22. 11. 2022 | Im Oktober war der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann wieder einmal mit einer 100-köpfigen Delegation im Silicon Valley. Wurde 2018 Klimaschutz als Ziel der Reise immerhin noch vorgeschützt, kam er diesmal praktisch nicht mehr vor. Es ging nur noch um Vasallentreue im Kampf der USA mit China um die digitale Weltherrschaft und um Lieblingsprojekte des Weltwirtschaftsforums wie Smart City, Industrie 4.0, automatisierter Verkehr und Digitalisierung des Gesundheitswesens.
Bevor Winfried Kretschmann im September 2018 mit seiner über 100 Mann und Frau starken Delegation für zehn Tage nach Kalifornien und Ontario aufgebrochen war, hatte er gesagt:
„Meine Reise soll ein deutliches Signal für den Klimaschutz und den transatlantischen Dialog sein. Wir wollen die gute Zusammenarbeit mit den USA und Kanada bei Themen wie Mobilität, Energie und Klimaschutz und Industrie 4.0 noch weiter ausbauen.“
In der Pressemitteilung dazu wurde Umweltminister Franz Untersteller als erstes der Mitglieder der Delegation genannt. Unter den Programmpunkten und Themen im Einzelnen tauchten Umweltschutz und grüne Energie dann allerdings praktisch nicht auf, was bei einem grünen Ministerpräsidenten und Delegationsleiter schon erstaunlich ist, gilt doch Kalifornien als Vorreiter für grüne Technologien und Regulierungen.
Grüner Anstrich nicht mehr nötig
Im Jahr 2022 machten Kretschmann und seine Leute sich nicht einmal mehr die Mühe, den Abverkauf grüner Ziele zu kaschieren. Auf die diesjährige einwöchige Reise nach Pennsylvania und Kalifornien mit wieder über 100 Abgesandten nahm Kretschmann seine Ministerin für Umwelt, Klima und Energie, Thekla Walker, nicht einmal mehr mit. Kretschmann kündigte an:
„Meine Reise soll ein deutliches politisches Signal für starke transatlantische Beziehungen mit unserem wichtigsten Handelspartner und zentralen demokratischen Wertepartner sein. Unter den neuen Rahmenbedingungen ist Wirtschaftspolitik immer auch Geopolitik. In dieser Zeitenwende stehen Deutschland, Europa und die USA zusammen, um Freiheit, Demokratie und eine internationale regelbasierte Ordnung zu verteidigen. Das gilt gerade für Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI), die unser Leben grundlegend prägen werden und die Quellen unseres zukünftigen Wohlstandes sind. Wenn Europa hier technologisch souverän sein will, brauchen wir eine enge Zusammenarbeit mit den USA, die eine internationale Spitzenposition bei KI haben.“
Die Pressemitteilung verriet, der thematische Fokus der Reisewoche werde auf den Bereichen Gesundheitswirtschaft (Medizintechnik, Gesundheitswirtschaft, Life Science), Mobilität (Automatisiertes und vernetztes Fahren) und dem transatlantischen Dialog liegen.
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut ließ wissen, dass man „mit unserem Wertepartner USA den Schulterschluss auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz“ suche, insbesondere bei „nachhaltiger Mobilität und personalisierter Medizin“. Nachhaltige Mobilität wollte sie ausgerechnet in den USA mit deren minimalistischem öffentlichen Nahverkehr lernen, und „einen verantwortungsvollen und wertbasierten Umgang mit KI“ vom Silicon Valley, dessen IT-Konzerne nicht gerade als vorbildlich in Sachen Bewahrung von Privatsphäre, Selbstbestimmung und Datenschutz gelten. Verkehrsminister Winfried Hermann versprach sich ausgerechnet von der berüchtigten Autostadt Los Angeles wertvolle Einsichten über neue Verkehrskonzepte.
Aus der Bilanz der Reise geht schließlich noch hervor, dass das Potenzial von Smart City-Projekten, von vernetzten Informationssystemen im urbanen Raum, ausgelotet wurde. Dabei handelt es sich um von IT-Konzernen wie Google vorangetriebene Projekte, bei denen der öffentliche Raum mit Kameras und Sensoren gespickt wird, um alle Handlungen und Bewegungen der Einwohner optimal steuern zu können.
Während solche Projekte in autoritär regierten Staaten Arabiens und in China massiv vorangetrieben werden, ist der Versuch der Google-Tochter Sidewalk Labs, Toronto, zu einer Smart-City-Modellstadt zu machen, 2020 am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.
Vasallentreue im Kampf um die globale Vorherrschaft
Was aber meinte Kretschmann, damit, dass es darum gehe auf dem Feld der Zukunftstechnologien mit Wirtschaftspolitik als Geopolitik Freiheit, Demokratie und eine internationale regelbasierte Ordnung zu verteidigen? Dazu muss man ein klein wenig ausholen:
Der Sicherheitsapparat der USA sieht die globale wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft der USA durch die rapide informationstechnologische Entwicklung Chinas akut bedroht. Michael Dempsey, ehemaliger Chef der Geheimdienste, schrieb im März 2018: „Es ist deutlich, dass China entschlossen ist, die globale Führung auf den Gebieten Künstliche Intelligenz, Hochleistungscomputer und synthetische Biologie zu übernehmen. Das sind die Sektoren, die das Leben auf dem Planeten und die militärische Machtbalance in den nächsten Jahrzehnten bestimmen werden.“
Eric Schmidt, ehemaliger CEO von Alphabet, der Muttergesellschaft von Google, warnte in der New York Times, das Silicon Valley werde den Technologiekrieg mit den chinesischen Unternehmen verlieren, wenn die Regierung nicht bald etwas tue. Sie tat natürlich etwas und berief Schmidt zum Chef einer National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI), zu Deutsch: Nationale Sicherheitskommission zur künstlichen Intelligenz. Dieses Gremium aus Größen der IT-Branchen und des Sicherheitsapparats sollte Wege entwickeln, wie die Regierung in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor den technologischen Vorsprung bei künstlicher Intelligenz gegen China verteidigen kann.
Außerdem wurde 2018 ein Joint Artificial Intelligence Center (JAIC) vom Militär und Geheimdiensten geschaffen, das unter anderem die Aufgabe hat, die Aktivitäten in dieser Richtung mit den US-Alliierten abzustimmen. Das JAIC scheint diese Aufgabe ernst zu nehmen. Noch im selben Jahr kam Kretschmann mit seinen über 100 Begleitern in die USA gereist, um den transatlantischen Dialog und die Zusammenarbeit bei der Digitalisierung zu intensivieren.
Eine Präsentation der NSCAI vom Mai 2019, die an die Öffentlichkeit gelangte, zeigt, wo man in den USA hin will, um China am digitalen Überflügeln zu hindern. Und die Baden-Württemberger und der Rest der Republik sollen offenbar mit dorthin. Unter dem Titel „Chinese Tech Landscape Overview“ wird darin erläutert, welches die wichtigsten Erfolgsfaktoren Chinas bei der Anwendung und Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz sind. Zwischen den Zeilen wird deutlich, dass die USA und ihre Alliierten diese Erfolgsfaktoren auch für sich reklamieren müssen, um die US-Dominanz zu bewahren. Es sind dies:
- Viel weniger Datenschutz
- Viel mehr Kooperation und Datenaustausch von Regierung und IT-Konzernen
- Schlechtere analoge Infrastruktur (Gesundheit, Handel, Bildung, Verkehr, Finanzen) als Anreiz zur Nutzung digitaler Angebote
- Biometrische Massenüberwachung als „Killeranwendung“ der künstlichen Intelligenz
- Smart Citys, also Städte, die mit Kameras und Sensoren gespickt sind
- Datenbanken mit den biometrischen und Gesundheitsdaten aller Bürger, die den Konzernen zur Verfügung gestellt werden
Das sind die Werte und Ziele, mit denen wir uns nach dem Willen von Kretschmann und seiner Truppe enger verpartnern sollen. „Technologisch souverän“, wie Kretschmann das nennt, macht diese Kooperation mit den dominanten Konzernen und des Silicon Valley Baden-Württemberg und Deutschland natürlich nur im orwellschen Sinne von „Freiheit ist Sklaverei“.
Wer jetzt den Kopf schüttelt und meint, das sei doch übertrieben und werde so sicher bei uns im „Westen“ nicht verfolgt, der möge sich fragen, was die globale Führungsmacht, die ihre Führungsrolle akut bedroht sieht, wohl aufgrund irgendwelcher hehren Werte nicht tun würde, wenn es helfen könnte, ihre Vorherrschaft („Nationale Sicherheit“) zu bewahren.
Abkommen zu „Cybersicherheit“
Ein Vertreter des Innen- und Digitalisierungsministeriums unterzeichnete laut Pressemitteilung eine Absichtserklärung zur Stärkung der gemeinsamen Partnerschaft in Sachen Cybersicherheit und Open Data zwischen dem Bundesstaat Kalifornien und dem Land Baden-Württemberg. Schon 2021 hatte Baden-Württemberg eine Cybersicherheitskooperation mit Israel vereinbart, genauer mit dem Cyberabwehrzentrum des Israel National Cyber Directorates (INCD). Das INCD unterhält eine enge Kooperation mit der Heimatschutzbehörde der USA, der Dachbehörde der dortigen Geheimdienste. Israel ist nicht nur Vorreiter in der Cyberabwehr. Aus Israel kommen auch die fortschrittlichsten digitalen Ausspähinstrumente wie z.B. Pegasus, die von vielen Regierungen und Geheimdiensten gern und oft illegal genutzt werden.
Das baden-württembergische Innenministerium schickte mir die Texte der Kooperationsvereinbarungen auf Anfrage zu. Sie sind wie üblich bei solchen Vereinbarungen recht schwammig gehalten. Im Kern geht es darum, dass Informationen ausgetauscht und diese streng vertraulich behandelt werden sollen.
Ein Schwäbisches Cyber Valley
Dass das Joint Artificial Intelligence Center sich offenbar das Ländle als ersten Ansatzpunkt für die Eingliederung Deutschlands in den Kampf der USA um die digitale Vorherrschaft mit China ausgewählt hat, kommt nicht von ungefähr. Das „Cyber Valley“ mit den Zentren Tübingen und Stuttgart ist nach Eigenbeschreibung Europas größtes Forschungskonsortium im Bereich der künstlichen Intelligenz. Dort wirken Konzerne wie Amazon, BMW, Mercedes und Bosch mit Universitäten und Forschungsinstituten zusammen.
Angegliedert an die Tübinger und Stuttgarter Unis und an Max-Planck-Institutionen wird dort u.a. Forschung zu Robotik und Transhumanismus, Künstlicher Intelligenz, Internet der Dinge und Körper, Biotechnologie, Pharma, Gen-Editing und Genomforschung betrieben. Das wäre alles sehr schön und gut, wenn das mit einem Wertegerüst aus Selbstbestimmung und Freiheit von Überwachung und Bevormundung stattfinden würde, anstatt, wie es offenbar zunehmend vorgesehen ist, im Dienste einer transatlantischen digitalen Kriegsführung stünde, gegen China und gegen alle, die sich ihre Privatsphäre und Autonomie bewahren wollen.
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