Die ARD gräbt sich im Disput um ihre Kampfschrift gegen BSW ein noch tieferes Loch

Mit Nachtrag | 18. 08. 2024 | In einer als Faktencheck aufgemachten Kampfschrift gegen das Bündnis Sahra Wagenknecht unterschlug die ARD, dass die Quelle einer angeblichen Falschbehauptung von Wagenknecht die Bundesregierung war, und unterstellte ihr eine Behauptung, die sie so nicht getätigt hatte. Beides hat die ARD später stillschweigend geändert. Auf eine Beschwerde hin liefert die ARD eine schwer verunglückte Rechtfertigung.

Marcus Bornheim, Chefredakteur von ARD-aktuell, antwortete der Beschwerdeführerin, Maren Müller von der Ständigen Publikumskonferenz:

„Im Artikel des faktenfinders auf tagesschau.de wurden die Angaben der Bundesregierung gegenüber der NATO im Nachhinein noch in den Artikel mit aufgenommen, um aufzuzeigen, dass die Aussage Wagenknechts auch mit Blick darauf falsch ist. Denn wie dargelegt, kann die Bundesregierung gegenüber der NATO viele Kosten anführen, die wenig mit „Rüstung“ oder „Waffen“, wie Wagenknecht es sagt, zu tun haben.

Offenkundig wurde die ARD nach Erscheinen des Ursprungsartikels mit dem wichtigen Einwand konfrontiert, dass die von Wagenknecht genannte Zahl von der Bundesregierung als deutsche Verteidigungsausgaben an die Nato gemeldet worden war, und sie hielt es für nötig, darauf zu antworten. Dies so intransparent zu tun, wie sie es getan hat, ist unseriös.

Falsch“ ist ein weit überzogenes Urteil. Denn die Begriffe Verteidigungsausgaben, Militärausgaben und Rüstungsausgaben werden im allgemeinen Sprachgebrauch weithin als gleichbedeutend verstanden. Das zeigt zum Beispiel der Wikipedia-Eintrag zu „Rüstung“, in dem das durchgängig der Fall ist. Unter anderem heißt es da unter dem Untertitel „Militärausgaben“: „Ein direkter Vergleich der Rüstungsausgaben zwischen verschiedenen Ländern ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Kostenstrukturen (Höhe des Soldes, Beschaffungskosten, Unterhalt etc.) rein moneitär nicht möglich, sondern erfordert auch eine Detailbetrachtung im Hinblick auf Mannstärken, Ausbildung und Ausrüstung.“ Ein wesentlicher Kritikpunkt der ARD war, dass Wagenknecht, den Regierungsangaben folgend, Personalausgaben mit einrechnete.

Korrekt müsste es statt „falsch“ heißen: Je nach Definition von „Rüstung“ kann man das auch anders rechnen. Zu fragen ist auch, warum die ARD der Bundesregierung nicht auch die Verbreitung russischer Narrative vorwirft, sondern nur Wagenknecht, die die Regierungszahlen zitiert hat.

Offenlegung per Zeitstempel?

Chefredakteur Bornheim weiter:

„Die Ergänzung im faktenfinder-Artikel wurde dadurch kenntlich gemacht, dass der Zeitstempel aktualisiert wurde. Ein Korrekturhinweis ist nur dann notwendig, wenn falsche Informationen im Artikel korrigiert werden. Das war hier nicht gegeben. Die Aussagen Wagenknechts, Deutschland habe einen Rüstungshaushalt von 90 Milliarden Euro beziehungsweise würde 90 Milliarden Euro für Waffen ausgeben, bleiben faktisch falsch.“

Das mit dem Zeitstempel ist irgendwo zwischen albern und frech. Tatsächlich schafft die ARD mit der Art der unkommentierten Änderung des Zeitstempels nicht Transparenz, sondern betreibt Desinformation. Sie lässt unkundige Leser glauben, dass der fragliche Artikel zum Zeitpunkt des geänderten Zeitstempels erstveröffentlicht wurde. Der neue Zeitstempel heißt: „Stand: 31.07.2024 18:16 Uhr“. Der Zeitstempel der Erstveröffentlichung hieß „Stand: 30.07.2024 08:59 Uhr“. Wann der Artikel ursprünglich erschienen ist, ist im geänderten Artikel nicht mehr erkennbar. Nicht einmal, dass es eine Vorversion gab, ist erkennbar. Dass der Artikel an mehreren, zum Teil inhaltlich bedeutsamen Stellen geändert wurde, ist auch nicht erkennbar.

Dass die Einfügung des fehlenden Kontextes, dass die angebliche Falschaussage auf Angaben der Regierung beruhte, keine Korrektur sei, ist eine sehr eigenwillige Interpretation. Bei den Spezialisten für die Korrektheit von Beiträgen konkurrierender Medien, den Faktencheckern, gilt das Weglassen von wichtigem Kontext ganz klar als fehlerhaft, als Irreführung. Bei den Faktencheckern von Correctiv steht „Fehlender Kontext“ auf einer elfstufigen Skala von „Richtig“ bis „Frei erfunden“ auf Fehlerstufe fünf, noch hinter „Teilweise falsch“.

Auch die Faktenchecker der ARD, nämlich der BR-Faktenfuchs und der ARD-Faktenfinder, sehen das so. Der BR-Faktenfuchs betrachtet das Weglassen von wichtigem Kontext explizit als Irreführung:

„Eine aufgestellte Behauptung, die wichtigen Kontext auslässt oder bei der eine Einordnung von Zahlen in den Kontext fehlt, bezeichnen wir als irreführend. (W)enn Aussagen so verkürzt werden, dass sie eine andere Schlussfolgerung zulassen, würden wir diese Aussage als irreführend einstufen.“

Beim ARD-Faktenfinder ist keine Erläuterung der eigenen Vorgehensweise und der Bezeichnungen der Urteile zu finden. Aber in der monierten Kampfschrift gegen das BSW des ARD-Faktenfinders Pascal Siggelkow wird vermeintlich fehlender Kontext als irreführend gebrandmarkt. Darin ist zu lesen:

„So hat Wagenknecht bereits mehrfach behauptet, dass die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Frühjahr 2022 angeblich vom Westen torpediert worden seien. Sie stützt sich dabei unter anderem auf Aussagen des früheren israelischen Premierministers Naftali Bennett und dem Leiter der ukrainischen Verhandlungsdelegation, David Arachamija. Allerdings sind die Aussagen von beiden aus dem Kontext gerissen.“

MimikamaMoniert wird, dass Wagenknecht die Information weggelassen habe, dass seither die „Massaker von Butscha“ ans Licht gekommen seien und dass die von der Ukraine geforderten Sicherheitsgarantien (vom Westen; N.H.) nicht gegeben worden seien.

Fehlerkorrektur kaum zu leugnen

Die Korrektur eines anderen inhaltlichen Fehlers ist kaum zu leugnen und würde die Offenlegung der Korrektur erforderlich machen, selbst wenn man die windigen Argumente der ARD in Sachen Rüstungsausgaben akzeptieren wollte. In der Erstversion wurde eine Wagenknecht-Aussage falsch wiedergegeben. Dort hieß es:

„So suggerierte Wagenknecht beim ZDF-Polittalk von Maybrit Illner, das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt sei nicht von einer russischen Rakete abgeschossen worden, sondern mutmaßlich von einer ukrainischen Flugabwehrrakete“.

Daraus wurde im geänderten Artikel des Folgetags:

„…sei nicht von einer russischen Rakete getroffen worden, sondern mutmaßlich von Trümmerteilen einer ukrainischen Flugabwehrrakete“

Man hatte also Wagenknecht eine falsche Aussage unterstellt und hat das – still und heimlich – korrigiert. Dafür gibt es keine denkbare Rechtfertigung.

Nicht nur Fehlerkorrektur ist transparent zu machen

Selbst wenn man auch darüber hinwegsehen wollte, etwa mit dem falschen Argument, dieser Fehler sei nicht erheblich, so ist der intransparente Umgang der ARD mit inhaltlichen Änderungen eines Artikels falsch. Es ist zwar schwer, explizite Richtlinien für das Kenntlichmachen nachträglicher Änderungen von fehlerfreien Online-Artikeln zu finden. Das Deutschlandradio, ein öffentlich-rechtlicher Sender, gibt immerhin an:

„Es gilt: keine inhaltliche Änderung wird ohne Erläuterung veröffentlicht, normalerweise unter dem Text.“

Dass man nicht mehr dazu findet, dürfte daran liegen, dass es aus Transparenzgründen und aus arbeitsökonomischen Gründen generell nicht als angemessen gilt, Online-Artikel ohne guten Grund nachträglich zu ändern. Der wichtigste Änderungsgrund ist die Korrektur von Fehlern. Abgesehen davon gibt es den legitimen Grund, dass Informationen nachgetragen werden sollen, die anzuführen versäumt wurde, oder die nachträglich bekannt wurden. Hier gibt es je nach Wichtigkeit der Information ein Kontinuum das vom Hinzufügen fehlenden Kontextes bis zu Hinzufügen einer interessanten, aber für die Aussage nicht relevanten Information reicht. Je weniger es sich um das Fehlen einer für die Einordnung wichtigen Information handelt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Redaktion einen Artikel nachträglich ändern wird.

Die ARD legt in ihrer Antwort nahe, dass der Artikel geändert wurde, um auf ein Gegenargument einzugehen. Wenn dieses Gegenargument von so vielen oder so wichtigen Leuten geführt wurde, dass man sich genötigt sieht, darauf mit einer Ergänzung des Artikels zu reagieren, dann ist die inhaltliche Änderung offenkundig relevant.

Wichtig zur Beurteilung des Vorgangs und des Vorgehens der ARD ist: Die falsche Ursprungsfassung des Artikels, in der Sahra Wagenknecht eine Aussage in den Mund gelegt wurde, die sie nicht getätigt hat und bei einer anderen kritisierten Aussage wichtiger Kontext fehlte, stand am Tag des Erscheinens als Aufmacher auf der Startseite von Tagessschau.de. Die mehr als einen Tag später korrigierte Fassung wurde nicht mehr auf die Startseite gestellt. Die Korrekturen hat also bei der ARD nur ein winziger Bruchteil derer mitbekommen, die die Ursprungsversion und die irreführende Kritik darin gelesen haben.

Welche (mutmaßlich beabsichtigte) Wirkung das hat, wird unter anderem am Wikipedia-Eintrag für das BSW deutlich. Dort wird der ARD-Beitrag ausführlich zitiert, und zwar weiterhin (mindestens bis 18.8.) in der falschen Ursprungsversion mit der Behauptung, Wagenknecht habe suggeriert, „dass das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt nicht von einer russischen Rakete abgeschossen, sondern mutmaßlich von einer ukrainischen Flugabwehrrakete“ beschossen worden sei.“ Das Unterkapitel „Prorussische Positionen und Desinformationsvorwürfe“ wurde erst nach Erscheinen der ARD-Kampfschrift und auf deren Basis eingefügt. Bis 31.7. gab es dieses noch nicht.

Fazit

Die ARD hat keine überzeugende Rechtfertigung dafür, dass sie eine an sich schon sehr problematische Kampfschrift gegen eine politische Partei ohne Kenntlichmachung in zwei Punkten korrigiert und um fehlenden Kontext ergänzt hat. Zusätzlich lenkt der Rechtfertigungsversuch der öffentlich-rechtlichen Anstalt den Blick darauf, dass im geänderten Artikel nicht einmal erkennbar ist, dass es sich nicht um die Ursprungsfassung handelt und wann die Ursprungsfassung erschienen ist. Durch die intransparente und stark verspätete Korrektur und deren Positionierung hat die ARD sichergestellt, dass die ganz große Mehrheit der Leser nur die erste, falsche und für Wagenknecht und das BSW dadurch besonders rufschädigende Fassung lesen konnte. Über den Wikipedia-Eintrag wird das sogar auf Dauer gestellt.

In Anbetracht der Tatsache, dass die ARD mit Zwangsbeiträgen der Bürger finanziert wird, ist das politisch grob einseitige und journalistisch hochgradig unseriöse Handeln der Anstalt ein Skandal. Es zeigt, wie unhaltbar demokratiefern es ist, dass die Bürger für ihre Zwangsbeiträge nicht wenigstens eine Mitgliedschaft mit Mitgliederrechten bekommen, wie das bei vergleichbaren Anstalten der Fall ist, zum Beispiel IHKen und Sozialversicherungen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass die hochgradig überbezahlten Rundfunkintendanten statt von den Beitragszahlern von einem politischen Klüngel bestimmt werden, bei dem sich die von ihnen geleitete Anstalt mit willfähriger Berichterstattung erkenntlich zeigen darf. Das führt nicht nur zu der sattsam bekannten Selbstbedienungsmentalität, die in den Führungsetagen mancher Sender grassiert, sondern eben auch zur Degeneration des eigentlich so wichtigen öffentlich-rechtlichen Journalismus in billige Propaganda für die Politiker, Parteien und Verbände, von deren Wohlwollen die Sender abhängig sind.

Nachtrag (13:30): Mimikama zeigt, wie Richtigstellung geht

Die auf die Aufdeckung von Fake News spezialisierte Netzseite Mimikama, die ganz und gar nicht in Verdacht steht, mit Sahra Wagenknecht und BSW zu sympathisieren, hat der ARD vorgemacht, wie man einen Fehler souverän korrigiert und sich dafür entschuldigt. Mimikama hatte zunächst die Informationen aus der ARD-Kampfschrift übernommen, ihren Beitrag aber schon am Nachmittag des gleichen Tages durch folgende Richtigstellung ersetzt.

„Redaktionelle Richtigstellung

In unserem Beitrag „Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Verbreitung russischer Propaganda“ vom 30.07.2024 sind uns leider einige Fehler unterlaufen, die wir hiermit transparent korrigieren wollen.

von Hildegard O., 30. Juli 2024 13:54

Wir hatten behauptet, dass das BSW gezielt prorussische Desinformation verbreite. Diesen Vorwurf nehmen wir hiermit zurück.

1. Wir hatten geschrieben, Sahra Wagenknecht habe bei Maybrit Illner https://youtu.be/s23M5K8kaxs behauptet, dass das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt mutmaßlich von einer ukrainischen Flugabwehrrakete getroffen wurde, obwohl Untersuchungen belegt hätten, dass das Krankenhaus von einer russischen Rakete des Typs Kh-101 getroffen sei. Tatsächlich jedoch hatte Frau Wagenknecht lediglich darauf hingewiesen, dass nur bekannt sei, dass das Krankenhaus von Raketenteilen getroffen wurde, nicht aber von welchen. Eine unabhängige Untersuchung, die eine der beiden Seiten stützte, gab es nicht.

2. Wir hatten zudem geschrieben, dass Frau Wagenknecht irrtümlich die deutschen Rüstungsausgaben mit 90 Milliarden Euro angegeben hatte. Die Zahl entspricht jedoch der offiziellen Meldung der deutschen Bundesregierung über die Verteidigungsausgaben an die NATO vom Juni 2024, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-verteidigungsausgaben-106.html .

3. Wir hatten dem BSW vorgeworfen, seine Position mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten zu untermauern. So hatte Sahra Wagenknecht behauptet, der Westen habe die Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022 torpediert und sich dabei auf Aussagen von Naftali Bennett und David Arachamija berufen. Tatsächlich allerdings stützen die angeführten Quellen https://www.nzz.ch/international/ukrainemit-russland-ld.1834618 die Position, dass der Westen die Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022 torpediert hat.

4. Wir hatten geschrieben, BSW-Mitglieder verbreiteten auch die von Russland in Umlauf gebrachte Falschbehauptung, Frankreich habe Truppen in die Ukraine geschickt. Tatsächlich hatte nur einziges Mitglied dieses Gerücht für kurze Zeit auf X verbreitet, ohne für die Partei< BSW zu sprechen. Anhaltspunkte, dass es gezielt Falschinformationen verbreitet hätte, gibt es nicht.

Wir bedauern, hier vorschnell geurteilt zu haben und entschuldigen uns bei Sahra Wagenknecht und dem BSW.“

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