Zur Erinnerung: Die SPD, die Umfragen und der heilige Martin (mit Leserbriefen)

23. 08. 2021 | Erstmals seit 2017, als Messias Martin Schulz die SPD in ein Umfragehoch führte, liegt die SPD in einer Wahlumfrage wieder gleichauf mit der Union. Erinnern wir uns, was die Umfragen sagten, nachdem Martin Schulz Kanzlerkandidat wurde, oder Steinbrück, oder Steinmeier, oder Scharping, und wie anders das Wahlergebnis jeweils ausfiel.

Olaf Scholz sollte das unerwartete Umfragehoch der SPD als Warnsignal nehmen, nicht als Grund zur Freude. Denn die einzige Bedeutung, die das gute Umfrageergebnis zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase für die Wahl hat, ist der Trend, den die Umfrageergebnisse ab jetzt aufweisen werden. Einen positiven Trend hin zum gegenwärtigen Wert von 23% (INSA) gab es kaum. Ziemlich unerklärlich und schnell rauschten Union und Grüne nach unten und die SPD nach oben.

Von dieser Basis aus wäre es verwunderlich, wenn der Trend nun nicht für Union und Grüne nach oben und für die SPD nach unten zeigen würde. Für die Stimmung bei der Wahl und das Image von Olaf Scholz wäre das fatal.

Erinnern wir uns, wie im Februar 2017 der zum Kanzlerkandidaten gekürte Martin Schulz gegen alle Wahrscheinlichkeit und Plausibilität von den Medien zum Messias hochstilisiert wurde, sogar mit entsprechendem Titelbild im Spiegel. In den Umfragen schoss die SPD auf 32% nach oben und überholte die Union zum ersten Mal seit 2006. Das war das oben erwähnte letzte Mal, dass die SPD gleichauf mit der Union lag.

Dann ging es steil abwärts. An der Wahlurne fuhr die SPD ein halbes Jahr später mit 20,5% das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein, sechs Prozentpunkte weniger als die Union. Messias Schulz verschwand in der Versenkung und aus der Erinnerung von Partei und Öffentlichkeit.

Der Fall Schulz war extrem aber beileibe kein Einzelfall für die SPD: Als sie 2008 Frank-Walter Steinmeier zu ihrem Kanzlerkandidaten machte, holte sie kurzfristig vier Prozentpunkte auf. Bei den Wahlen holte der Kandidat, der danach Bundespräsident werden durfte, das bis dahin schlechteste SPD-Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg: 23%.

Auch 2012, nach Bekanntgabe von Peer Steinbrücks Kandidatur, gab es einen Satz nach oben bei den Umfragen, der schnell verpuffte. Und Kandidaten Rudolf Scharping und seine SPD lagen noch wenige Monate vor der Wahl in den Umfragen klar vor Helmut Kohl und der Union, nur um dann bis zur Wahl abzustürzen und erneut zu verlieren.

Ob die oft überraschende und meist für sie ungünstige Umfrageentwicklung der SPD an den wankelmütigen Wählern liegt, oder an den Modellen, die die Umfrageinstitute verwenden, wollen wir einmal mangels gesicherten Wissen offen lassen. Es weiß ja keiner so recht, mit welchen Modellparametern oder freien Setzungen die Institute die Rohdaten der Umfragen zurechtmassieren. Was sie veröffentlichen, sind eher umfragegestützte Prognosen als Umfragen. Und mit Prognosen kann man Politik machen, wenn man will.

Leserbrief

[ich wollte Sie einmal fragen, wie Sie zu Ihrer Einschätzung bzgl. des SPD-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl gelangt sind: Der Vergleich mit Martin Schulz und anderen will mir nicht einleuchten – immerhin fanden die Umfrage-Höhenflüge der Vorgänger von Olaf Scholz i.d.R etliche Monate vor dem Wahltag statt.

Die gegenwärtige Dynamik hingegen löst bei mir ein Unwohlsein ganz anderer Art aus: Finden Sie es nicht auch auffällig, wie der Medienrummel sich auf jeden noch so nebensächlichen Ausrutscher stürzt, den Laschet oder Baerbock sich leisten? Diese Oberflächlichkeit ist ja inzwischen tatsächlich auch Gegenstand breiterer Diskussionen, aber jedenfalls verhindert sie effektiv, dass ernsthaft die Frage gestellt wird, welcher Kandidat welche Agenda im Gepäck hat.

Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Nach allem, was ich bislang so gelesen habe, entpuppt sich Olaf Scholz aus meiner Sicht ganz klar als Kandidat der Finanzindustrie. Nicht nur, dass er der Mann für möglichst dubios gestaltete Bankenrettungen zum Wohle von US-Beratungsunternehmen und US-Investmentbanken ist – er hat in seinem Finanzministerium sogar extra einen neuen Staatssekretärs-Posten für den vormaligen Deutschland-Chef von Goldmann-Sachs geschaffen… Und zugunsten der Aktionäre machte er auch den großen Konzernen die „Bazooka“-Corona-Hilfen (also die Steuergelder des Mittelstands) zum vollumfänglichen Geschenk – Dividenden werden ohne Abschläge ausgezahlt…

Man könnte also jetzt vielleicht Laschet und Scholz gegenüberstellen und sagen: Laschet ist der Mann der Realwirtschaft, und Scholz handelt im Auftrag der parasitären Finanzindustrie…(?) – Ich bin ehrlich gesagt sehr besorgt, dass gerade Olaf Scholz bis zur Wahl gegen Kritik medial wirksam abgeschirmt werden könnte, weil er der eigentliche Wunschkandidat der globalen Eliten sein dürfte…]

Felix Kohns

Eine ergänzende These

Sehr geehrter Herr Kohns, blickt man in der Geschichte der BRD zurück, fällt auf, dass die SPD immer dann an die Macht kam, wenn große Sauereien anstanden, die von CDU/CSU und FDP niemals ohne größte Schwierigkeiten hätten realisiert werden können:

Eindämmung der 68er-Unruhen mit Hilfe der Berufsverbote („Radikalenerlass“) durch Willy Brand 1972. An die Macht gekommen war der Herr, nachdem er zugesichert hatte, dass die SPD sich bei der Verabschiedung der Notstandsgesetze nicht verweigern werde, gegen die die APO (Außerparlamentarische Opposition) bundesweit demonstriert hatte.
Regierung Schröder: Hartz IV und erste Beteiligung der BRD an einem völkerrechts- und verfassungswidrigen Angriffskrieg. Das Markenzeichen der Partei ist der Verfassungsbruch.

Nachdem die Folgen der Bankenkrise noch längst nicht ausgestanden waren und das Finanzsystem durch die inszenierte Corona-Pandemie jetzt unrettbar zerrüttet ist, stehen neue Grausamkeiten bisher ungekannten Ausmaßes bevor. Da erinnert man sich natürlich gerne der im Zweifelsfall skrupellosen Vollstrecker von der SPD. Sind die Verbrechen erst einmal durchgezogen, dann heißt es wieder: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen.“ – bis zum nächsten mal… Man könnte das Schema als „Arbeitsteilung“ bezeichnen. Fragt sich nur, was die Sozis dazu bewiegt, immer wieder ihre Wähler aufs schwerste zu malträtieren, wenn die mal so dumm waren, massenhaft SPD zu wählen.

Albrecht Frenzel

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