Tagesthemen markieren neuen Tiefpunkt des beitragsfinanzierten Kampagnenjournalismus

Ein Finanzminister macht sich lächerlich, nur weil er in Deutschland auftritt, eine Verhandlungsdelegation frühstückt zu lange und ist unpünktlich und die Stimmung in Brüssel und der SPD  ist schlecht, erfahren wir. Zum Inhalt der gescheiterten Verhandlungen erfahren wir in einem langen Tagesthemen-Bericht dagegen sehr wenig, und das bisschen ist auch noch falsch. Die Gegenseite wird dabei konsequent nicht angehört. Journalismus?

Die Macher der Tagesthemen haben mit der Sendung von Sonntag 14. Juni über die abgebrochenen Verhandlungen mit Griechenland wieder einmal unsere Rundfunkbeiträge grob satzungswidrig verwendet, indem sie auf alle journalistischen Standards, auf die sie verpflichtet sind, gepfiffen haben.

WDR Hauptstadtkorrespondent Arnd Henze berichtet zunächst über die Anwürfe von SPD-Chef Sigmar Gabriel gegen die griechische Regierung, wobei Gabriel am Ende der letzten Einspielung sagt, man müsse aufpassen, sich durch zu viel Nachgiebigkeit nicht lächerlich zu machen.

Darauf Henze, unterlegt von Filmsequenzen mit Yanis Varoufakis:

Eher lächerlich gemacht hat sich in den Augen vieler auch der griechische Finanzminister Varoufakis. In der eigenen Regierung längst entmachtet, tingelt er in der vergangenen Woche für Vorträge und Podiumsdiskussionen durch Europa. Vertrauen in die griechische Reformfähigkeit hat er dabei allerdings kaum geweckt.“

Es bleibt unklar, warum der „längst entmachtete“ Finanzminister in diesem Zusammenhang so ausführlich „gewürdigt“ wird, ebenso wodurch er sich „lächerlich gemacht“ hat, wer diejenigen sind, in deren Augen er sich lächerlich gemacht hat, und was er gesagt hat. Varoufakis wird in dem ganzen Tagesthemen-Beitrag nicht noch einmal erwähnt. Es bleibt auch im Dunkeln, ob er an den gescheiterten Gesprächen in Brüssel beteiligt war. Dass Varoufakis entmachtet sei, haben er und sein Regierungschef bereits mehrfach dementiert. Hauptstation von Varoufakis war Berlin, wo er mit Schäuble sprach und bei einer Podiumsdiskussion des WÄirtschaftsforschungsinstituts IMK auftrat. Lächerlich? Wessen Vertrauen in die Fähigkeit welcher griechischen Instanz in welche Art von Reformen bei wem Varoufakis wodurch nicht geweckt hat, bleibt ebenfalls Henzes wohlgehütetes Geheimnis.

Unklar bleibt auch, ob sich in den Augen der ARD-Verantwortlichen oder sonstiger „Vieler“ auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz „lächerlich gemacht“ hat, weil er Zeit hat in jeder zweiten deutschen Talkschow zum Thema Griechenland zu sitzen und mit Interviews auch nicht gerade knauserig ist. Direkt vor den Tagesthemen saß Schulz wieder einmal in der ARD-‚Talkshow von Günther Jauch.

Danach fragt Moderator Thomas Roth den Brüssel-Korrespondenten des WDR, Rolf-Dieter Krause, ob der Abbruch der Gespräche in Brüssel ein Alarmsignal sei. Die Antwort:

Die Eurozone hat Griechenland sehr weitgehende Angebote gemacht, sowohl, was den Umfang der Sparpolitik angeht, als auch die Inhalte der Sparpolitik. Man hat akzeptiert, dass nicht die Renten gekürzt werden, oder im sozialen Bereich. Man hat den Griechen angeboten: ‚Dann kürzt doch eure Verteidigungsausgaben.‘ Griechenland gibt vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts dafür aus. … Da ist Riesenspielraum um Geld einzusparen. Das wurde abgelehnt. Und da hat (Kommissionspräsident) Juncker einfach gesehen: ‚Das hat keinen Sinn mehr.“

Roth fragt nach, ob der Abbruch der Gespräche Eindruck auf die griechische Delegation gemacht habe. Darauf Krause:

Die Griechen, so wie das hier in der Kommission beschrieben wird, haben es regelrecht darauf angelegt. Man hatte wieder ein neues Papier versprochen, das sollte die Delegation mitbringen. Sie kamen ohne Papier. Sie kamen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt, sie kamen zu spät. Heute morgen, als die Vertreter der Institutionen zum vereinbarten Zeitpunkt auf die griechische Delegation warteten, frühstückten die noch in aller Gemütsruhe in ihrem Hotel und hatten überhaupt keinen Grund, sich zu beeilen. Man hat in Brüssel den Eindruck, dass es die Griechen darauf anlegten, dass diese Situation entsteht, die wir jetzt vor uns haben. Entweder zahlt Europa ohne jede Vorbedingung, oder Griechenland geht eben Pleite.“

Wo wollen wir anfangen? Am besten vorne und dann der Reihe nach, sonst verlieren wir den Überblick.

 „Die Eurozone hat Griechenland sehr weitgehende Angebote gemacht, sowohl, was den Umfang der Sparpolitik angeht, als auch die Inhalte der Sparpolitik. Man hat akzeptiert, dass nicht die Renten gekürzt werden, oder im sozialen Bereich.“

Das mit den Zugeständnissen bei der Höhe des Primärüberschusses (Haushaltssaldo ohne Schuldendienst) ist unstrittig. Dort hat man sich in der Nähe der Mitte der Vorstellungen halbwegs getroffen. Dort liegt nicht das Problem. Beim nächsten Satz wird es nicht von ungefähr ungenauer:

„Man“ habe akzeptiert, dass nicht bei Renten und im Sozialen gekürzt werde, sagt Krause ohne Quelle. Es mag sogar sein, dass Juncker und die Kommission das akzeptiert haben, aber das hieße  nichts, denn der Internationale Währungsfonds hat es nicht akzeptiert und Angela Merkel hat betont, ohne den IWF gebe es keine Vereinbarung. Das Handelsblatt beschreibt am Montag den Stand der Verhandlungen so:

Es gibt einen groben Konsens über die Haushaltsziele, aber massive Differenzen über den wirtschaftspolitischen Reformbedarf. Athen hat die gesenkten Vorgaben für den Primärüberschuss akzeptiert. Strittig bleibt, was getan werden muss, um diese Ziele erreichen. … Nach den Analysen des IWF ist das nichts als ein Wunschtraum. Athen müsse mittelfristig vier Prozent des BIP einsparen. Einen Prozentpunkt soll mit Rentenkürzungen erreicht werden, ein weiterer mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Rest durch wachstumsfördernde Arbeitsmarktreformen und sonstige Fiskalmaßnahmen. Dazu können durchaus auch Einschnitte im Rüstungsetat zählen.“

Danach verlangt der IWF weiter Rentenkürzungen.

Krauses nächster Satz wird dann richtig fragwürdig, und zwar nicht vor allem, weil er die Du-Form wählt, ein beliebtes Mittel, jemand herabzusetzen:

Man hat den Griechen angeboten: ‚Dann kürzt doch eure Verteidigungsausgaben.‘“

Im schon genannten Handelsblatt-Bericht von Montag wird der IWF mit folgendem Dementi wiedergegeben:

In europäischen Presseberichten hieß es zuletzt, der IWF habe ein Kompromissangebot der EU-Kommission abgelehnt, wonach Athen Rentenkürzungen zumindest teilweise umgehen kann, wenn es Einschnitte im Verteidigungsbudget vornimmt.  Diese Darstellung weist der IWF in aller Schärfe zurück. Erstens habe es ein solches Angebot nie gegeben, zumindest nicht in Verhandlungen, in denen der Fonds vertreten war. Zweitens sei eine Sanierung des Rentensystems unumgänglich, wenn Griechenland seine Finanzen in den Griff bekommen wolle.“

Also kein Verzicht auf Rentenkürzungen, kein Angebot, stattdessen die Militärausgaben zu kürzen, zumindest nicht im Beisein von IWF-Vertretern.

Bei den Presseberichten handelt es sich vor allem um einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von Sonntag, in dem wohlgemerkt steht, der IWF habe den Tausch Militärausgaben gegen Renten abgelehnt, nicht die Griechen.

Rolf-Dieter Krause hat viel zu erklären, woher er seine Informationen hat, und warum er diese ungeprüft und ohne die Gegenseite zu hören, einfach als Tatsachen einem Millionenpublikum serviert hat. Er hätte es zumindest, wenn sich die Verantwortlichen beim WDR dafür interessierten, ob das stimmt, was ihre Nachrichtensendungen verbreiten.

Kleiner Exkurs.

Am Montag dementierte der Brüsseler Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen (scheinbar) den Bericht der Schwesterzeitung vom Vortag.

Alle Beteiligten dementierten einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, nach dem der IWF einen Vorschlag von Juncker abgelehnt habe, Athen zu erlauben, Kürzungen von kleinen Renten aufzuschieben, wenn es dafür seine Militärausgaben um den gleichen Betrag vermindere. Der IWF habe wiederholt gesagt, „dass wir bei den Modalitäten des Programms flexibel bleiben, wenn die vorgeschlagenen wirtschaftlichen Maßnahmen voll finanziert sind“, sagte ein IWF-Sprecher.“

Alle Beteiligten? Zitiert wird nur der IWF, dessen Dementi die FAZ, wie es sich für anständige Journalisten gehört, bereits in ihrem Bericht referiert hatten. Das wirkt ziemlich böswillig. Brüsseler Journalisten haben eben ihre ganz eigenen Loyalitäten.  Ende Exkurs, weiter mit Krauses Sonderform des Journalismus.

Das wurde abgelehnt“, berichtet er zum Vorschlag der Militärkürzung. Mit dem Passiv drückt er sich um die Aussage, wer abgelehnt hat, aber im Kontext kann das gar niemand anders verstehen, als dass die Griechen abgelehnt haben. Quelle? Gegenseite angehört?

„Die Griechen, so wie das hier in der Kommission beschrieben wird, haben es regelrecht darauf angelegt.“

Aha. Anonyme Kommissionskreise sind die Quelle. Gilt das auch für die vorangegangene Sequenz? Man darf raten. Wurde die Gegenseite gehört, ob sie es tatsächlich darauf angelegt hat, oder ob es vielleicht jemand anderes darauf angelegt hat, der IWF zum Beispiel? Wäre ja immerhin denkbar.

Man hatte wieder ein neues Papier versprochen, das sollte die Delegation mitbringen. Sie kamen ohne Papier. Sie kamen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt, die kamen zu spät. Heute morgen, als die Vertreter der Institutionen zum vereinbarten Zeitpunkt auf die griechische Delegation warteten, frühstückten die noch in aller Gemütsruhe in ihrem Hotel und hatten überhaupt keinen Grund, sich zu beeilen. Man hat in Brüssel den Eindruck, dass es die Griechen darauf anlegten, dass diese Situation entsteht, die wir jetzt vor uns haben. Entweder zahlt Europa ohne jede Vorbedingung, oder Griechenland geht eben Pleite.“

Wurde die Gegenseite angehört? Muss wohl, denn woher könnte Krause sonst wissen, wie die Stimmung in der griechischen Delegation beim Frühstück war (Gemütsruhe) und ob deren Mitglieder eine Veranlassung sahen, sich zu beeilen. Andererseit wäre es schon erstaunlich, wenn ein Mitglied dieser Delegation Krause solches berichtet hätte. Das erscheint mir nicht wirklich plausibel.

Welcher vernünftige Mensch könnte auf die Idee kommen, Griechenland wolle, dass Europa „ohne jede Vorbedingung“ zahlt? Tsipras hat sehr öffentlich sehr deutlich gemacht, dass er den Fast-Kompromiss zum Primärüberschuss nur zähneknirschend akzeptiert undsich zu einer Mehrwertsteuererhöhung nur widerwillig bereit erklärt. Krause darf das nicht entgangen sein, sonst wäre das ein Ausweis von Inkompetenz. Wenn er es weiß, hat er wissentlich Falsches verbreitet. Ich weiß nicht, welche Möglichkeit die Schlimmere ist.

P.S. Hier ein Link zu den Vorschlägen der griechischen Seite für Einsparziele und Reformen, die das Gegenteil dessen beweisen, was Krause behauptet.

 

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