Wie die künftige internationale Geldordnung aussehen könnte und was das für den Euro bedeuten würde

20. 04. 2022 | Der Dollar als Weltwährung ist angezählt, spätestens seit der Westen die russischen Währungsreserven in Dollar und Euro eingefroren und viele russische Banken vom Zahlungsverkehrsnetz Swift abgehängt hat. Da stellt sich die Frage, wie die künftige Geldordnung aussehen wird. Welche Rolle wird digitales Zentralbankgeld, welche der Rubel und der Yuan spielen? Ein russischer Wirtschaftsstratege und Regierungsberater gibt eine recht plausible Antwort, die wenig Gutes für den Euro verheißen würde.

Im Kapitel „Geopolitik des Endspiels“ in meinem Buch „Das Endspiel des Kapitalismus“ hatte ich eine Hypothese aufgestellt, die zehn Monate nach Abschluss des Manuskripts sehr gut zu den aktuellen geopolitischen Entwicklungen zu passen scheint:

„Auf das Handeln der beiden Großmächte in den letzten Jahren kann ich mir am besten auf Basis der folgenden Hypothese einen Reim machen: Die US-Regierung geht davon aus, dass sie im offenen Wettbewerb um die Vorherrschaft mit dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land China auf Dauer nicht bestehen kann. Da die nationale Sicherheit mit globaler Dominanz gleichgesetzt wird, kommt es nicht infrage, China diesen Status zu überlassen. Die langfristige Strategie – mit der sich die chinesische Seite notgedrungen abgefunden hat – besteht daher darin, die Einflusssphären zu trennen. Die chinesischen Konzerne werden aus der US-Einflusssphäre ausgegrenzt. China macht umgekehrt dasselbe. Das Internet und das Finanzsystem werden so gut wie möglich in zwei Sphären aufgeteilt.“

Inzwischen ist deutlich geworden, mit welcher Entschlossenheit ein neuer eiserner Vorhang zwischen dem „Westen“ auf der einen Seite und China und Russland auf der anderen Seite zugezogen wird. Regierungen werden gezwungen, sich zu entscheiden, auf welcher Seite dieses Vorhangs sie stehen wollen.

Russland und China und deren gemeinsamer Einflusssphäre wird gar nichts anderes übrigbleiben, als ein eigenes Geldsystem für ihre Seite des Vorhangs zu etablieren. Denn, wenn sie weiter wie bisher für internationale Transaktionen den Dollar nutzen wollten, wären sie ständig dem Risiko ausgesetzt, dass ihr Geld konfisziert wird.

Ende Februar, kurz nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, haben die Nato-Regierungen beschlossen, die Devisenreserven der russischen Zentralbank in Dollar, Pfund oder Euro, die bei westlichen Notenbanken gehalten werden, „einzufrieren“. Ob das endgültige Konfiszierung oder nur vorübergehende Stilllegung bedeutet, ist unklar. Einen solchen Schritt gab es vorher noch nie. Rund die Hälfte der gut 600 Mrd. Dollar russischer Währungsreserven sind damit nicht mehr nutzbar.

Vorher waren bereits viele russischen Banken vom Interbanken-Zahlungsverkehrssystem Swift ausgeschlossen worden. Das bedeutet, dass sie keine internationalen Zahlungen mehr leisten können oder mindestens auf mühsame und riskante Umwege angewiesen sind.

Eigenes System wird nötig

Russland bleibt unter solchen Bedingungen kaum etwas anderes übrig als mit seinen verbleibenden politischen Partnern und Handelspartnern ein alternatives Geldsystem aufzubauen, das es erlaubt, Verbindlichkeiten gegeneinander zu verrechnen und auszugleichen.

Aber auch für andere Länder wie China, die von der US-Regierung zunehmend als Feinde betrachtet werden, gibt es kaum eine Alternative. Wenn China weiterhin die im Handel erzielten Einnahmeüberschüsse in Dollar auszahlen lässt und anlegt, riskiert das Land, dass auch diese angesammelten Überschüsse konfisziert werden.

Länder, die mit Russland und später vielleicht auch mit China trotz US-Sanktionen Handel treiben wollen, brauchen ebenfalls dringend eine Alternative zum Dollar. Denn wenn ihre Banken aus US-Sicht verbotene Geschäfte finanzieren, kann ihnen das US-Finanzministerium jederzeit die Dollarlizenz entziehen und sie damit vom internationalen Zahlungsverkehr abkoppeln.

Der Ökonom Sergei Glasjew ist Berater des russischen Präsidenten Putin und Kommissar für Integration und Makroökonomie der Eurasischen Wirtschaftsunion (Russland, Belarus, Kasachstan, Armenien und Kirgistan). In einem Aufsatz hat er vor Kurzem einen Plan für ein vom Dollar unabhängiges Währungssystem des russisch-chinesischen Blocks skizziert.

Es ist unklar, welchen Status dieser Plan hat, ob er von der russischen Regierung und noch mehr, ob er von der chinesischen Seite so gutgeheißen und verfolgt wird. Aber klar ist: auf Seiten Chinas und vor allem Russlands muss etwas in dieser Richtung passieren. Von daher ist dieser Plan allemal interessant.

Ein russischer Plan

Zunächst stellt Glasjew fest, die Finanzaufsichtsbehörden der USA, der EU und des Vereinigten Königreichs hätten, indem sie die russischen Devisenreserven auf den Depots westlicher Zentralbanken einfroren, den Status von Dollar, Euro und Pfund als globale Reservewährungen untergraben. Länder wie China, Indien und Russland würden sich für Ihre Exporte nicht mehr mit Dollar-Guthaben bezahlen lassen wollen, die jederzeit ebenfalls eingefroren werden könnten.

In letzter Zeit sei man verstärkt auf gegenseitige Kreditlinien in nationalen Währungen ausgewichen, um Handelssalden auszugleichen. Dabei seien die Preise weiterhin in Dollar gebildet und lediglich umgerechnet worden.

Nun stehe der nächste Schritt an: Ein Preismechanismus, der nicht mehr auf dem Dollar basiert. Euro und Pfund kämen aus den gleichen Gründen nicht in Frage, wie der Dollar. Der chinesische Yuan wiederum ist nur eingeschränkt in andere Währungen übertragbar und bietet nur begrenzten Zugang zum chinesischen Kapitalmarkt. Er komme deshalb auch nicht als Ankerwährung für die Preisfindung in Frage. Gold scheide wegen der Unhandlichkeit in der Nutzung für Bezahlvorgänge aus.

Ein Preismechanismus in nationalen Währungen sei zwar sehr aufwendig, aber eben für die nächsten Jahre immer noch besser als die Alternativen.

Längerfristig propagiert Glasjew die Schaffung einer neuen digitalen Zahlungswährung auf Basis eines internationales Abkommens. Ein Modell einer solchen Währungseinheit habe Russland bereits entwickelt. Diese digitale Währung könne auf Basis gepoolter Währungsreserven der BRICS-Länder ausgegeben werden, also von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Andere interessierte Länder könnten beitreten.

Das Gewicht der einzelnen Währungen im Währungskorb könne proportional zum Bruttoinlandsprodukt jedes Landes, seinem Anteil am internationalen Handel sowie der Bevölkerung und der Größe des Territoriums der teilnehmenden Länder sein. (Letzteres, etwas ungewöhnliches Kriterium soll wohl das Gewicht des Rubels vergrößern und dürfte so kaum konsensfähig sein.)

Darüber hinaus könne der Währungskorb einen Preisindex für die wichtigsten börsengehandelten Rohstoffe enthalten: Gold und andere Edelmetalle, wichtige Industriemetalle, Kohlenwasserstoffe, Getreide, Zucker sowie Wasser und andere natürliche Ressourcen.

Diese neue Währung soll ausschließlich für grenzüberschreitende Zahlungen verwendet werden. Auf Grundlage einer im Voraus festgelegten Formel soll eine Grundausstattung an die Teilnehmerländer ausgegeben werden.

Westlichen Kreditgebern drohen Ausfälle

Glasjew zufolge wäre für die Gläubigernationen und ihre Banken der Übergang zu dieser neuen Geldordnung eine sehr schlechte Nachricht. Er schreibt:

„Der Übergang zur neuen Weltwirtschaftsordnung wird wahrscheinlich mit der systematischen Weigerung einhergehen, Verpflichtungen in Dollar, Euro, Pfund und Yen zu erfüllen. In dieser Hinsicht wird er sich nicht von dem Beispiel der Länder unterscheiden, die diese Währungen ausgeben und es für angemessen hielten, die Devisenreserven des Irak, des Iran, Venezuelas, Afghanistans und Russlands in Höhe von Billionen von Dollar zu stehlen. Da die USA, Großbritannien, die EU und Japan sich weigerten, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und das in ihren Währungen gehaltene Vermögen anderer Nationen konfiszierten, warum sollten andere Länder verpflichtet sein, sie zurückzuzahlen und ihre Kredite zu bedienen?“

Jedenfalls werde die Teilnahme am neuen Währungssystem nicht davon abhängig sein, dass die interessierten Länder ihre Verpflichtungen im Rahmen des alten Systems erfüllen. Die Länder des globalen Südens könnten ungeachtet ihrer angehäuften Schulden in Dollar, Euro, Pfund und Yen vollwertige Teilnehmer des neuen Systems sein. Selbst wenn sie mit ihren Verpflichtungen in diesen Währungen in Verzug geraten sollten, hätte dies keinen Einfluss auf ihre Kreditwürdigkeit im neuen Finanzsystem. Auch die Verstaatlichung der Grundstoffindustrien hätte keine Nachteile im Rahmen des Geldsystems zufolge.

Im Lichte dieser Drohung wirkt die siegessichere Ankündigung der EU-Kommissionspräsidenten von der Leyen in der Bild-Zeitung vom 17.4. „Russlands Staatsbankrott ist nur eine Frage der Zeit“ nicht wie eine uneingeschränkt positive Verheißung. Schließlich sind es in großem Umfang westliche Kreditgeber, die den Schaden hätten.

So hat denn auch kurz darauf der Ex-Präsident und Vizechef des Sicherheitsrats Russland, Dmitrij Medwedew, Europa davor gewarnt, bei einer Zahlungsunfähigkeit seines Landes selbst in große wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Er schrieb auf Telegram:

„Die Zahlungsunfähigkeit Russlands könnte zur Zahlungsunfähigkeit Europas werden.“

Letztlich könnte der durch westliche Finanzsanktionen provozierte Staatsbankrott Russlands auf eine Enteignung des russischen Auslandsvermögen durch Londoner und andere Gerichte hinauslaufen. Dafür könnten dann unter anderem die eingefrorenen Devisenreserven Russlands konfisziert werden.

Russlands Notenbankchefin Elvira Nabiullina kündigte am 18. April an, die Regeln lockern zu wollen, die bisher von Exporteuren verlangen, ihre Deviseneinnahmen bei der Zentralbank in Rubel einzutauschen. Außerdem solle die Ausgabe digitaler Rubel getestet werden. Erste Pilotprojekte sollen in der zweiten Jahreshälfte beginnen.

China ist hier bereits erheblich weiter. Dort startete ein Pilotprojekt zum digitalen Yuan in Shenzen bereits 2020 und wurde 2021 auf 10 weitere Städte ausgedehnt.

Dem Euro droht Entwertung

Bestrebungen Chinas und Russlands auf monetäre Eigenständigkeit richten sich zwar vor allem gegen die Dollar-Dominanz. Hauptleidtragende könnten jedoch diejenigen sein, die ihr Geld in Euro angelegt haben. Denn die USA scheinen durchaus die Findigkeit und die Macht zu haben, dafür zu sorgen, dass eine rückläufige Bereitschaft von wichtigen Schwellenländern, ihre Überschüsse in Dollar anzulegen, durch verstärkte Dollar-Nachfrage aus Europa mindestens teilweise kompensiert wird. Das in Berlin schnell durchs Parlament gewunkene 100-Milliarden-Sondervermögen für das Militär ist nur ein Beispiel von vielen. Es könnte zu einem großen Teil in den Kauf amerikanischer und israelischer Waffensysteme fließen.

Änderungshinweis: Datum von 18.4. auf 20.4. korrigiert.

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