Ulm droht unmaskierten Spaziergängern mit Waffengewalt

31. 01. 2022 |  Die Stadt Ulm hat per Allgemeinverfügung für die Abende, an denen üblicherweise Protest-Spaziergänge stattfinden, eine FFP2-Maskentragepflicht in der Innenstadt eingeführt. Im Fall der Zuwiderhandlung droht sie „unmittelbaren Zwang“ bis hin zum Waffengebrauch an, der verhältnismäßig sei. Viel deutlicher kann man nicht machen, dass die Maskenpflicht eine Schikane zum Aushebeln des grundgesetzlich garantierten Demonstrationsrechts ist.

Die Allgemeinverfügung über Maskenpflicht im Stadtkreis Ulm vom 23.1. ähnelt stark derjenigen von Ostfildern, die für Furore gesorgt hat. Sie ist unterschrieben von Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU). Es sind also nicht nur SPD-Politiker in Bund und Ländle, denen die roten Linien abhanden gekommen sind. Damit soll der Polizei einfache Handhabe gegeben werden, die üblicherweise Montags und Freitags stattfindenden organisierten Spaziergänge zu unterbinden.

Die schikanöse Verpflichtung zum Tragen einer besonders dichten, und damit das Atmen stärker behindernden FFP2-Maske im Freien, bzw. im Auto, wird kaum verhohlen damit begründet, dass Kritiker der Corona-Maßnahmen mit ihrem oft starken Unwillen gegen Masken, diese nicht aufsetzen würden und dadurch für die Polizei leicht als Störer erkennbar seien. Im Originalton:

„Die Teilnehmer dieser „Spaziergänge“ bewegen sich vorsätzlich und unkontrolliert, in der Regel ohne Abstände und Maske, in den starkfrequentierten Innenstadtbereichen wie z. B. der Fußgängerzone in der Hirschsstraße und im Bereich des Ulmer Münsters und gefährden Dritte, die sich dieser Situation nicht entziehen konnten.

Durch die Anordnung einer Maskenpflicht werden die Teilnehmer der „Spaziergänge“ verpflichtet, Masken zu tragen. Die Stadt Ulm geht davon aus, dass sich die Teilnehmer zur Vermeidung von Repressionen (Anzeige, Bußgeld etc.) auch daran halten werden. Die Maskenpflicht dient auch dem Zweck einer effektiven Gefahrenabwehr. Die derzeit gültigen Regelungen zu einer Maskenpflicht, insbesondere § 3 CoronaVO, reichen ersichtlich nicht aus, die Teilnehmer der „Spaziergänge“ zum Tragen von Masken anzuhalten. (…)

Die Benennung der Versammlungsmottos sowie die entsprechenden Begleittexte legen den besonderen Unmut gegenüber den Hygieneregeln und -maßnahmen offen. (…) Bei den unangemeldeten „Corona-Spaziergängen“ ist nach den bisherigen Erfahrungen auch weiterhin nicht mit der Einhaltung der derzeit gebotenen Abstands-Hygieneregeln zu rechnen.

Die Maskenpflicht versetzt die Polizeikräfte in die Lage, auf Anhieb Verstöße festzustellen und die Betroffenen konsequent anzuzeigen. Schutzbehauptungen der Teilnehmer während der Versammlung und im späteren Bußgeldverfahren, beispielsweise der Mindestabstand sei nicht unterschritten gewesen, womöglich unter Benennung anderer Teilnehmer als vermeintliche Zeugen, werden mit der Maßnahme unterbunden. Auch mit Einwendungen dergestalt, man habe gar nicht an dem „Spaziergang“ teilgenommen, sondern war zum Einkaufen oder anderer Erledigungen unterwegs und musste sich durch die Menschenmenge schlängeln, sind nicht mehr möglich.“

Die Androhung von Waffengebrauch wird ganz ähnlich begründet wie in Ostfildern. Dort scheint man die Formulierungen aus Ulm übernommen zu haben, oder diese kommen aus einer gemeinsamen Quelle:

„Um sicherzustellen, dass die Maskenpflicht eingehalten wird, droht die Stadt Ulm die Anwendung unmittelbaren Zwangs, also die Einwirkung auf Personen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch an. Dies ist nach Abwägung der gegenüberstehenden Interessen verhältnismäßig (§§ 40 LVwVfG, 66 Abs. 1 PolG). Es ist erforderlich, da mildere Mittel, die die potentiellen Versammlungsteilnehmer von der Einhaltung der Maskenpflicht abhalten würden, nicht ersichtlich sind.“

Versammlungsauflagen für die ganze Bevölkerung

Die Ulmer Allgemeinverfügung ist nicht nur wegen ihrer bürokratischen Kälte und Rabiatheit bemerkenswert. Spektakulär finde ich auch, dass mit ihr vorsorglich der gesamten Bevölkerung eine Versammlungsauflage gemacht wird, gänzlich unabhängig davon, ob die einzelnen Adressaten eine Versammlungsabsicht haben.

Die Verfügung beruft sich auf §15 des Versammlungsgesetzes, wonach:

„Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.“

Sie kommt aber bis zur Begründung gänzlich ohne das Wort Versammlung oder ein Ähnliches aus. Sie regelt vielmehr ganz allgemein, dass in der Innenstadt montags von 17:45 – 20 Uhr und freitags von 18:45 bis 21 Uhr FFP2-Masken zu tragen sind, und droht bei Nichtbefolgung mit unmittelbarem Zwang und einem Ordnungsgeld.

Erst in der Begründung wird dann auf die Protest-Spaziergänge, die montags um 18 Uhr und Freitags um 19 Uhr regelmäßig stattfinden, Bezug genommen. Bei diesen würden die Vorschriften der Corona-Verordnung zur Maskenpflicht und Mindestabständen nicht eingehalten.Es wird also eine Maskenpflicht eingeführt, weil die Maskenpflicht erfahrungsgemäß nicht eingehalten wird.

Die Stadt argumentiert:

„Die zuständige Behörde kann eine Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.“

Sie verbietet aber keine Versammlung und macht auch keine Versammlung von Auflagen abhängig, sondern sie macht die Erlaubnis zum Betreten des Ulmer Innenstadtbereichs zu bestimmten Zeiten vom Tragen einer FFP2-Maske abhängig.

Das ist mindestens schräg, wenn nicht rechtswidrig. Ich würde auf rechtswidrig tippen, bin aber Laie.

Dabei ist sich die Stadt durchaus bewusst, dass sie kurzerhand jede Person, die sich im gesamten Innenstadtbereich im Freien aufhält, auch wenn sie dort wohnen oder zur Abendunterhaltung dorthin ausgehen, zu Versammlungsteilnehmern erklärt, auch wenn das offenkundig nicht stimmen kann, und deshalb das Versammlungsgesetz und die für Versammlungen einschlägigen Vorschriften der Corona-Verordnung für auf sie anwendbar erklären. Man hat auch eine Rechtfertigung dafür:

„Die Anordnung einer Maskenpflicht nur für Teilnehmer der „Spaziergänge“ scheidet aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr bzw. Praktikabilitätsgründen aus. W.o. ausgeführt ließe sich eine solche Anordnung von den Teilnehmern der „Spaziergänge“ problemlos mit Schutzbehauptungen und Zeugenabsprachen unterlaufen, so dass eine Sanktionierung der Verstöße durch die Polizei praktisch unmöglich wäre.“

Weil man Spaziergängern nicht einzeln nachweisen kann, dass sie an einem illegalen Spaziergang teilnehmen, erklärt man einfach alle, die sich nicht an eine extra zu diesem Zweck verfügte, überzogene Maskenpflicht halten, zu Teilnehmern eines illegalen Spaziergangs. Das ist ein sehr pragmatisches Rechtsverständnis nach Art: „Wer sich nicht aktiv nach Kräften bemüht, seine Unschuld zu beweisen, wird als Sexualmörder belangt. Alles andere scheidet aus Gründen der Gefahrenabwehr, bzw Praktikabilitätsgründen aus, denn es wäre dann dem Sexualmörer sonst leicht möglich, sich der Überführung und Verhaftung zu entziehen.‘

Die in etwas weinerlich-wortreichen Ton gehaltene weitere Rechtfertigung lässt ahnen, dass man sich um etwas mehr sorgt als die Gesundheit der Bevölkerung:

„Die Stadt Ulm verkennt nicht, dass von der Maßnahme auch unbeteiligte Bürger betroffen sind, die ihren Erledigungen in der Stadt nachgehen. Gleichwohl erscheint die Maßnahme auch gegenüber diesen Personen als angemessen, weil sie räumlich und zeitlich beschränkt ist. Im Verhältnis zu den Infektionsgefahren für die Bevölkerung und der Aufrechterhaltung der Funktion des Gesundheitswesens ist eine räumlich und zeitlich beschränkte Maskenpflicht im Innenstadtgebiet hinnehmbar. Beim Einkaufen oder sonstigen Erledigungen besteht ohnehin eine Maskenpflicht. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Teilnehmerzahl kontinuierlich anwächst. Am 17.01.2022 waren es 2000 Teilnehmer und am 21.01.2022 4000 Teilnehmer (!). Angesichts dieser Tendenz sind in den kommenden Tagen und Wochen noch weitaus höhere Teilnehmerzahlen zu befürchten. Augenscheinlich findet mittlerweile ein „Spaziergänger-Tourismus“ statt, weil die Stadt Ulm von Anfang an eine Deeskalationsstrategie gefahren hat, worüber auch die Presse berichtete. Diese Strategie
verstehen die Teilnehmer offensichtlich als „Einladung“, unter permanenter Verletzung der Corona-Regeln, im historischen Teil der Stadt Ulm ihr Missfallen über die geltenden Corona-Regeln und die Corona-Politik der Bundes- und Landesregierung Kund zu tun.“

Das stört um so mehr, als:

„Nachdem sich die Proteste der „Spaziergänger“ gegen eine Impfpflicht richten, erscheint es bei natürlicher Betrachtung als ohne weiteres anzunehmen, dass ein großer Teil der Demonstrierenden selbst nicht geimpft ist. Von ihnen geht also eine sehr viel Größere Gefahr aus, als von Ungeimpften.“ (Grammatik- und Wortfehler im Original) (…) Insofern müssen auch Unbeteiligte vor dem erhöhten Ansteckungsrisiko geschützt werden, die der Strom von mehreren tausend Ungeschützten durch die Innenstadt der Stadt Ulm mit sich bringt.

Von Deeskalation zu Eskalation

Also Schluss mit der weichen Linie und der Deeskalation:

„Um sicherzustellen, dass die Maskenpflicht eingehalten wird, droht die Stadt Ulm die Anwendung unmittelbaren Zwangs, also die Einwirkung auf Personen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch an.“

Das wird so gerechtfertigt:

„Es ist erforderlich, da mildere Mittel, die die potentiellen Versammlungsteilnehmer von der Einhaltung der Maskenpflicht abhalten würden, nicht ersichtlich sind.“ (Sinnentstellender Wortfehler im Original)

Und so:

„Die Androhung des unmittelbaren Zwangs ist angemessen, da die Nachteile nicht erkennbar außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen. Die Stadt Ulm verkennt dabei nicht, dass die Androhung des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Maskenpflicht einen – wenn auch geringen – Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Versammlungsteilnehmer darstellt.“

 

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