zwar ist noch keine einzige der angeblich so vielen nahe Flughäfen und Militäreinrichtungen gesichteten Drohnen abgeschossen oder eingefangen und mit Russland mehr als raunend in Verbindung gebracht worden, trotzdem taugen die angeblichen Vorfälle für maßgebliche Kreise, für die Kiesewetter spricht, als Vorwand, die Aktivierung von Notstandsgesetzgebung zu fordern, einschließlich der Außerkraftsetzung von wesentlichen Bürgerrechten. Ein bisschen im Eis gebohrt hatte vor Kiesewetter schon Bundeskanzler Friedrich Merz, als er sagte, wir seien zwar noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.

Im „Grünbuch ZMZ 4.0“ über Zivil-Militärische Zusammenarbeit im Krisenfall von Januar 2025 wird Desinformationsbekämpfung ausführlich als Teil dieser Zusammenarbeit herausgestellt. Herausgeber dieses Grünbuchs ist das Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e.V. Das ist ein von Abgeordneten von Union, SPD, Grünen, Linken und FDP gegründeter privatrechtlicher Verein. Verfasst hat es ein „Kernteam“ aus Vertretern der Bundeswehr, des Verfassungsschutzes und verschiedener Bundesministerien und Bundesbehörden (Grünbuch 2025).

Das Bundesinnenministerium arbeitet in diesem Zusammenhang seit einem entsprechenden Beschluss der Innenministerkonferenz von 2022 federführend an einem „Gemeinsamen Aktionsplan von Bund und Ländern gegen Desinformation und für eine wehrhafte Demokratie“. Das Ministerium hat dazu noch keine Informationen veröffentlicht. Über meine Medienanfrage dazu vom 3. September musste das Ministerium mehr als einen Monat nachdenken, bevor es mir am 6. Oktober mitteilte:

„Der Gemeinsame Aktionsplan von Bund und Ländern befindet sich derzeit in der Abstimmung mit den Bundesressorts und den Ländern und soll nach Fertigstellung veröffentlicht werden. Weitere Details liegen derzeit nicht vor.“

Man darf davon ausgehen, dass der Aktionsplan nicht veröffentlicht werden wird, bevor der Krisen- oder Spannungsfall eingetreten und wieder aufgehoben worden ist. Denn die Geheimhaltung der Inhalte solcher Pläne hat System.

Es gibt nämlichwie berichtet – geheime Vorgaben der NATO für die Sicherung der Resilienz oder Wehrhaftigkeit Deutschlands. Das hat die Bundesregierung eingeräumt. Darüber hinaus will sie über das „nicht öffentlich zugängliche NATO-Dokument“ keine Auskünfte erteilen. Die Resilienz-Ziele sollen die Gesellschaft widerstandsfähig gegen „störende Ereignisse“ wie Krieg, Pandemien, Naturkatastrophen und Infrasturkturausfall machen. Auch Klima- und Gesundheitspolitik sowie der Kampf gegen sogenannte Desinformation sind Thema der NATO-Resilienzziele, zu deren Einhaltung sich die Regierung verpflichtet hat.

Fragen des Magazins Multipolar danach, ob das Dokument mit den NATO-Vorgaben den Abgeordneten des Bundestags, dem Parlamentarischen Kontrollgremium oder dem Verteidigungsausschuss bekannt sei, und ob die Bundesregierung – wie die niederländische – geheime Veranstaltungen und Übungen zu den NATO-Resilienz-Zielen durchgeführt habe, ließ das Ministerium unbeantwortet. Keine der im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien Grüne, Linke oder AfD antworteten auf die Anfrage von Multipolar, was sie davon halten, dass die Regierung geheime Vorgaben der NATO auszuführen hat. Auch die Medien finden das so wenig interessant, dass sie nicht darüber berichten, oder – wahrscheinlicher – so interessant, dass sie sich nicht trauen, darüber zu berichten,

Die geheimen NATO-Vorgaben für die zivile Kriegsbereitschaft finden ihren Niederschlag im ebenfalls geheimen Operationsplan Deutschland. In diesem mehrere hundert Seiten starken Dokument werden „Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten festgelegt“, damit die Bundeswehr „gemeinsam mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren Deutschland schützen“ kann. Zuständig ist das Operative Führungskommando der Bundeswehr. Zu dessen Aufgaben gehören „Multi-Domain Operations gegen feindliche Angriffe, die auch den (…) Informationsraum und den zivilen Bereich umfassen“.

In unbekanntem Umfang regiert die NATO also jetzt schon in Deutschland heimlich mit. Wenn der Spannungsfall ausgerufen wird, werden alle möglichen Notstandsgesetze und geheimen Pläne wie die obigen aktiviert, um die Bevölkerung für den Krieg zu mobilisieren. Beim Kampf gegen die „Desinformation“, der jetzt schon die Meinungs- und Informationsfreiheit erheblich einschränkt, werden dann sicherlich die letzten Hemmschwellen beseitigt.

Von den Medien dürfen wir hier und da aus gegebenem Anlass erfahren, dass eine Zweidrittelmehrheit des Bundestags für die Ausrufung des Spannungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes erforderlich sei, nach der es aber in absehbarer Zeit nicht aussehe. Das klingt beruhigend, ist aber weniger als die halbe Wahrheit. Denn es berücksichtigt nur Absatz 1 des Artikels. Es gibt auch noch Absatz 3.

Absatz 3 von Artikel 80a erlaubt es der NATO durch einfachen Beschluss mit Zustimmung nur der Bundesregierung, den Spannungsfall zu erklären. Das deutsche Parlament hat also erst einmal nichts dabei zu sagen, ob die Bürgerrechte und die Meinungs- und Informationsfreiheit in Deutschland außer Kraft gesetzt werden. Erst wenn der „Spannungsfall“ schon da ist, kann der Bundestag mit Mehrheit beschließen, ihn wieder aufzuheben. Das zu verhindern reichen die Mandate der Regierungsparteien.

Korrekterweise müsste es also nicht heißen, dass zur Ausrufung des Spannungsfalls eine Zweidrittelmehrheit des Bundestags nötig wäre, sondern dass zur Abwendung des Spannungsfalls eine Mehrheit des Bundestags für die Aufhebung einer Entscheidung der Regierung nötig wäre. Das bedeutet: die Bundesregierung kann jederzeit, wenn sie die Unterstützung der NATO dafür hat, den Spannungsfall in Deutschland ausrufen. Oder die NATO kann ihn ausrufen, wenn die Bundesregierung nicht widerspricht.