Strukturreformen sind genau das Falsche, wenn es an Nachfrage fehlt (mit Link)

Bei der letzten Sitzung des EZB-Schattenrats gab es eine interessante Diskussion zwischen Marco Annunziata, Chefvolkswirt von General Electric, und Richard Werner, Professor an der Universität Southampton, über „Strukturreformen“ als Mittel gegen die Wirtschaftskrise in Europa. Bekanntlich fordern Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Bundesregierung unablässig von den Krisenländern „Strukturreformen“ ein,

weil es angeblich ohne diese keinen nachhaltigen Weg aus der Krise geben könne. Marco machte sich diese Argumentation zu Eigen (nachzulesen, auf Englisch, hier). Richard wandte ein, und Marco widersprach nicht grundsätzlich, dass Konsens über einen Nachfragemangel in den Krisenländern herrsche. Richards Argument.

Wenn aufgrund von Strukturproblemen die Kapazitätsauslastung hoch ist und die Preise deshalb steigen, eventuell auch ohne (hohes) Wachstum, dann können Strukturreformen, die die Flexibilität erhöhen und so eine höhere Ressourcennutzung ermöglichen, das Mittel der Wahl sein. Ein Problem mit Inflation haben wir aber nicht. Im Gegenteil, wir haben zu viel Abwärtsdruck auf die Preise, in einigen Ländern sinken sie sogar. Wenn die Kapazitäten stark unterausgelastet sind, wie es im Euroraum, insbesondere in den Krisenländern, der Fall ist, dann verschärfen Strukturreformen das Deflationsproblem noch. Denn sie machen zusätzliche Produktionskapazitäten frei, die nicht ausgelastet werden können. Der Abwärtsdruck auf die Preise nimmt zu. Das Problem wird größer statt kleiner.

Man kann das etwas konkreter ausdrücken. Wenn in Spanien, wo bereits jeder vierte arbeitslos ist, der Kündigungsschutz auch für die Minderheit abgeschafft wird, die ihn noch hat, dann erreicht man nichts außer mehr Arbeitslosigkeit zu produzieren. Alle möglichen Vorteile der Reform, über deren Existenz man bei normaler konjunktureller Situation trefflich streiten kann, sind in einer Situation mit derart ausgeprägtem Nachfragemangel nicht besser als die Heilsversprechen von Wanderpredigern.

Richard Werner hat 2004 ein wissenschaftliches Papier veröffentlicht, in dem er zeigt, dass es keine empirische Basis für die Behauptungen der Strukturreform-Prediger gibt.    

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