Bezahlkarten für Asylbewerber, bald in ganz Europa und irgendwann auch für Max Mustermann

6. 03. 2024 | Zu den Bezahlkarten für Asylbewerber als ersten Test einer totalen Kontrolle des Bürgerhandelns von oben sind zwei sehr lesenswerte Artikel in Der Freitag und auf Bargeldverbot.info erschienen, die schon vorhandene Tendenzen zur Ausweitung aufzeigen.

Titus Blome nennt in Der Freitag die Bezahlkarten „ein perverses technopolitisches Experiment“, einen „Produkttest für Kontrollmechanismen Made in Germany und Tested on Leuten, die sich nicht wehren können“ und als „Dehnungsübungen einer neuen Form von Überwachung im nach rechts lechzenden Bundestag“ . Zwar könne niemand nachweisen, dass Asylsuchende ihre kaum existenzsichernden staatlichen Hilfen in die Heimat schicken, aber das sei allen Beteiligten egal.

„Hamburg begrenzt Bargeldauszahlungen auf gerade einmal 50 Euro im Monat. In Greiz, Thüringen, darf die Karte nur innerhalb der Stadt genutzt werden, was Asylsuchende effektiv einsperrt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Bundesland beschränkt, in welchen Läden man mit der Karte bezahlen kann – technisch möglich ist es.(…)  Über die weitere Ausbreitung wird längst diskutiert. Abgeordnete von Union und FDP fordern bereits, die Bezahlkarte auch für Bürgergeldempfänger:innen einzuführen – wann knickt die nächste Partei ein? Welche Gruppe guckt man sich als nächstes aus?“

Hakon von Holst schreibt auf Bargeldverbot.info:

Asylbewerber stehen unter Verdacht: Sie sollen ihr Taschengeld häufig ins Ausland überweisen. An Familienangehörige. Nach Ansicht von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann stellt das einen Anreiz dar, nach Europa einzuwandern. Darum soll die Bezahlkarte her. Von der Bundesregierung gibt es grünes Licht. Wie Bayern wollen auch alle anderen Bundesländer die Bezahlkarte einführen.

Die Diskussion schwappt auf andere Länder über. In Österreich ist die Karte Gespräch in der höchsten Politik. Wenn es nach dem Innenminister geht, bekommen Asylbewerber zukünftig gar kein Geld mehr, sondern eine Scheckkarte zur Abrechnung von Sachleistungen.

In der Schweiz setzt sich die zuwanderungskritische SVP-Partei für die Bezahlkarte ein. Mit dem Konzept muss sich nun die Schweizer Landesregierung befassen – auf Betreiben eines Nationalrats. In den Kantonen gibt es ebenfalls Vorstöße, so in Basel: »Der Geldfluss ist nachverfolgbar, was zu weniger Zweckentfremdung der Gelder führt«, schrieben Abgeordnete an den Regierungsrat.

Laut einem RBB-Bericht vom 7. Februar 2024 verfügt ein alleinstehender Flüchtling in Brandenburg in den ersten anderthalb Jahren über 410 Euro im Monat. Die soll es im Landkreis Märkisch-Oderland in Zukunft auf Karte geben. Davon können 182 Euro am Geldautomaten abgehoben werden. Es ist nicht bekannt, in welchem Umfang Asylbewerber Geld an ihre Familien in fernen Ländern weiterleiten. Die Deutsche Bundesbank kann keine verlässlichen Zahlen nennen. Man müsste wohl sehr sparsam leben, um in der Lage zu sein, regelmäßig mehr als 182 Euro an Verwandte ins Ausland zu überweisen. (…) Nach zwei Jahren wird die Politik feststellen, dass Auslandsüberweisungen weiterhin stattfinden. Was folgt? Man geht einen Schritt weiter und tut das, was Frankreich schon 2019 vollzogen hat: die Geldabheben-Funktion deaktivieren.

Das wäre eine neuerlicher Schritt in Richtung Bargeldabschaffung. Doch wird auch er nicht halten, was er versprechen soll. Denn um an Bargeld zu kommen, müsste ein Flüchtling lediglich auf seine Karte für andere einkaufen gehen. Was tut man nicht, wenn die Familie in Not ist?

Wenn Empfänger staatlicher Geldleistungen zu Kartenzahlern gemacht werden, steigt der Druck auf kleine Läden. Denn nicht wenige von ihnen akzeptieren nur Bargeld. Aus gutem Grund, denn digitale Zahlungen kosten: Im Einzelfall muss der Händler drei Prozent der Einkaufssumme an Zahlungsdienstleister abführen. Hinzukommen monatliche Grundgebühren. Belgien hat den Einzelhandel 2022 sogar verpflichtet, mindestens ein elektronisches Zahlverfahren anzubieten.

Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland warnt: »Die bisher skizzierten Anforderungen für die Bezahlkarte« können womöglich nur »die beiden großen US-amerikanischen Unternehmen Visa und Mastercard« erfüllen. »Die Debitkarten der amerikanischen Marken zeichnen sich durch hohe Akzeptanzkosten aus, die im Vergleich zur deutschen Girocard bis zu viermal höher sind«, so Binnebößel weiter. (…)

Australien ging schon vor Jahren so weit, Sozialhilfeempfänger ans »digitale Gängelband« zu legen: Das Geld kommt auf eine spezielle Karte. Bestimmte Dinge können nicht mehr bezahlt werden: Alkohol, Drogen, Glücksspiel. Auch das brachte keinen Nutzen. (…)

Was Flüchtlingen in Deutschland droht, kommt auch auf einheimische Arbeitslose zu. In der Schweiz soll schon vor Jahren eine Bezahlkarte daran gescheitert sein, dass sie für Schweizer Sozialhilfebezieher genauso hätte eingeführt werden müssen. Das sind grundrechtliche Überlegungen zur Gleichbehandlung von Menschen. Und die dürften in Deutschland genauso eine Rolle spielen.

Lange bevor Fingerabdrücke im Personalausweis verpflichtend wurden, mussten sich Flüchtlinge schon erkennungsdienstlich behandeln lassen. In den 2000ern wurden Kontodaten von deutschen Behörden nur einige Tausend Mal im Jahr abgefragt – inzwischen überschreitet die Neugier die Millionenmarke. Seit 2009 müssen Pferde und Esel gechippt werden. Inzwischen kann man mit NFC-Chip-Implantat Bahn fahren. (…)“

Die Beispiele dafür, wie neue Überwachungsmöglichkeiten an Gruppen ausprobiert werden, die sich nicht wehren können und keine Lobby haben, oder für harmlos erscheinende, begrenzte Funktionen eingeführt werden, lassen sich fast beliebig erweitern. Nicht nur digitale Bezahlkarten wurden in größerem Maßstab zuerst in Flüchtlingslagern erprobt, sondern auch die Identifikation per Iris-Scan, die heute Normalbürger in weiten Teilen der Welt für viele Anwendungen regelmäßig über sich ergehen lassen.

Deshalb gilt: Wehret den Anfängen! Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten werden nach aller Erfahrung, unter Nutzung des Gewöhnungseffekts, fast immer nach und nach auf weitere Anwendungen und Personenkreise ausgeweitet, wenn sie einmal eingeführt sind.

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