Warum Heiner Flassbeck Unrecht hat und Helikoptergeld besser wäre als noch mehr Geld in die Finanzbranche zu pumpen

 Heute dürfte die Europäische Zentralbank die letzten noch nötigen Beschlüsse fassen, damit ihre große Geld-in-die Finanzmärkte-Pumpaktion starten kann. Die Mitglieder der Forbes-Liste der Superreichen freuen sich schon. Heiner Flassbeck nimmt dennoch die EZB gegen die übermäßige Kritik von Leuten wie mir in Schutz, weil er diese Vorgehen für pragmatisch und unter den gegebenen Verhältnissen alternativlos hält. Dabei rechnet er

erstaunlicher Weise sogar die dogmatischen Selbstfestlegungen der Notenbanker zu den mildernden und rechtfertigenden Umständen.

  Eigentlich haben Heiner Flassbeck und ich uns immer ganz gut verstanden. Die These, die ihm am wichtigsten ist, finde ich richtig. In einer Währungsunion sollen sich alle Länder an eine Lohnleitlinie halten, nach der die Löhne etwa mit der Inflationsrate plus dem Produktivitätsgewinn steigen. Aber die These, die ich in letzter Zeit propagiert habe, mag Heiner Flassbeck gar nicht. Er hält es für unverantwortlich und dumm, vorzuschlagen, die EZB könne das der Wirtschaft fehlende Geld auf andere Weise in Umlauf bringen, als dadurch, dass sie den Banken und Kapitalsammelstellen ihre Wertpapiere abkauft. Unter anderem in dem recht viel gelesenen Blogbeitrag TINA ist doof: 10 Wege für die EZB, Geld in Umlauf zu bringen ohne die Reichen noch reicher zu machen und die Armen den nächsten Crash ausbaden zu lassen, habe ich diese These vertreten und mit praktischen Beispielen für Handlungsalternativen unterfüttert. In einem kürzlich erschienen Blog haben Heiner Flassbeck und  Friederike Spiecker das kurz erwähnt. Zum Beweis ihrer geringen Hochachtung für solche Thesen, haben sie sie nur summarisch mit Verweis auf Flassbecks etwas älteren Artikel gegen Helikoptergeld beantwortet.

 Heiner Flassbeck ist ein zu Recht bekannter und auch ziemlich exponierter Vertreter des Keynesianismus in Deutschland. Seine Haltung gegenüber Geldreformern wie mir ist nicht untypisch in keynesianischen und post-keynesianischen  Kreisen, zu denen ich zwar nicht gehöre, denen ich aber in sehr vielen Fragen sehr nahe stehe. Daher will ich auf seine Kritik öffentlich antworten, in der Hoffnung, dass sich eine klärende Diskussion ergibt.

 Mich erstaunt die Heftigkeit und Pauschalität der Ablehnung. Immerhin laufen einige meiner zehn Beispiele genau auf das heraus, was Heiner Flassbeck möchte: dass die Notenbank dem Staat mehr Geld gibt, damit dieser mehr Geld ausgeben kann. Ich schlage gesetzeskonforme Wege vor, wie das geht. Dass er trotzdem so summarisch schreibt, er sei nicht überzeugt, lässt mich vermuten, dass er so angewidert war, dass er recht früh zu lesen aufgehört hat.

 Ich gebe zu, mit der Helikoptergeldgeschichte bewege ich mich in einer Gesellschaft, die Heiner Flassbeck sehr unappetitlich findet, ist für ihn doch schon das Vorkommen eines Arguments in der FAZ ein Grund, dieses als offenkundig böswillig einzustufen. Milton Friedman hat Helikoptergeld vorgeschlagen, Ben Bernanke hat den Namen popularisiert. Willem Buiter von der Citigroup, Thomas Mayer, ehemals Deutsche Bank, IWF-Volkswirt Michael Kumhof, Ex-Boston Consulting Group Partner Daniel Stelter, die Liste derer, die Helikoptergeld im Munde führen, ist ein Graus für einen aufrechten Keynesianer. Das verstehe ich.

 Aber Heiner Flassbeck argumentiert ja auch an der Sache, und sogar ziemlich ausführlich. Ich bin guten Willens, auf seine Argumente einzugehen, aber es ist nicht leicht. Die Argumentation macht Volten. Sie widerspricht sich immer wieder selbst, zumindest im Tenor. Das verwirrt mich, kenne ich ihn doch als sehr klar denkenden Wissenschaftler. Erst der letzte Absatz seines Traktats gegen das Helikoptergeld öffnet mir die Augen:

 “Wenn wir nur endlich in der Lage wären, den Zusammenhang zwischen Löhnen bzw. Lohnstückkosten und Preisen zu erkennen, wäre es ein Leichtes, der Deflation zu entkommen. Aber selbst für ansonsten unkonventionelle Denker ist der Gedanke einer Intervention des Staates an den Arbeitsmärkten zur Wiederherstellung eines für die Marktwirtschaft normalen Lohnregimes entschieden zu unkonventionell. Sie können sich die wildesten Kopfstände der Notenbanken vorstellen, aber die Erkenntnis, dass der Arbeitsmarkt nicht sich selbst überlassen werden darf, geht ihnen zu weit. Dass die ganze Misere angerichtet wurde durch massive Interventionen des Staates an den Arbeitsmärkten, nämlich durch Druck in Richtung sinkende Löhne, wird ausgeblendet, weil auch bei den meisten der sogenannten Progressiven „flexible“ Arbeitsmärkte als vollkommen normal gelten.“

 Das sind seine Abschlussworte. Daraus spricht Kränkung. Darüber, das viel zu wenige sich hinter seine Fahne stellen und mit ihm in den wichtigen Feldzug für eine bessere Lohnpolitik ziehen. Das kann ich verstehen. Aber allgemein gilt, dass man einen fremden Vorschlag nicht aktiv schlecht machen sollte, nur weil die Anderen den eigenen guten Vorschlag nicht hinreichend unterstützen. Und, lieber Herr Flassbeck, ich war‘s nicht! Ich denke, ich habe gezeigt, dass man hartnäckig und nachdrücklich für einen Mindestlohn und eine bessere Lohnpolitik streiten kann UND für eine bessere Geldpolitik, die nicht vor allem die Reichen reicher macht.

 Ich habe aber versprochen, nach Möglichkeit auf Ihre Argumente einzugehen, so überraschend sie auch daher kommen mögen. Mit überraschen meine ich so reaktionär, dass sie sich selbst gleich wieder davon distanzieren müssen.

 Nehmen wir den ganz einfachen Helikoptergeld-Vorschlag, die Europäische Zentralbank möge zur Bekämpfung von Deflation und Nachfrageschwäche jedem Bürger einen Scheck über –sagen wir – 3000 Euro schenken. Heiner Flassbeck schreibt dazu:

 „Geld kann man nur auf die Weise in seinen Besitz bringen, dass man arbeitet und erfolgreich am Markt tauscht, und nur auf diese Weise kann man Vermögen aufbauen, in Geld oder in Sachanlagen. Man mag es gut finden oder nicht, aber Geld und Leistung sind zum Synonym geworden.“

 „Auch das Geld, das die Europäische Zentralbank (EZB) wie jede Notenbank den privaten Banken im Austausch für werthaltige Papiere zur Verfügung stellt, ist Geld für eine Leistung, nämlich Geld dafür, dass die Banken die Kreditvergabe an die Privatwirtschaft und den Staat sozusagen im Namen der Zentralbank organisieren.“

 Das ist jetzt durcheinander. Kaum einer behauptet ernsthaft, dass die Banken Geld von der EZB geschenkt bekommen, auch wenn sie derzeit keine Zinsen dafür bezahlen müssen. Sie bekommen es geliehen. Die EZB aber schafft das Geld aus dem Nichts, das sie den Banken leiht. Nehmen wir noch das nächste Zitat dazu, bevor wir weitermachen:

 „Umgekehrt erwartet der Bürger, dass sich der Staat an die Regel hält, dass er zu wirtschaften hat unter der finanziellen Restriktion (der Budgetrestriktion, sagen die Ökonomen), die für ihn das Steueraufkommen schafft (einschließlich vernünftigerweise einer gewissen Verschuldung, wenn wir denn nicht inzwischen den Unfug einer Schuldenbremse geschaffen hätten).“

 Gehen wir von normalen Zeiten aus, in denen die Zentralbank den Banken Zentralbankguthaben gegen positive Zinsen leiht, oder dass sie, wie in den USA, Geld in Umlauf bringt, indem sie verzinsliche Wertpapier ankauft: Dann entsteht beim bei der Zentralbank ein Geldschöpfungsgewinn, den sie dem Staat ausschüttet (wenn ihr nicht genug Bilanzierungstricks einfallen, um ihn selbst zu behalten). Die Bürger haben sich noch nie daran gestört, dass die Regierung Geld ausgibt, das sie nicht über Steuern oder Verschuldung, sondern über Geldschöpfungsgewinne, auch Seignorage genannt, eingenommen hat. Aber die Banken hat es schon gestört, weshalb sie erwirkt haben, dass die Zentralbank ihnen für die Guthaben, die sie sich von der Zentralbank leihen, auch wieder Zinsen zahlt, sodass der Gewinn für den Staat deutlich kleiner ausfällt, der der Banken entsprechend größter (Stichwort: Mindestreserveverzinsung).

 Außerdem: Wenn eine so abstrakte Leistung des Bankensystems insgesamt, wie die Organisation der Kreditvergabe an die Privaten schon den Banken geschenktes Geld rechtfertigen und ihnen den Charakter von Geschenken nehmen würde, dann lässt sich eine entsprechende Argumentation sehr leicht für jedes andere „Geschenk“ aufmachen. Der Staat bekäme das Geld dafür, dass er all die guten Dinge tut, die ein Staat idealer Weise für die Bürger tut. Der Bürger bekäme es dafür, dass er in einer Zeit, in der zu wenig Geld in Umlauf und zu wenig zahlungskräftige Nachfrage da ist, eben diese Nachfrage entfaltet und das nötige Geld in Umlauf bringt, zum Nutzen aller. Warum sollen für so etwas nur die Banken Privilegien erhalten. Das ist wirklich ein Argument der Handelsklasse C.

 „Erst das Helikoptergeld durchbricht die eiserne Regel, dass Geld an eine Ware bzw. eine (Dienst-)Leistung geknüpft ist. Helikoptergeld ist Geld für nichts. Nehmen wir an, die EZB entschließe sich, jedem europäischen Bürger morgen einen Scheck über 3000 Euro zu schicken. Das wäre Geld für nicht. Kaufte die EZB selbst für gedrucktes Geld Güter, die sie nicht braucht und nicht gebrauchen kann, machte es das nicht besser. Die Grenze, die der Notenbank bisher die Legitimation gibt, Geld aus dem Nichts zu schaffen, ist überschritten, sobald sie dieses Geld ohne Gegenleistung weitergibt.“

 Das ist mir ziemlich unverständlich. Die Zentralbank hat dem Staat schon immer ohne Gegenleistung Geld gegeben. Wer Geld einfach so schaffen kann, macht in einer Welt, in der der Geldumlauf immer größer wird oder werden soll, laufend einen Gewinn. Nun geht es darum, dieses Geld, das die Geschäftsbanken, die das üblicherweise tun, derzeit nicht in hinreichendem Maße schaffen, auf andere Weise in Umlauf zu bringen. Da ist das Potential für staatlichen Geldschöpfungsgewinn eben besonders groß.

 Die EZB will das mit der mengemäßigen Lockerung, denglisch gern QE für Quantitative Easing genannt, tun, und Heiner Flassbeck hält das für gut und richtig. Doch was bedeutet das anderes, als das die Zentralbank Wertpapiere kauft (die sie auch nicht braucht und nicht gebrauchen kann, um mit Heiner Flassbeck zu sprechen). Kauft sie Staatsanleihen, enthebt sie die Bürger der Verpflichtung, den Schuldendienst für diese Staatsanleihen per Steuern zu bezahlen, denn er zahlt den Schuldendienst ja an sich selbst, solange die Notenbank die Anleihen hält. Das kommt im Prinzip auf das Gleiche heraus wie ein Scheck an die Steuerzahler, mit dem diese dann die für den Schuldendienst des Staates nötigen Steuern leisten. Nur die Verteilungswirkung ist eine andere, weil immer noch die Gut-Verdienenden mehr Steuern zahlen als die Armen. Es macht auch unterwegs noch die Reichen reicher, indem es den Haltern von Staatsanleihen den Gewinn aus deren Kursanstieg zukommen lässt, und den Haltern sonstiger Wertpapier und Immobilien ebenfalls, deren Preise im Sog der Anleihen nach oben gezogen werden.

 Trotzdem schreibt Heiner Flassbeck weiter gegen das Helikoptergeld an, mit einer dramatischen Warnung:

 „Die Reaktionen auf solches Helikoptergeld wären unterschiedlich. … einige würden zu dem Ergebnis kommen, dass Geld, das vom Himmel regnet, nicht genauso gut sein kann wie Geld, das nicht vom Himmel regnet, und sie würden deshalb ihr gesamtes Geld so schnell wie möglich in Dollar oder Schweizer Franken umtauschen. Oder sie würden in Sachwerte fliehen, also Betongold oder wirkliches Gold kaufen.“

 Es macht aber keinen prinzipiellen Unterschied, auf welchem Weg die Notenbank zusätzliches Geld in Umlauf bringt, wenn die Bürger unter Inflationsphobie leiden. Auch durch die mengenmäßige Lockerung in den USA und die Niedrigzinspolitik in Europa hat das Vertrauen in unser Papiergeldsystem durchaus gelitten, obwohl statt der seit fünf Jahren vorausgesagten unvermeidlichen Hyperinflation tatsächlich Deflation eingetreten ist.

 Eine Blase der Vermögenspreise drohe bei einer solchen Reaktion der Bürger, schreibt Flassbeck. Diese Argumentation ist schräg, wirkt doch die mengenmäßige Lockerung, wie sie die EZB plant, und die Flassbeck verteidigt, ganz direkt über eine Aufblähung der Vermögenspreise.

 Zugegeben: die Mechanismen, mit denen die Notenbank Geld in die Finanzbranche und die Finanzmärkte pumpt und so die Vermögenden besonders begünstigt, sind erheblich schwerer zu durchschauen, als die Wirkungsweise eines Schecks an alle. Das ist auch der Grund, warum die Finanzbranche und die Notenbank, als deren Interessenwahrer, so vehement dagegen ist. In Heiner Flassbecks Worten: Mancher würde überlegen, was er tun muss, damit er öfter in den Genuss eines so schönen Geschenkes kommt.“ In meinen Worten. Die Leute würden auf den Geschmack kommen und es auch in normalen Zeiten nicht mehr einsehen, dass die Banken den Löwenanteil des Geldschöpfungsgewinns bekommen. Die Wähler würden ihn für sich reklamieren wollen, entweder als regelmäßiger Scheck für alle, wahrscheinlicher als Seignorage für den Staat um die Steuerlast zu senken. Diese Abwehrhaltung der Finanzbranche ist sehr verständlich. Dass Heiner Flassbeck dies so vertritt verstehe ich überhaupt nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass er es mir irgendwann noch verständlich machen kann.

 Dafür muss allerdings die Schizophrenie raus aus seiner Argumentation: Er schreibt:

 „Wenn eine Zentralbank zu diesem letzten aller Mittel griffe (und das ist wirklich das letzte Mittel) und Geld verschenkte, dann wäre das gesamte Geldwesen am Ende und mit ihm jede monetäre Marktwirtschaft und damit, wie die Dinge heute stehen, auch automatisch unsere Demokratie. Deshalb steht dieses Mittel definitiv nicht zur Verfügung.“

Das könnte von Thorsten Polleit sein. Nur wenige Zeilen weiter unten brandmarkt Flassbeck dann genau diese Haltung, die er hier mit Verve propagiert  als reaktionär:

 „Außerdem dürfte es als Reaktion auf Helikoptergeld zu politischen Kampagnen kommen, die die Verunsicherung der Bevölkerung schürten und den Rattenfängern aus allen Lagern Tür und Tor öffneten. Vor allem die Rechte würde das zum Anlass nehmen, den Untergang des Abendlandes herbeizureden, und sie hätten sicher enormen Zulauf, weil den meisten Menschen das Prinzip ‚Geld nur gegen Leistung‘ in Fleisch und Blut übergegangen ist.“

 Verstehen Sie, Herr Flassbeck, dass ich verwirrt bin, und deshalb nicht ganz davon überzeugt, dass meine Vorschläge wirklich so abseitig und unverantwortlich sind, wie sie das darstellen? Es ist sicher richtig, dass Überzeugungsarbeit nötig sein wird, bevor sie realistisch umsetzbar werden. Darauf dürfen Sie gerne hinweisen. Aber das heißt doch nicht, dass sie sich dermaßen ostentativ in die Schuhe derer stellen müssen, die hinter jeder Ecke die Hyperinflation vermuten, die allergisch gegen den Gedanken sind, das Geldsystem könne auch in den Dienst anderer Interessen als denen der Besitzenden und der Finanzbranche gestellt werden. Das macht die Überzeugungsarbeit nicht gerade leichter.

Fortsetzung:

Keynesianer und Geldwesen – Antwort auf Heiner Flassbeck

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