Wie Weltwirtschaftsforum, Merck und Palantir sich das digitale Gesundheitswesen vorstellen

3. 03. 2022 | Hören| Die Chefin des Darmstädter Pharmaunternehmens Merck beschreibt in einem Artikel für das Weltwirtschaftsforum, wie Pharma- und IT-Firmen gemeinsam die Gesundheitsbranche digitalisieren und unsere Genom in die Wertschöpfungskette einfügen wollen. Jeder sollte dieses, in wohlklingenden Worten beschriebene Horrorszenario lesen, sich fürchten und sich widersetzen.

„Ein digitalisiertes Gesundheitswesen bietet eine offenere, inklusivere und kollaborativere Gesundheitsversorgung.“ So ist ein Beitrag auf der Netzseite des Weltwirtschaftsforums vom 10. Februar betitelt. Was die drei wohlklingenden Artikel vor „Gesundheitsversorgung“ in Wahrheit bedeuten, erschließt sich, wenn man radikal die Perspektive der Autorin einnimmt, von Belén Garijo, Chefin des Pharmaunternehmens Merck KGaA.

  • Offen bedeutet, dass alle Tore weit offen sind für den Abfluss von Patientendaten und von staatlichem und halbstaatlichen Geld aus dem Gesundheitswesen zu den Konzernen.
  • Inklusiv heißt, dass niemand diesem digitalisierten und entmenschlichten System entkommen kann (außer denen, die sich privilegierte Spezialbehandlung leisten können).
  • Kollaborativ ist ein anderes Wort für Kartelle mit staatlicher Gewinngarantie.

In dem Text freut sich Garijo, dass „die Covid-19-Pandemie die Nachfrage nach vernetzten Medikamenten und tragbaren Geräten und Apps für die Fernüberwachung, die Einbindung der Patienten und die Einhaltung der Vorschriften(!) beschleunigt hat“. Mit dem Zugriff auf eine riesige Menge an Gesundheitsdaten ergäben sich enorme Möglichkeiten, schwärmt sie von einer transhumanistischen Zukunft, wie sie der Chef des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, seit geraumer Zeit propagiert:

„Die Verbindungen zwischen Menschen, Maschinen und Daten werden sich im nächsten Jahrzehnt dank der Fortschritte in der Gentechnik, der nächsten Generation von Halbleitern, des maschinellen Lernens und der Mensch-Maschine-Schnittstellen wie Biosensoren und Augmentierungen weiter verstärken.“

Die Digitalisierungspropagandistin stört sich daran, dass die Informationen im Gesundheitswesen weitgehend „in geschlossenen Ökosystemen isoliert sind“. Man kann das grob mit „Arztgeheimnis“ übersetzten. Dieses behindert die „Wertschöpfungsketten“, sprich Gewinnerzielung:

„Solche geschlossenen, unverbundenen Umgebungen vermindern die Möglichkeiten zur Erzielung von Synergieeffekten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.“

Dabei ist der Merck-Chefin und den anderen Digitalisierern durchaus klar. dass die Menschen das mit den geschlossenen „Ökosystemen“, also Arzt-Patientenverhältnissen, genau so wollen, wie es ist. Garijo verweist auf eine Umfrage von McKinsey, die ergeben habe:

„Die meisten amerikanischen und europäischen Patienten sind jedoch nach wie vor nicht bereit, ihre medizinischen Daten mit autorisierten Akteuren des Gesundheitswesens zu teilen – vor allem nicht mit solchen aus dem privaten Sektor.“

Aber das ist nicht etwa eine Präferenz der Menschen, die zu respektieren ist, sondern ein Hindernis, das irgendwie zu überwinden oder zu umgehen ist. Dasselbe gilt für eine Untersuchung des Imperial College in London, wonach das Vertrauen der Menschen in den USA und Großbritannien in digitales Gesundheitswesen drastisch zurückgegangen ist.

Die anrüchigste der Überwachungsfirmen, Palantir, soll es richten

Das volle Potenzial der digitalen Gesundheit könne nur mit einem offenen, ethischen und integrativen Ansatz ausgeschöpft werden, bei dem alle Beteiligten im Interesse der Patienten zusammenarbeiten, greift Garijo tief in die Kiste mit den wohlklingenden Wörtern, um dann den Knaller rauszulassen: ausgerechnet durch eine Partnerschaft mit „dem Softwareanbieter Palantir“ will Merck das notwendige Vertrauen schaffen. Palantir ist benannt nach den sehenden Steinen aus dem verfilmten Roman Herr der Ringe. Das gemeinsame Projekt heißt Syntropy. Schon der Leitspruch auf der Netzseite des Projekts ist nicht vertrauensstiftend:  „Rallying scientists everywhere around a single source of truth in biomedical data“, etwa:

„Wir versammeln Wissenschaftler von überall um eine einzige Quelle der Wahrheit in biomedizinischen Daten.“

Wer für sich in Anspruch nimmt, die einzige Quelle der Wahrheit zu besitzen, ist suspekt. Ansonsten findet man wenig mehr als wolkige Sprüche auf den Netzseiten des Projekts, auch dort, wo die Überschriften versprechen, dass man erfahren würde, wie es funktioniert.

Also ist man darauf verwiesen, sich über die beteiligten Unternehmen zu informieren, was vor allem bei Palantir bedenkliche Ergebnisse liefert. Palantir ist ein auf das Engste mit Militär, Polizei und Geheimdiensten zusammenarbeitendes Überwachungstechnologieunternehmen. Es wurde gegründet vom radikal-libertären Milliardär, Facebook-Geldgeber und Trump-Unterstützer Peter Thiel. Die ersten paar Sätze bei Wikipedia über Palantir Technologies lauten:

„Zu den ersten Kunden des 2004 gegründeten Unternehmens gehörten Bundesbehörden der Nachrichtendienstgemeinschaft der Vereinigten Staaten (USIC). Seitdem hat Palantir seinen Kundenstamm unter staatlichen und lokalen Behörden, auch in Europa, vergrößert und ist außerdem für Wirtschaftsunternehmen in der Finanz- und Pharmabranche tätig. (…) Frühe Investitionen kamen von der In-Q-Tel, dem Wagniskapitalzweig der US-amerikanischen Central Intelligence Agency, in Höhe von 2 Millionen U.S.-Dollar. Palantirs Technologie wurde in durch In-Q-Tel ermöglichten Pilotprojekten über drei Jahre hinweg von Informatikern und Geheimdienst-Analysten entwickelt.“

Oder das:

„2018 wurde bekannt, dass Palantir seit vielen Jahren Zugang zu polizeilichen und jurisdiktionellen Datenbanken in New Orleans bekommen hat. Der Konzern hat diese Behördendaten genutzt, um sein System zur Vorhersage von Straftaten versuchsweise anzuwenden. Von den Mitgliedern des Stadtrats der Großstadt hat angeblich niemand davon gewusst.“

Aber dass die Daten, die zu Palantir gehen, mehr oder weniger direkt allen US-Geheimdiensten zur Verfügung stehen dürften, was auch der CLOUD-Act sicherstellt, macht nichts, denn, Merck hat „einen Kodex für digitale Ethik (Code of Digital Ethics, CoDE) entwickelt, der das Vertrauen von Patienten und Interessenvertretern stärken kann“.

Dieser CoDE soll die „Aktivitäten im Bereich der digitalen Gesundheit auf eine solide Grundlage stellen“. Der CoDE basiert auf den Erkenntnissen aus einem Jahrzehnt digitaler Ethik und regelt, wie Merck alle Aktivitäten im Zusammenhang mit der Entwicklung, Vermarktung und Nutzung digitaler Produkte und Prozesse angeht.

Man traut sich sogar, neben den schönen wolkigen Worten Autonomie, Gerechtigkeit, Wohltätigkeit und Transparenz auch noch „Nicht-Maliziösität“ als Grundsatz des CoDEs aufzuführen. Also das, was Google weniger abstrakt als seinen Wahlspruch hatte: „Don’t be evil“ (Sei nicht bösartig). Als allzu offensichtlich geworden war, wie weit sich Google von diesem Grundsatz entfernt hatte, wurde dieser einfach gestrichen.

Aber das wird Merck natürlich nie und nimmer tun, denn sonst könnte CoDE ja nicht „gewährleisten, dass Merck auf sichere, transparente und verantwortliche Weise arbeitet, was den Patienten, dem Gesundheitswesen und der Gesellschaft insgesamt zugute kommt“. Und wenn dann auch noch die anderen Gesundheitsunternehmen Mercks Aufforderung folgen und auch „die Einführung von CoDEs in Erwägung ziehen“, dann kann den Patienten ja nichts mehr passieren, wenn die ganze „Wertschöpfungskette“ und alle Geheimdienste all ihre Gesundheitsdaten bekommen.

Der Schlüssel zu unseren Genen in der Hand von Palantir

Nachdem also klargestellt ist, dass ein freiwilliger Don’t-be-evil-Vorsatz von Merck, dem sich vielleicht andere anschließen, dafür sorgen wird, dass nicht einmal dann etwas passieren kann, wenn eine der übelsten Totalüberwachungsfirmen der Welt mit im Boot ist, kann man sich den ganz großen, bzw. ganz kleinen Dingen zuwenden, unserem Genom, dem Schlüssel zu unserem Sein:

„Unsere Branche hat heute die Möglichkeit, auf den jüngsten Durchbrüchen im Verständnis des menschlichen Genoms und den modernen Sequenzierungstechnologien aufzubauen, um eine universelle molekulare Signatur der menschlichen Vielfalt zu schaffen.“

Natürlich nur zu unserem Besten …:

„Die Integration einer solchen Plattform für molekulare Signaturen mit anderen quantitativen Übersetzungswerkzeugen, fortschrittlicher Analytik und Bioelektronik wird es unserer Branche ermöglichen, Krankheitsrisiken früher zu erkennen und besser vorherzusagen, welche Therapie und Dosierung für den einzelnen Patienten am besten geeignet ist.“

… und nicht etwa dazu, durch Verknüpfung mit anderen Informationen, die alle bei Palantir zusammenlaufen und mit den anderen Akteuren in der „Wertschöpfungskette“ geteilt werden, zu entscheiden, wer zur Renitenz neigt oder wohl kriminell wird, wer noch eine Versicherung bekommt, wer sich nicht an Gesundheitsratschläge hält und deshalb mehr zahlen muss, wer sich fortpflanzen darf, usw, usf. Der Fantasie, was man mit KI und allumfassender Information über unser Genom, unseren Gesundheitszustand und unsere Finanzen machen kann, sind keine Grenzen gesetzt.

Wahrlich eine Schöne neue Welt, die uns Frau Garijo hier in freundlichen Farben ausmalt.

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