Eine Zensur findet statt, dank Bundesnetzagentur und REspect! in Deutschland, dank DSA in ganz Europa

Mit 2 Nachträgen | 12. 10. 2024 | Die Ernennung der vom Staat finanzierten Meldestelle REspect! zum „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ hat nun selbst in Teilen der Mainstream-Presse eine Diskussion über verdeckte staatliche Zensur aufkeimen lassen. Hier soll es darum gehen, was man gegen diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit unternehmen kann. Außerdem will ich die Kritiker in einem wichtigen Punkt korrigieren und besonders auf die Rolle von Militär und Geheimdiensten hinweisen.

Auslöser der Diskussion um verdeckte staatliche Zensur war eine Pressemitteilung der Bundesnetzagentur vom 1.10., in der zu lesen war:

„Die Bundesnetzagentur hat heute den ersten Trusted Flagger, einen vertrauenswürdigen Hinweisgeber, gemäß dem Digital Services Act (DSA) zugelassen. Die Meldestelle REspect! der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg mit Sitz in Sersheim erhielt heute diese Zulassung.“

Wozu das gut ist, wurde auch erklärt:

„Trusted Flaggers spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Digtal Services Act, um illegale Inhalte im Netz wirksam zu bekämpfen. Diese Organisationen verfügen über besondere Expertise und Erfahrung bei der Identifizierung und Meldung rechtswidriger Inhalte. Plattformen sind gesetzlich verpflichtet, Meldungen von Trusted Flaggern prioritär zu behandeln und unverzüglich Maßnahmen wie beispielsweise die Löschung der Inhalte zu ergreifen.“ Dabei bestimmt sie (S.4), unter öffentlichem Schaden seien zu verstehen „Bedrohungen für die demokratischen politischen Prozesse und die politische Entscheidungsfindung sowie für öffentliche Güter wie den Schutz der Gesundheit „der Umwelt und der Sicherheit“.

Die amtlich ernannten Hinweisgeber haben also die staatliche Vollmacht, soziale Medienplattformen zu nötigen, bestimmte von den Hinweisgebern ausgesuchte Inhalte vom Netz zu nehmen oder an der Verbreitung zu hindern. Das hat zu Recht eine – noch viel zu begrenzte – Diskussion ausgelöst, weil im Grundgesetz steht: „Eine Zensur findet nicht statt“. Im Zusammenhang mit den bisherigen – von staatlichem Druck nicht ganz unabhängigen – Zensuraktivitäten der Medienplattformen gegen regierungs- und behördenkritische Meinungen und Informationen haben uns sogenannte Faktenchecker wie der BR-Faktenfuchs noch erklärt, dass das nichts mit Zensur zu tun habe. Denn Zensur im von diesen bevorzugten engeren Sinne sei nur staatliche Inhaltskontrolle:

„Zensur wird klassischerweise als die staatliche Kontrolle von Äußerungen definiert. Der Duden definiert den Begriff folgendermaßen: „Von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität“

Damals, 2021, war die Verbindung zwischen staatlichen Stellen und zensierenden Plattformen noch nicht ganz so direkt, aber auch schon deutlich zu erkennen. Die EU und die Regierungen bedrohten die Plattformen mit hohen Strafen und nötigten sie zum Eingehen von Selbstverpflichtungen, Hass, Hetze und Strafbares auf ihren Plattformen zu beseitigen. Die Anreize waren – sicherlich bewusst – so gesetzt, dass man nur für zu wenig Blockieren und Zensieren Ärger bekommen konnte, nicht für zu viel. Außerdem gab es auch die direkte Verbindung, dass die Plattformen den Regierungsstellen heimlich privilegierte Kanäle eingeräumt haben, über die diese Texte und Videos zur Zensur vorschlagen konnten.

Mit dem neuen System sind wir einen Schritt in die umfassende Meinungskontrolle weiter. Vom Staat ausgesuchte und finanzierte pseudo-zivilgesellschaftliche Organisationen bekommen vom Staat quasi-behördliche Rechte als Zensoren, um die Verbreitung von dem zu verhindern, was der Staat in Leitlinien, wie denen der Bundesnetzagentur, als zu zensieren festgelegt hat. Selbst wenn man die restriktive Definition von Zensur verwenden will, bei der nur Zensur durch den Staat Zensur ist, muss man bei halbwegs verständigem Daraufschauen zu dem Schluss kommen, dass es sich hier um einen klaren Umgehungstatbestand handelt. Der Staat schafft absichtsvoll ein System, das genau zu dem gleichen Ergebnis führt, wie das, was das Grundgesetz ausdrücklich verbietet, und tut so, als wäre das dann nicht grundgesetzwidrig.

Es wäre sehr zu wünschen, dass das außer der Welt und der NZZ noch ein paar mehr Mainstream-Medien zum Thema machen. Leider sieht es so aus, als ob diese die verdeckte staatliche Zensur mit zustimmendem Schweigen quittieren, weil es – zunächst – nur die Konkurrenz der unabhängigen und oft unbotmäßigen Medien treffen soll. Doch während die Welt über die „Nette neue Zensurbehörde“ schreibt, stellt sich das olivgrüne Szeneblatt taz voll hinter den angegriffenen grünen Chef der Bundesnetzagentur und titelt: „Welt diffamiert Behörde“. Alles sei ganz normal und rechtmäßig. Nur illegale Inhalte würden zensiert, und zwar nicht vom Staat, sondern in Eigenverantwortung von den Plattformen. Ich kann nicht glauben, dass ein Journalist derart naives und falsches Zeug in gutem Glauben schreiben kann, nicht einmal für die taz. Beim Focus liest sich das Stück zum Thema –  auf Basis von abwiegelnden Aussagen von Agenturchef Klaus Müller – ganz ähnlich. Fast alle anderen hüllen sich, einer Online-Recherche zufolge, in komplizenhaftes Schweigen.

Was wir tun können?

Der vom treudoof argumentierenden taz-Kommentator hervorgehobene Klageweg gegen Löschentscheidungen von Plattformen ist zwar gangbar, aber denkbar unattraktiv – außer um ein Grundsatzurteil gegen das ganze System zu erwirken, falls das möglich ist. Die Kosten sind beträchtlich und man hat wenig davon, wenn ein gelöschter Beitrag nach Tagen, Wochen oder gar Monaten wieder freigegeben wird. Und schon der nächste Beitrag nach dem Urteil kann wieder gelöscht werden und jedes Mal müsste aufs Neue geklagt werden.

Wir können aber dafür sorgen, dass die Meldestelle REspect! und Andere, die noch als Hinweisgeber anerkannt werden, die Nachteile des Denunzierens in staatlichem Auftrag zu spüren bekommen. Rechtsprofessor Martin Schwab weist auf Telegram auf § 1 Abs. 1  Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hin, der da lautet:

„Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen gilt dieses Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Einer Behörde im Sinne dieser Vorschrift steht eine natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts gleich, soweit eine Behörde sich dieser Person zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben bedient.“

Dass REspect! und Co. sich mutmaßlich mit der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben betrauen lassen, führe dazu, dass sie jedem Bürger gegenüber auskunftspflichtig nach IFG sind. Man könne zum Beispiel gehässige, menschenfeindliche Rede, wie sie zum Beispiel die Satiriker Böhmermann und Bosetti immer wieder mal vor großem Publikum loslassen, bei Respect! melden. In regelmäßigen Abständen könnte man dann nach IFG erfragen, in welchem Umfang man dort Hinweisen auf Hassrede im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nachgegangen ist, und mit welchem Ergebnis. Diese Informationen ließen sich dann medial verbreiten. Sie könnten auch für Gerichtsverfahren wichtig werden.

Auch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) könnte den zensorischen Subunternehmern des Staates Arbeit und Kopfzerbrechen machen. Laut Leitlinien der Bundesnetzagentur sollen die Hinweisgeber nicht etwa nur auf Hinweise aus der Bevölkerung hin tätig werden, sondern selbst das Internet und die sozialen Medien nach problematischen Inhalten durchforsten. Sie sollen für eine Zulassung als Hinweisgeber unter anderem darlegen, wie sie „die zu überwachenden Inhalte auswählen“ und welche technischen Mittel sie für die Auswahl und Überwachung verwenden. Es werden also aktiv Daten gesammelt, aufbereitet und gespeichert. Wenn es sich bei den Betroffenen um natürliche Personen handelt, deren Äußerungen überwacht, gespeichert und gemeldet werden, haben diese einen Auskunftsanspruch.

Ausgenommen von der Auskunftspflicht ist nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO Datenverarbeitung „durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten.“ Die DSGVO geht also vernünftigerweise davon aus, dass Straftaten allein Sache zuständiger Behörden sind, und nicht irgendwelcher damit beauftragten Privaten. Diese dürften daher nicht von der Auskunftspflicht ausgenommen sein. Wenn diese Einschätzung zutrifft, dann kann jede Person nach Art. 15 DSGVO von REspect! und Co. Auskunft verlangen, ob und ggf. welche Daten über sie gespeichert sind, woher diese kommen, an wen sie gehen (sollen), wie lange sie gespeichert werden und einiges mehr.

 Wenn sich durch die Auskunft herausstellen sollte, dass die zensorischen Subunternehmen Daten sammeln und weitergeben, die nichts mit strafbaren Inhalten zu tun haben, sondern nur regierungskritisch sind oder nur den moralischen Vorstellungen der Meldestelle zuwiderlaufen, dann ist das wertvolles Material für kritische Berichterstattung. Außerdem könnte es den Klageweg gegen die Meldestelle selbst eröffnen, insbesondere, wenn sich herausstellt, dass Löschungen von Accounts oder Beiträgen auf deren Intervention zurückgeht.

Rechtskundige können vermutlich noch weitere Bestimmungen ausfindig machen, mit denen man den zensorischen Subunternehmern des Staates unverhofften Ärger machen kann. Sie mögen diese Möglichkeiten bitte der Öffentlichkeit mitteilen. Auch wenn es nötig sein sollte, obige Überlegungen zu IFG und DSGVO zu korrigieren, bitte ich um einen Hinweis. Es ist wichtig zur Verteidigung der Meinungsfreiheit, dass wir alles Wissen zusammenführen, das gegen diesen Angriff in Stellung gebracht werden kann.

Kritik verkennt europäische Dimension

Im Gegensatz zu den Mainstream-Medien hat das Nius-Portal von Julian Reichelt kritisch über den Vorgang berichtet, nicht immer sachlich, aber ausführlich und informativ und kritisch (z.B. hier, hier und hier). Juristen, die sich auf den sozialen Medien kritisch geäußert haben und in den kritischen Medienbeiträgen zitiert werden, ereifern sich zurecht über ein in der Pressemitteilung der Bundesnetzagentur enthaltenes Zitat von Behördenchef Klaus Müller:

„Mit der Zulassung des ersten Trusted Flaggers setzen wir die europäischen Regelungen in Deutschland konsequent um. Plattformen sind verpflichtet, auf Meldungen von Trusted Flaggern sofort zu reagieren. Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen.“

Sie kritisieren vor allem, dass Müller neben illegalen Inhalten auch die nicht sinnvoll definierten Begriffe Hass (ein Gefühl) und Fake News als zu eliminierende Inhalte nennt. Müller versucht seither sich damit herauszureden, dass das nicht als Aufzählung gemeint sei, sondern dass Hass und Fake News nur als Beispiele für (möglicherweise) illegale Inhalte aufgeführt seien. Das ist sprachlich nicht korrekt und überzeugt auch in Ansehung seiner früheren Äußerungen und seiner Leitlinien für staatlich anerkannte Zensoren in keiner Weise. Auch dort werden nämlich unbestimmte Begriffe verwendet, die weit über das hinausgehen, was strafbar ist. Zu zensieren sind z.B. Beiträge, von denen „negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs oder Wahlen“ zu befürchten sind. Darunter fällt „Informationsmanipulation mit dem Ziel, den Ausgang von Wahlen zu beeinflussen“. Es gibt unzählige Beispiele, wie sogenannte Faktenchecker Spitzfindigkeiten bemühen, um unbequeme Meinungen oder Informationen als falsch oder teilweise falsch zu klassifizieren. Vorgehen gegen „Informationsmanipulation“ vor Wahlen kann daher leicht durch regierende Parteien als Vorwand genutzt werden, um durch Zensur mithilfe von steuerfinanzierten pseudo-zivilgesellschaftlichen Helfern, die Wahlen zum eigenen Vorteil zu manipulieren.

Die Kritik ist völlig berechtigt. Sie geht aber fehl, wo behauptet wird, die Bundesnetzagentur habe die Vorgaben des Digital Services Act der EU, bei dem es nur um illegale Inhalte gehe, ausgeweitet auf bloß ärgerliche, geschmacklose unmoralische, aggressiv regierungsfeindliche oder sonstwie unerwünschte Meinungen und informationen. So kommentierte der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg:

„Klaus Müller behauptet, dass er lediglich die Vorgaben des DSA umsetze und damit EU-Recht vollziehe. Der DSA aber regelt, dass vom Meldesystem der Trusted Flagger nur rechtswidrige Inhalte erfasst werden. Legale Inhalte dürfen laut DSA nicht entfernt und damit auch nicht gemeldet werden.“

Das ist falsch, wie Richter i.R. Manfred Kölsch auf diesem Blog und in der Berliner Zeitung schon im Januar dargelegt hat. Das fand zwar bei sehr vielen Lesern sehr reges Interesse, wurde aber vom Mainstream geflissentlich ignoriert. Hier ein Auszug:

„Der DSA eröffnet die Möglichkeit, auch nicht rechtswidrige Eintragungen auf sehr großen Onlineplattformen und Suchmaschinen für löschungspflichtig zu erklären. In den zur Auslegung des DSA heranzuziehenden Erwägungsgründen der EU-Verordnung wird säuberlich zwischen der Verbreitung rechtswidriger und „anderweitig schädlicher Informationen“ unterschieden (Erwägungsgrund Nr. 5). Den Plattformbetreibern wird aufgegeben „besonders darauf (zu) achten, wie ihre Dienste zur Verbreitung oder Verstärkung von nur irreführendem oder täuschendem Inhalt einschließlich Desinformationen genutzt werden könnten“ (Erwägungsgrund Nr. 84). Auch Art. 34 DSA unterscheidet genau zwischen rechtswidrigen und Informationen mit nur „nachteiligen Auswirkungen“.

Der Begriff „Desinformation“ ist aber im DSA nicht definiert. Die EU-Kommission hat allerdings schon 2018 klargestellt, dass Desinformationen u.a. solche Informationen sind, die „öffentlichen Schaden“ anrichten können. (…) Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass falsche, irreführende oder gar unbequeme Eintragungen nicht rechtswidrig sein müssen. Dennoch können sie auf der Grundlage des DSA jederzeit als rechtswidrig erklärt werden. Das Maß, an dem die Beurteilung als Desinformation ausgerichtet ist, wird von der EU-Kommission gesetzt. Das aber heißt, dass politisch unliebsame Meinungen, ja wissenschaftlich argumentierte Positionen gelöscht werden können.“

Dass das Tor zur willkürlichen Zensur durch staatliche Beauftragte schon vom DSA weit aufgestoßen wurde, ändert nichts daran, dass das, was die Bundesnetzagentur im Auftrag der Bundesregierung treibt, eklatant verfassungswidrig ist. Es erweitert aber die Diskussion und das Handlungsfeld auf die europäische Ebene. Was im DSA steht, verstößt mutmaßlich auch gegen höherrangiges europäisches Recht, denn auch dort gilt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit als hohes Rechtsgut.

Die Rolle von Militär und Geheimdiensten

In einem Beitrag von Nius wird dargelegt, wie die Meldestelle Respect! in den vom günen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann und seinem schwarzen Koalitionspartner ausgerufenen Kampf gegen Hass und Hetze im Netz integriert und dabei mit dem Landeskriminalamt und dem Landesamt für Verfassungsschutz verbandelt wurde.

Ich habe an anderen Beispielen gezeigt, dass Militär und Geheimdienste eine ganz zentrale Rolle bei der überall um sich greifenden Einschränkung der freien Meinungsäußerung spielen. So wurden technische Methoden zur umfassenden Überwachung des Internets, die durch Faktenchecker und mutmaßlich auch durch Hinweisgeber verwendet werden, im Auftrag des US-Militärs entwickelt. Nato- und geheimdienstnahe Organisationen haben wichtige Funktionen im „Kampf gegen Hass und Hetze“, wie die Eliminierung behördenkritischer Meinungsäußerungen und Informationen schönfärberisch genannt wird. Siehe dazu die Beitragsliste unter „Mehr“, unten.

Es ist wichtig, sich klar zu machen, wer auf der anderen Seite steht. Nur so kann man die Macht der Gegenseite realistisch einschätzen und die Vorgänge verstehen. Ohne eine mächtige koordinierende Instanz im Hintergrund, wie das US-Militär und die Nato, wäre ein dermaßen massiver und international fast gleichlaufender Angriff auf die Meinungsfreiheit, der von fast allen politischen Lagern mitgetragen oder klaglos akzeptiert wird, nur schwer zu erklären. Einzelne Personen sind in diesem Zusammenhang nicht wichtig. Ein Heiko Maas hat das genauso betrieben wie eine Nancy Faeser es betreibt. Aber das soll keinesfalls heißen, dass man nichts tun kann, nur dass man sich nicht an der falschen Stelle aufreiben sollte.

Nachtrag 1 (13.10.): Die SZ bequemt sich, die Polizei äußert sich

Mit zehn Tagen Verspätung bequemte sich am 11.10. auch die Süddeutsche Zeitung einen Bericht zum Thema abzusondern (ohne Bezahlschranke). Er ist aufgehängt an der Empörung, die die Trusted-Flagger-Entscheidung ausgelöst hat. Der Bericht ist sehr verständnisvoll. Er räumt ein, dass hier und da ungeschickt formuliert worden sei und die Bundesnetzagentur als weisungsgebundene Behörde auch nicht ganz die Vorgaben der EU in Sachen Unabhängigkeit erfülle. Aber ansonsten nimmt er – entgegen aller Evidenz – für bare Münze, was die Verantwortlichen der Zeitung Abwiegelndes sagen, dass es nämlich ausschließlich um das Melden von illegalen Inhalten gehe, und dass man nicht selbst die sozialen Medien durchforsche. Wolfgang Kubicki bekommt dabei den Titel „Enfant Terrible der FDP“, weil er als einer der letzten in der früher freiheitlichen Partei bürgerliche Freiheiten wenigstens verbal noch verteidigt.

Die Polizeigewerkschaft Hamburg stellte in Reaktion darauf auf X die Frage: „Warum der Umweg über eine Meldestelle? Wenn Nutzerinnen und Nutzer der Auffassung sind, dass sie mit strafrechtlich relevanten Inhalten konfrontiert sind, dann sind Polizei und Staatsanwaltschaft dafür zuständig.“

Nachtrag 2 (13.10.): Ein Goldesel für Presserechtler

Presserechtsanwalt Carsten Brennecke kommentierte das Trusted-Flagger-Unwesen auf X sehr treffend:

Warum Trusted Flagger eine Gefahr für die Meinungsfreiheit und ein Goldesel für uns Presserechtler sind:

„Die Bundesnetzagentur unter @Klaus_Mueller beauftragt nun private Dienstleister damit, illegale Inhalte aufzuspüren und diese bei den Betreibern sozialer Netzwerke zu melden, sog. #TrustedFlagger. Die Netzwerkbetreiber wie x, Facebook oder Linkedin müssen auf Löschungsaufforderungen der Trusted Flagger dann unverzüglich reagieren und laufen Gefahr, hohe Bußgelder zu bekommen, wenn sie dies nicht tun. Das wird zu einem erheblichen Eingriff in die #Meinungsfreiheit führen, weil die Netzwerkbetreiber zur Vermeidung von Bußgeldern die durch private Trusted Flagger gemeldeten Inhalte löschen werden.

Zwar sollen Trusted Flagger theoretisch nur „illegale“ Inhalte melden. Da Trusted Flagger aber keine Juristen mit der Prüfung der von ihnen gemeldeten Inhalte beauftragen werden, sind Trusted Flagger fachlich gar nicht in der Lage, illegale Inhalte von legalen Meinungsäußerungen zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die #Bundesnetzagentur in ihrem Leitfaden zur Bestimmung der Inhalte, die Trusted Flagger zur Löschung melden sollen, nicht nur illegale Meinungsäußerungen, nämlich solche, die den Straftatbestand z.B. der Üblen Nachrede, Verleumdung oder Volksverletzung erfüllen, auflistet, sondern darüber hinaus auch den Begriff der #Hassrede enthält, die ebenfalls gemeldet werden soll. Wenn man aber in einem Leitfaden schon den Begriff der Hassrede zusätzlich zu illegalen Inhalten benennt, dann zeigt dies, dass auch der Leitfaden der Bundesnetzagentur davon ausgeht, dass Trusted Flagger nicht nur illegale Inhalte melden sollen, sondern auch Inhalte, die sie als Hassrede empfinden, die aber nicht strafbar und damit zulässige Meinungsäußerungen sind.

Hinzu kommt die Gefahr, dass die Regierung solche Trusted Flagger installiert, die bei der Überprüfung der zu löschenden Inhalte den Fokus auf Äußerungen legen, die sich eher gegen die Regierung richten. Diese Tendenz ist schon bei staatlich finanziell unterstützten NGOs wie #Correctiv, der Amadeu Antonio Stiftung oder #hateaid zu beobachten, die sich überwiegend gegen regierungskritische Äußerungen wenden. Es ist somit bereits durch die Auswahl der Trusted Flagger zu befürchten, dass der Kampf gegen Inhalte im Netz in eine Schieflage gerät, weil regierungskritische Aussagen viel stärker in den Meldefokus gerückt werden als andere Aussagen.

Sofern die Regierung versucht, zu beschwichtigen, dass am Ende Gerichte über eine Sperrung entscheiden, ist das Augenwischerei und plumpe PR. Der einfache Nutzer muss erst einmal damit leben, dass seine zulässige Meinungsäußerung durch die Intervention eines Trusted Flaggers gelöscht wird und er muss dann mühselig und kostenträchtig deutsche Gerichte damit bemühen, wieder zu seinem Recht der freien Meinungsäußerung zu kommen. (…) Zu unserem Schaden als äußerungsrechtliche Kanzlei wird das Ganze nicht sein. Wir erwarten durch die völlig verfehlten Maßnahmen in der nächsten Zeit ein hohes Aufkommen an rechtswidrigen Sperren und wir freuen uns darauf, gegen diese dann vor Gericht erfolgreich vorzugehen.

Auch Wolfgang Kubicki @KubickiWo hat eine sehr überzeugende Kritik in die identische Richtung im #Cicero geäußert. Den lesenswerten Artikel findet man hier: https://cicero.de/innenpolitik/trusted-flagger-bundesnetzagentur-kubicki.“

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