Lorenz Jarass: Es gibt weniger riskante Maßnahmen zur Lockdown-Vermeidung als Massenimpfungen

3. 12. 2020 | Die Bundesregierung forciert Massenimpfungen gegen Corona, um endlich Lockdowns vermeiden zu können, auch mit neu entwickelten RNA-Impfstoffen nach stark beschleunigten Zulassungsverfahren. Da über mögliche Langzeitwirkungen noch kaum etwas bekannt ist, hält Gastkommentator Lorenz Jarass das für riskant. Er verweist auf weniger riskante Alternativen. 

Lorenz Jarass. RNA-Impfstoffe sind laut Darstellung der Entwickler sehr wirksam und zudem ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Anträge auf Notfallzulassung wurden bereits in den USA gestellt, bei der Europäischen Arzneimittelagentur wird eine beschleunigte Zulassung vorangetrieben, in Großbritannien wurde bereits die erste erteilt. Noch in diesem Jahr könnten 50 Millionen Impfdosen produziert werden, bis zu 1,3 Milliarden im kommenden Jahr, wie ein Hersteller erläutert. Das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut der Bundesregierung erläutert:

„RNA-Impfstoffe enthalten die Erbinformation in Form von Boten-RNA … . Diese Erbinformation wird von Körperzellen als Bauplan genutzt, um das spezifische Antigen … selbst zu produzieren.

Es erfolgt also bei jedem Geimpften ein Eingriff in menschliche Zellen, und das nicht nur schrittweise bei einigen Versuchspersonen oder schwer Erkrankten, sondern sofort bei vielen Millionen. Welche Auswirkungen kann dieser Eingriff haben? Wird z.B. das Risiko von Krebserkrankungen erhöht oder die Erbinformation für die nächste Generation beeinflusst?

Die Hersteller beruhigen: RNA-Impfstoffe seien unschädlich. Die Boten-RNA gingen zwar in die Zelle, aber nicht in den Zellkern und können nach bisherigem Kenntnisstand nicht in eine schwere Krankheit münden. Eine Veränderung des Erbguts ist laut Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgeschlossen, da es sich bei mRNA um ein Botenmolekül handele, das nicht in die DNA einer Zelle eingebaut werden könne.

Bei Corona-Impfstoffen ohne direkten Eingriff in die Körperzellen kann man vielleicht auf analoge Erfahrungen mit ähnlichen Impfstoffen gegen andere Krankheiten zurückgreifen, aber welche Risiken die neuen RNA-Impfstoffe haben, kann wohl abschließend erst nach Langzeitstudien beurteilt werden.

Lehren aus dem Fall Contergan

Da hilft ein Blick zurück: Contergan wurde 1957 als rezeptfreies Beruhigungsmittel auf den Markt gebracht, im Frühjahr 1959 wurde in einem Bundestagsbericht die Angst vor Missbildungen als übertrieben abgetan, so Prof. Thoman in „Die Contergan-Katastrophe„. Erst als der Hamburger Kinderarzt Dr. Lenz aus eigener Initiative durch Befragung von 20 Contergan-Müttern einen Zusammenhang zwischen Contergan und den Missbildungen herstellte und Die Welt darüber berichtete, wurde 1961 der Vertrieb von Contergan eingestellt. Die jährlichen Folgekosten von weit über 100 Mio. Euro trägt der Steuerzahler, mit den Folgen leben die Contergankinder und ihre Familien.

Man mag einwenden, der Vergleich zu Contergan ohne Beleg für eine wirkliche Gefahr schüre Ängste in einer verunsicherten Bevölkerung. Aber auch bei Contergan gab es keine Belege für schwere Risiken, und deshalb hat man massenhaft den Einsatz erlaubt.

Das Vorgehen muss anders sein, das hat man durch Contergan gelernt. Ein Medikament setzt man ohne Langzeiterfahrung nur für schwere Fälle ein, z.B. bei einem Krebskranken, der ohne das Medikament sterben würde oder für Ältere mit Vorerkrankungen, deren Gesundheit und Leben durch Corona erheblich gefährdet ist. Ältere pflanzen sich in der Regel nicht mehr fort, langfristig negative Folgen einer Corona-Impfung erleben sie häufig nicht mehr. Ihre Risiken sind also deutlich kleiner, der Nutzen ist hingegen deutlich größer als bei Jüngeren.

Es sollte natürlich jedem Einzelnen überlassen bleiben, sich nach persönlicher Nutzen-Risiko-Analyse für eine Corona-Impfung zu entscheiden. So wird eine 60-jährige Asthmatikerin, die ihre alleinstehende 82-jährige Mutter in New York baldmöglichst besuchen will, den Nutzen einer Impfung wohl höher einschätzen als das Risiko. Aber es stellt sich die Frage, ob die Regierung wirklich angesichts der völlig ungeklärten Langzeitrisiken für die gesamte Gesellschaft eine Corona-Impfung für möglichst viele Personen forcieren sollte.

Auch Impfstrategien müssen öffentlich diskutiert werden

Es droht der Einwand: Wer die laut Regierung dringend erforderlichen Massenimpfungen hinterfragt, gefährdet deren Erfolg. Doch unsere freie Gesellschaft profitiert von einer öffentlichen Diskussion, die alle Aspekte kritisch beleuchtet. An dieser Diskussion dürfen und müssen sich auch Personen und insbesondere Wissenschaftler aus anderen Disziplinen beteiligen, weil die Fachleute´im Regelfall der Meinung sind, dass das von ihnen entwickelte und hergestellte Medikament nach intensiven Tests keine nennenswerte Nebenwirkungen hat.

Durch Nutzung des Wissens von vielen (´Schwarmintelligenz´) werden Fehlentwicklungen verhindert und eine starke Innovationskraft begünstigt, die Grundlage für eine positive Entwicklung unseres Landes ist. Leider wird der Austausch von Argumenten auch in unserer freien Gesellschaft in wachsendem Umfang eingeschränkt. So löscht YouTube seit kurzem auf staatlichen Druck hin alle „Behauptungen über Schutzimpfungen gegen COVID-19, die der übereinstimmenden Expertenmeinung lokaler Gesundheitsbehörden oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) widersprechen“.

Mit Corona in das Zeitalter der Internetzensur

Die laufenden Lockdowns zur Reduzierung der Infektionen dienen insbesondere der Sicherstellung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung, ruinieren aber die Staatshaushalte, die Lebensqualität vieler Menschen und mit wachsender Dauer immer mehr Unternehmen. Für viele ist eine schnelle Corona-Impfung eine Lösung, die endlich wieder Normalität erlaubt, und die derzeit nicht abschätzbaren Risiken von forcierten Corona-Massenimpfungen bleiben unberücksichtigt.

Einige Optionen noch ungenutzt

Selbst wenn man die im nächsten Jahr anstehenden Massenimpfungen für akzeptabel hält, können dadurch drohende Überlastungen des Gesundheitssystem frühestens in einigen Monaten verringert werden. Deshalb sollte man nun unverzüglich risikolose, bisher noch nicht genutzte Maßnahmen ausprobieren, z.B.:

  • Allgemeine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und auch zu Hause, falls haushaltsfremde Personen in der Wohnung sind. Das ist eine ganz einfache Regel, die alle Personen schützt und von jedermann leicht kontrolliert werden kann. Zudem führt dies zur Entwicklung von bequemen und gleichzeitig hochwirksamen Masken.
  • Freiwillige Handy-Apps mit zukünftig anonymer, aber verpflichtender Meldung von Infizierten sowie Angabe von Ort und Zeitpunkt einer Begegnung mit einem Infizierten. Dies hilft dem Einzelnen, zukünftig gefährliche Orte zu meiden. Und die Betreiber dieser Orte haben ein Interesse, ihre Orte sicherer zu machen.
  • Erhöhung der Zuverlässigkeit der Coronatests: Laut einer Studie, die Ende September 2020 im Oxford Academic Journal veröffentlicht wurde und laut Urteil des Berufungsgerichts von Lissabon von einigen der wichtigsten Spezialisten auf diesem Gebiet durchgeführt wurde, sind PCR-Tests nicht sehr zuverlässig. Bei fehlender Zuverlässigkeit müssen Coronatests nachjustiert oder durch ein anderes Testverfahren ersetzt werden.
  • Isolation von Infizierten: Die derzeitige häusliche Quarantäne mag bei Kontaktpersonen von Infizierten angemessen sein, aber Infizierte müssen – nach ärztlicher Einzelfallentscheidung – isoliert werden, wie erfolgreiche asiatische Staaten zeigen. Ein Tuberkulose-Infizierter wird doch auch nicht zur Quarantäne nach Hause geschickt. Eine Isolation würde auch zu erhöhter Vorsicht führen, weil niemand gerne über Tage isoliert werden möchte. Jedenfalls sollte aber allen Infizierten die Möglichkeit einer freiwilligen Isolierung in einem Quarantänezentrum gegeben werden, wie die folgenden Beispiele belegen: In den Familien eines Kollegen haben sich mehr als die Hälfte angesteckt, weil sie wegen der beengten Wohnungsverhältnisse keine Möglichkeit einer echten häuslichen Quarantäne hatten. Ein Mann, der seit mehreren Jahren seine schwerkranke Frau pflegt, wurde von einer Pflegekraft infiziert und hat keine Möglichkeit, außer Haus in Quarantäne zu gehen.

Da heißt es gleich: geht nicht, zu teuer! Bei 10.000 Neuinfizierten pro Tag und 10 Tage in einem Quarantänezentrum benötigt Deutschland insgesamt 100.000 Quarantäneplätze, bei 100 Euro pro Tag sind das für einen Monat 300 Mio. Euro. Das könnte aus der Portokasse der Coronaentschädigungen gezahlt werden.

Wiesbaden hatte Ende Oktober 2020, also vor dem erneuten Teil-Lockdown, mit täglich rund 100 laborgestet Neuinfizierten den höchsten Tagesanstieg seit dem Corona-Ausbruch. Wiesbaden bräuchte 1.000 Plätze in Quarantänezentren, bei mindestens 3.600 Hotelzimmern gut machbar. Aber die Kosten müsste die Stadt Wiesbaden tragen, die Entschädigungszahlungen für die leerstehenden Hotels trägt hingegen der Bund.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat Ende November 2020 den Vorschlag gemacht, Berliner Hotelbetten für Corona-Quarantäne zu nutzen um einer Überlastung von Berliner Intensivbetten vorzubeugen. Corona Impfungen kommen für dieses aktuelle Problem in jedem Fall zu spät.

Nur wenn weitgehend risikolose Maßnahmen die Infektionen nicht ausreichend reduzieren können und deshalb weitere Lockdowns erforderlich sind, sollte schrittweise mit Massenimpfungen begonnen werden.

Fazit

Es bestehen unkalkulierbare Risiken durch eine forcierte Corona-Massenimpfung. Es gibt risikolose Maßnahmen zur Vermeidung eines Lockdowns, die zuerst ausprobiert werden sollten.

PS: Vielen Dank für viele kritische Kommentare zu früheren Entwürfen, die alle in diesem komplett überarbeiteten Entwurf berücksichtigt wurden. Vielleicht fällt auch Ihnen etwas auf, was Sie für nicht sinnvoll halten und mir per Mail@JARASS.com zukommen lassen.

Anmerkung Norbert Häring: Ich sehe den Vorschlag einer allgemeinen Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und Handy-Apps zur Kontaktverfolgung kritisch.

Nachtrag (N.H. 4.12.): Der Beitrag hat eine Kontroverse ausgelöst. Hier eine Leserzuschrift, die meine Motivation, ihn hier zu publizieren, gut erfasst und ausdrückt.

„Hallo Herr Häring,
danke, dass Sie diesen Beitrag gebracht haben, gerade weil Sie ihn kritisch in einigen Punkten sehen. Sehe ich im übrigen genau so. Aber ich finde es sehr wichtig, dass die Leute aus ihren jeweiligen Filterblasen rauskommen. Das geht nur über Austausch und Diskussion. Wenn das so weiter geht kriegen wir hier die gleiche Spaltung, wie sie Trump in den USA vorgeworfen wurde.
Viele Grüße, Jens Happel

Wann beginnt die Diskussion über Maßnahmen für ein soziales Leben mit Corona? Eine Wutrede

Print Friendly, PDF & Email