Die Notstandsrechte, die der UN-Generalsekretär auf dessen eigenes Betreiben beim UN-Zukunftsgipfel bekommen sollte, waren bis vor kurzem fast kein Thema in den Medien. Ich berichtete am 9. und 11. September auf deutsch und englisch:
Vor wenigen Tagen traten in Washington republikanische Abgeordnete vor die Presse und machten auf den Zukunftsgipfel und den Zukunftspakt aufmerksam. Sie erklärten die Pläne für indiskutabel, den UN-Generalsekretär durch Ausrufung eines globalen Notstands aus Gesundheits-, Klima- oder sonstigen Gründen die Souveränität der US-Regierung beschneiden zu lassen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Regierungen von Deutschland und Namibia, die die Aushandlung des Zukunftspakts koordinieren, die entsprechende Passage allerdings bereits komplett entschärft. Am 13.9. verteilten sie eine neue, vierte Revision des Entwurfs, die allerdings erst am 16.9. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. In der dritten Revision hatte es unter „Maßnahme 57“ (übersetzt) geheißen:
„Wir fordern den Generalsekretär auf, den Mitgliedstaaten Protokolle für die Einberufung und den Betrieb von Notfallplattformen (emergency platforms) auf der Grundlage flexibler Ansätze zur Reaktion auf eine Reihe verschiedener komplexer globaler Schocks zur Prüfung vorzulegen, einschließlich Kriterien für die Auslösung und Beendigung von Notfallplattformen (…).“
In einer früheren Veröffentlichung für Insider hatte UN-Generalsekretär António Guterres ausgeführt, wie er sich diese Notfallplattformen und die Ausrufung von globalen Notständen vorstellt. Er will diese in eigener Hoheit ausrufen können, wobei er als Beispiele unter anderem Pandemien, das Klima und Cyberattacken nannte. Dann wollte er freihändig entscheiden, welche internationale Finanzorganisation (IWF, Weltbank), sonstigen Organisationen, willigen Regierungen und Konzerne und „zivilgesellschaftlichen“ Organisationen bei der Bewältigung der Krise mitmachen dürfen.
In der vor wenigen Tagen veröffentlichten vierten Revision heißt es nun nach einer gleichlautenden Begründung in der inzwischen 56. Maßnahme:
„Wir fordern den Generalsekretär auf, Ansätze zur Stärkung der Reaktion des Systems der Vereinten Nationen auf komplexe globale Schocks im Rahmen der bestehenden Verantwortlichkeiten („within existing authorities“) und in Absprache mit den Mitgliedstaaten zu prüfen.“
Mit anderen Worten etwas deutlich ausgedrückt, bekommt der UN-Generalsekretär gesagt: Denk bitte neu nach. Die Notfallplattformen und Notstandsrechte für Dich kannst Du vergessen, lieber António Guterres.
Den Verantwortlichen bei UN, Bundesregierung und namibischer Regierung ist das Scheitern ihres Plans, dem UN-Chef das Recht zu geben, über den Ausnahmezustand zu entscheiden, offenbar sehr peinlich. In dem – auch im Namen seiner deutschen Kollegin verschickten – Erläuterungsschreiben zu den Änderungen lässt der namibische Repräsentant bei den Vereinten Nationen diese wichtigste Änderung aus. Er schreibt (übersetzt):
„Während die Hälfte des Textes des vorangegangenen (Rev. 3) Entwurfs unwidersprochen blieb, wurde das Schweigen zu anderen Elementen von mehreren Gruppen und Delegationen gebrochen. (…) Wir haben informelle Konsultationen zu Themen wie Klima, Abrüstung, internationale Finanzarchitektur, Gender und Menschenrechte einberufen. Außerdem haben wir umfangreiche bilaterale und regionenübergreifende Konsultationen zu allen anderen Themen durchgeführt, über die das Schweigen gebrochen wurde. Die Ergebnisse dieser intensiven Bemühungen spiegeln sich im Rev.4-Entwurf wider,“
Die Verantwortung dafür, dass die Notstandsrechte für den UN-Generalsekretär zunächst Eingang in den Entwurf fanden, und dass dies ohne jegliche Beteiligung von Öffentlichkeit und (soweit ich weiß) Bundestag geschah, trägt auf deutscher Seite Außenministerin Annalena Baerbock, zu deren Ressort die deutsche UN-Repräsentanz gehört. Die etablierten deutschen Medien müssen sich fragen lassen, warum sie nie über diesen weitreichenden und wichtigen Plan berichtet haben, ganz besonders die öffentlich-rechtlichen, die mit milliardenschweren Zwangsbeiträgen finanziert werden und dafür einen öffentlichen Informationsauftrag zu erfüllen haben.
Die banale Erklärung wird wahrscheinlich sein, dass sich die mutmaßlich unter Kuratel der Regierenden stehenden Nachrichtenagenturen jeglicher Berichterstattung enthalten haben und die meisten Medien, auch die bestens ausgestatteten öffentlich-rechtlichen, bei solchen Themen nicht viel mehr tun, als Meldungen der Nachrichtenagenturen nachzuerzählen und auszuschmücken, oder sie direkt zu übernehmen. Schreiben die Nachrichtenagenturen nicht darüber und gibt es keine Pressekonferenz der Regierung, bekommen sie nichts davon mit oder interessieren sich nicht dafür.
Scharfer Gegenwind für Pandemieabkommen
Noch weitreichendere Notstandsrechte als der UN-Generalsekretär soll im Rahmen eines Pandemieabkommens und einer Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekommen. Während wichtige Teile der IHR-Reform unter Bruch der dafür geltenden Regeln in einer Nacht- und Nebelaktion – wie berichtet – am 1. Juni am Ende der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet wurden, wird über den Pandemievertrag mangels Einigung weiter verhandelt.
Die Regierungen haben bis Ende März 2025 Zeit, um dem Inkrafttreten der neuen IHR-Regeln für das eigene Land zu widersprechen. Noch gibt es jedoch meines Wissens keinerlei Anstalten von Bundestag und Bundesrat über dieses Thema auch nur zu debattieren, um eventuell der Regierung auftragen zu können, einen solchen Widerspruch einzulegen. Nach der nächsten Bundestagswahl wäre es zu spät, weil die Einspruchsfrist extra für die IHR-Reform verkürzt wurde. Ich gehe jedoch davon aus, dass der Bundesrat auch initiativ werden könnte. Gesundheitsvorsorge ist ja in weiten Teilen Ländersache.
Im Gegensatz zur Arbeitsverweigerung der deutschen Parlamentarier hat das Repräsentantenhaus in Washington am 12. September das „No WHO Pandemic Preparedness Treaty Without Senate Approval Act“ verabschiedet, also das Kein-WHO-Pandemievorsorgeabkommen-ohne-Senatszustimmung-Gesetz“. Es stellt fest, dass der Pandemievertrag ein internationales Abkommen wäre, das die Zustimmung des US-Senats benötigen würde. Den nötigen Widerspruch gegen die ähnlich gestrickte IHR-Reform, für die keine Ratifizierung nötig ist, scheinen die kritischen Parlamentarier, die überwiegend von der republikanischen Partei kommen, nicht auf dem Schirm zu haben.
Pakt für Digitalzwang weiter auf dem Programm
Auf dem Zukunftsgipfel soll auch ein Globaler Digitalpakt verabschiedet werden, der, wie berichtet, einem Pakt für Digitalzwang gleichkommt. Der geschrieben ist, als käme er direkt aus der Feder der großen Digitalkonzerne. An diesem Vorhaben gibt es keine Änderung, zumindest keine bekannte. Hier ist weiterhin der Entwurf in der Fassung der dritten Revision der letztveröffentlichte.
Auch hierüber gibt es meines Wissens bisher keinerlei Berichte in den etablierten Medien.
Weltwirtschaftsforum tagt gleichzeitig vor Ort
Parallel zur UN-Generalversammlung veranstaltet die Großkonzernelobby Weltwirtschaftsforum – ebenfalls in New York – ihr jährliches „Sustainable Development Impact Meeting“. Dabei kommen nach Angaben der Lobbyorganisation über 1.000 „Führungskräfte aus der Wirtschaft, politische Entscheidungsträger, internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen, Innovatoren und Sozialunternehmer“ zusammen, um „Maßnahmen und Partnerschaften über alle Sektoren hinweg voranzutreiben, um die SDGs (Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele, N.H.) voranzubringen, mit der erneuten Verpflichtung, niemanden zurückzulassen.“
Das Weltwirtschaftsforum ist von der UN als internationale Organisation anerkannt und sitzt bei vielen Fragen mit am Tisch. Das Forum und die UN haben ein Kooperationsabkommen zur Förderung der SDG geschlossen, welches der UN so peinlich ist, dass sie es nicht veröffentlicht. Ähnlich wie während der UN-Generalversammlung hält das Weltwirtschaftsforum auch vor den Tagungen des G20-Clubs der wichtigsten Wirtschaftsnationen eigene Konferenzen vor Ort ab, um deren Agenda und Ergebnisse mitbestimmen zu können. Passend zur Agenda der UN-Versammlung werden unter anderem die Themenkomplexe Global Governance und Digitale Inklusion behandelt.
Teilnehmer sind unter anderem der belgische Premier, der Präsident des EU-Parlaments, der Netto-Null-Minister Großbritanniens, die Chefs von Internationalem Währungsfonds und Afrikanischer Entwicklungsbank und einer Reihe von UN-Organisationen, welche in besonderem Maße auf das Geld der Konzerne angewiesen sind.