Die Pretzell-Lachmann-Affäre: Kein Ruhmesblatt für die „Welt“ und die Medien (mit Stellungnahme n-tv.de)

Der lange mit medialer Nichtbeachtung bedachte Vorwurf des NRW-Landesvorsitzenden der AfD hat gestimmt.  Der „Welt“-Journalist Lachmann  wollte die AfD  PR-mäßig beraten und dabei weiter bei der „Welt“ über die AfD berichten.  Nachdem die „Welt“ am Freitag noch einmal dementiert und eine Klage ihres Redakteurs bekannt gegeben hatte, hat sie ihm nun gekündigt. Die Sache hinterlässt einen mehr als schalen Nachgeschmack.

„Welt“-Chefredakteur Stefan Aust machte die Kündigung am heutigen Samstag um 17.14 Uhr per Twitter in einem kurzen Satz ohne Begründung bekannt, und zwar erst nachdem die „Junge Freiheit“ über die Beweise für Lachmanns Grenzübertritte berichtet hatte, die ihr Marcus Pretzell von der AfD gesteckt hatte.

Wenigstens darf man bei diesem Ablauf annehmen, dass Lachmann nicht im Auftrag der „Welt“ als Spion bei der AfD eingeschleust werden sollte. Wenn sie gewusst hätte, was los ist, hätte sich die „Welt“ wohl anders angestellt. Die Vermutung einer Leserin meines Blogs, dass Dritte ihn – ohne Wissen der Welt – hätten einschleusen wollen, ist damit allerdings nicht ausgeräumt. Die einfachste Erklärung ist aber natürlich das pekuniäre Interesse gepaart mit ideologischer Nähe. Letztere wiederum war angesichts von Lachmanns Online-Magazin „Geolitico“ offenkundig und lässt die „Welt“ schlecht aussehen. Warum berichtet ein dieser Partei ideologisch sehr nahestehender Journalist für eine angesehene überregionale Zeitung über eben diese Partei.

Auf vielfache Weise sieht die „„Welt““ in dieser Affäre alles andere als gut aus. Noch am 29.1., vier Tage nach dem öffentlichen Vorwurf Pretzells, Lachmann habe heimlich gegen Gehalt die AfD beraten und weiter in der „Welt“ über diese berichten wollen, erschien laut Lachmanns Autorenseite ein Beitrag von ihm über die AfD. Das ist indiskutabel, denn von Lachmann hatte es bis dahin kein öffentliches Dementi gegeben und keine Klage gegen Pretzell. Die „Welt“ hätte ihn nicht weiter über die AfD schreiben lassen dürfen, solange er nicht wenigstens öffentlich dementiert und eine Klage gegen Pretzell auf den Weg gebracht hat. Es dauerte aber 18 Tage, bevor die „Welt“ ihren Redakteur erfolgreich „ermutigt“ hatte, auf Unterlassung zu klagen. Zwischenzeitlich erschien am 8.2. nochmals ein Betrag von ihm in der „Welt“, wenn auch diesmal immerhin nicht zur AfD.

Auch die übrigen Medien sehen alles andere als gut aus. Zu Anfang berichteten nur die AfD-nahe „Junge Freiheit“ und der „Preußische Anzeiger“. Es dauerte bis 8. Februar, bis der Medienblog „Übermedien“ als erstes berufenes Medium mit ein bisschen Beitenwirkung  darüber berichtete. (Ich hatte vorher berichtet über die gespenstische Stille in den Medien und viel getwittert, aber ich fühle mich eigentlich nicht berufen, tat es nur, weil es sonst niemand tat.)

Das Internet-Leitmedium „Spiegel Online“ wartete geschlagene 18 Tage, bis es erstmals berichtete. Nach 18 Tagen hatte nämlich die „Welt“ ihren Journalisten endlich so weit, dass er auf Unterlassung klagte. So konnte man endlich berichten, dass Lachmann dementiert. Garniert wurde die SPON-Story damit, dass Pretzell und Petry im Parteivorstand Stress hätten. Erst heute, nachdem Lachmann entlassen wurde, berichten alle, von der „Junge Freiheit“ über „Zeit Online“ bis zu „Neues Deutschland“.  Sie  haben einen schweren Fehler gemacht, indem sie die Affäre ihren Lesern so lange vorenthalten haben. Natürlich ist es peinlich, wenn einer der Unseren so etwas macht. Natürlich will man der Klientel der AfD keine Munition für Lügenpresse-Vorwürfe frei Haus liefern. Doch solche Versuche, Unangenehmes unter dem Teppich zu halten, gehen zu oft nach hinten los. Das sollten wir doch spätestens seit Köln gelernt haben.

Die Gedankengänge dahinter werden besonders schön in dem heutigen Bericht von n-tv deutlich, den ich beispielhaft zitieren will. Nachdem der Newskanal drei Wochen lang nicht über die Affäre berichtet hatte, titelte er nach Lachmanns Entlassung allen Ernstes „AfD deckte einen zwielichtigen Journalisten“, so als sei es der eigentliche Skandal, dass die AfD Lachmann  zwar abblitzen ließ, dann aber ein paar Monate wartete, bis sie die Sache öffentlich machte – weil Pretzell erklärter Maßen nicht mehr mitansehen wollte, wie Lachmann aus Rache ungehindert Gift gegen AfD-Parteichefin Petry und ihn in der „Welt“ spritzte.

Und so sieht die lahme Begründung von n-tv für wochenlanges Schweigen aus.

„Nach der Veröffentlichung wies die „Welt“ die Vorwürfe auf Anfrage von n-tv.de zunächst zurück. Dem Medienportal „Übermedien“ teilte sie mit: „Die Redaktion der ‚Welt‘ begleitet die AfD mit der gleichen journalistischen Sorgfalt, wie andere Parteien auch.“ Pretzell selbst antwortete nicht auf eine Anfrage von n-tv.de. Da er keine Beweise vorlegte, war unklar, wer Recht hat.“

Sorry, n-tv und andere, das ist zu billig. Dass Pretzell schwieg, war normal. Er musste mit einer Klage rechnen und deshalb vernünftiger Weise sein Pulver trocken halten. Beweise legt man dem Gericht vor, nicht den Medien. Man hätte vor allem berichten müssen, dass Lachmann sich nicht äußerte, nicht dementierte und wochenlang nicht klagte. Das war nicht normal, jedenfalls für jemand, der eine reine Weste hat. Das Dementi der „Welt“ damals war äußerst lahm. Bei einem derart öffentlichen und ehrenrührigen Vorwurf kann man sich beim Ausbleiben eines echten Dementis nicht darauf herausreden, dass noch nicht bewiesen war, wer Recht hat.

Man hätte Lachmann  nicht vorverurteilt, wenn man darüber berichtet hätte, mit dem Hinweis, dass bisher weder Beweise, noch ein Dementi vorliegen. Aber wenn die Affäre richtig öffentlich geworden wäre, hätten Lachmann und die „Welt“ sich mit einer Unterlassungs- oder Verleumdungsklage nicht 18 Tage Zeit lassen können, sondern höchsten drei. Und dann wäre Pretzell innerhalb weniger Tage geliefert gewesen, wenn er seine Behauptung nicht hätte belegen können – und Lachmann rehabilitiert und ein Held. So wäre es richtig gewesen. So wie es tatsächlich lief, war es nicht richtig. Das müssen wir noch üben.

Änderungshinweis: Ich hatte in einer frühen Version versehentlich Stefan Pretzell geschrieben und später in Marcus Pretzell korrigiert.

Stellungnahme: Der Autor des von mir beispielhaft zitierten und kritisierten Beitrags auf n-tv.de nimmt folgendermaßen Stellung:

Lieber Herr Häring,
in ihrem Blog kritisieren Sie den Text, den ich heute auf n-tv.de zur Sache Lachmann/Pretzell veröffentlicht habe. Ich möchte dazu Stellung nehmen.
1. Ich halte Herrn Pretzell für keine gute Quelle, um Medienkritik zu betreiben. Warum, muss ich wahrscheinlich nicht genauer erklären. Als er seinen Vorwurf veröffentlichte, habe ich ihm eine Anfrage geschickt. Im Gespräch hätte ich zumindest einen Eindruck davon gewinnen können, ob er fantasiert oder ob er etwas in der Hand hat. Seine Sprecherin sagte mir zu, sich zu melden, was nicht geschah. Auch bei Ihnen meldete er sich ja offensichtlich nicht.
2. Sie schreiben: „Bei einem derart öffentlichen und ehrenrührigen Vorwurf kann man sich beim Ausbleiben eines echten Dementis nicht darauf herausreden, dass noch nicht bewiesen war, wer Recht hat.“ Doch da Pretzell nicht antwortete, stand nicht nur Aussage gegen Aussage. Es stand auch „Ausbleiben eines echten Dementis“ gegen „Ausbleiben einer Antwort auf eine Presseanfrage“. Beide Seiten wirkten unglaubwürdig. Zumal ich noch immer nicht verstehe, warum Pretzell keinen einzigen Beweis vorgelegt hat, wenn sein Vorwurf doch angeblich „verbrieft“ ist. Angesichts der vielen Unklarheiten entschied ich gemeinsam mit der Redaktion, dass wir bei diesem Stand der Dinge nicht berichten.
3. Ich hätte an diesem Stand der Dinge gerne etwas geändert. Doch ich habe weder gute Kontakte in die Welt-Redaktion, noch in die AfD-Spitze. Es war mir praktisch nicht möglich, diese Sache veröffentlichungsreif zu recherchieren. Ich hoffte sehr darauf, dass Kollegen mit besseren Kontakten, von denen es ja reichlich gibt, dies tun würden – so unbefriedigend das für mich war.
4. Sie schreiben: „Natürlich ist es peinlich, wenn einer der Unseren so etwas macht. Natürlich will man der Klientel der AfD keine Munition für Lügenpresse-Vorwürfe frei Haus liefern.“ Und das wollen Sie dann an meinem Text festmachen. Ich weiß nicht, ob viele Journalisten so denken. Ich denke nicht so, im Gegenteil. Falls Sie sich davon überzeugen möchten, lesen Sie gerne beispielhaft hier nach: https://www.n-tv.de/politik/Die-AfD-macht-Ernst-article16455901.html
5. Die Leser von n-tv.de interessieren sich für Parteipolitik und besonders für die AfD, allerdings nicht so sehr für Vorgänge in Medienhäusern. Ich habe darum den Vorgang bei der „Welt“ in der Dachzeile und den bei der AfD in der Überschrift erwähnt. Worin nun der „eigentliche Skandal“ besteht, überlasse ich gerne dem Leser. Dass die „Welt“ in der Sache nicht gut aussieht, wird dennoch deutlich, glaube ich.
Mit freundlichen Grüßen

Christoph Herwartz

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