Eine Trierer Regisseurin und ein Sänger setzen Zeichen der Menschlichkeit gegen die Cancel-Culture

8. 11. 2023 | In Trier findet ein Friedensfestival statt. Der Kulturdezernent von der SPD wollte zwei nach seinem Geschmack zu regierungskritische Künstler ausladen lassen. Die Veranstalterin hat sich standfest hinter diese gestellt, trotz Androhung einschneidender Konsequenzen. Ein Künstler, der gecancelt werden sollte, streckt die Hand aus und lädt seine Kritiker ein, nach dem Auftritt mit ihm zu diskutieren. Diese beiden setzen Ausgrenzen und Intoleranz eine Haltung entgegen, die eine schönere Welt aufscheinen lässt.

Morgen, am 9.11. tritt im Rahmen des „Festival für Frieden, Freiheit und Freude“ , das vom 3.11. bis 14.12.2023 im Kulturspektrum Trier stattfindet, der Sänger und Lyriker Jens Fischer Rodrian auf. Karten scheinen noch verfügbar zu sein. Wäre es nach einigen Leuten der Trierer queeren Szene oder nach dem Willen des Kulturdezernenten gegangen, gäbe es den Auftritt nicht, wie die Veranstalterin des Festivals Joya Ghosh im Interview mit den Nachdenkseiten berichtet. Gestrichen wäre dann auch das Programm „Lügen und andere Wahrheiten“ des Kabarettisten Uli Masuth am 2. Dezember.

Denn zuerst hatten sich Besucher und dann auch der Vorstand des queeren Zentrums Trier, wo Gosh für das Friedensfestival plakatierte, darüber ereifert, dass dort zwei Künstler auftreten sollten, die bei der Partei Die Basis waren oder sind. Sie wurde bedrängt, diese Künstler wieder auszuladen, mit dem Argument queer- und fremdenfeindlicher Tendenzen bei dieser Partei.

Dieser Teil ist neben der Reaktion von Gosh besonders bemerkenswert. Dass ausgerechnet Mitglieder der queeren Szene, die so lange mit Intoleranz und moralischer Verdammung bedrängt wurde, sich nun, nachdem sie die kulturelle Lufthoheit errungen haben, als intolerante Tugendwächter gebärden, ist bitter. Es ist leider nicht untypisch.

Das passiert immer wieder, wenn Aktivisten den „Kampf“ gegen Diskriminierung als Kampf gegen böse Menschen auf der Gegenseite verstehen, die man besiegen müsse, damit alles besser wird. Wie die Jakobiner mit ihrer Schreckensherrschaft nach dem Sturm auf die Bastille vormachten, führt das sehr leicht dazu, dass nach erfolgreichem Kampf die Sieger in diesem Freund-Feind-Denken verharren. Sie spielen ihre Macht aus und errichten unter anderem Vorzeichen eine nicht minder hässliche Welt als die gerade überwundene.

Der Trierer Kulturdezernent von der SPD, unter dessen Kontrolle die Fördergelder für das Festival und die Genehmigung für die Nutzung des Kulturspektrums als Veranstaltungsort standen, übte ebenfalls massiven Druck aus. Ihm missfielen regierungskritische Äußerungen der beiden Künstler. Er machte nach Aussagen von Gosh deutlich, dass eine Weigerung, die beiden Künstler wieder auszuladen, negative Konsequenzen bei künftigen Förderanträgen haben würde. Da Kunstveranstaltungen ohne öffentliche Förderung praktisch nicht möglich sind, ist das eine existenzbedrohliche Aussicht für die Schauspielerin, Regisseurin und Seminarveranstalterin.

Trotzdem stand sie solidarisch zu den beiden Künstlern, die sie eingeladen hatte, und die in letzter Zeit immer wieder mit Forderungen nach Canceln der Auftritte konfrontiert sind, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen:

„Meine Ehre als Künstlerin und als Mensch ließ da eigentlich nur eine Antwort zu: Die beiden würden auftreten, auch wenn ich dafür meine künstlerische Zukunft in der Stadt aufs Spiel setze. (…) Ich habe meine Selbstachtung zu verlieren, ich würde niemals einen Kollegen canceln, weil er „die falsche Meinung“ hat.“

Fischer Rodrian, der am Donnerstagabend auftritt, streckte seinen Kritikern, ebenfalls im Interview mit den Nachdenkseiten, die Hand entgegen:

„Ich lade sie ein. Sowohl zu meinem Auftritt wie auch zu der Podiumsdiskussion im Anschluss des Konzertes. Auch wenn es absurd ist, sich überhaupt rechtfertigen zu müssen, warum man eine andere Meinung zu den gängigen Narrativen in Bezug auf Corona und die nicht stattfindende Aufarbeitung der vergangenen drei Jahre hat, so halte ich den Dialog für zwingend notwendig und für das beste Mittel, miteinander in Kontakt zu bleiben.“

Auch das ist ein Umgang miteinander, wie man ihn sich wünscht, einer, der davon ausgeht, dass wir in einer Gemeinschaft leben und irgendwie miteinander auskommen sollten, anstatt Brücken abzureißen und Menschen, deren Meinung man nicht teilt, besiegen und aus der Gemeinschaft ausschließen zu wollen.

Die Einnahmen aus seinem Auftritt will Fischer Rodrian einem palästinensisch-israelischen Friedensprojekt zukommen lassen.

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