Zensur bleibt Zensur, auch wenn sie gegen politische Gegner geht

9. 11. 2017 | Der folgende Text von Paul Schreyer gegen gutgemeinte Zensur von AfD-nahem Gedankengut hat eine intensive Debatte ausgelöst. Er erschien zuerst auf den Nachdenkseiten, wurde dann wieder gelöscht und wieder mit einem kritischen Kommentar veröffentlicht. Ich finde Schreyers Gedanken zur Zensur sehr wichtig und richtig und habe ihn daher um Nachdruckerlaubnis gebeten. Am Ende steht ein Kommentar von mir.

Kontaktverlust oder: Wenn unbequeme Bücher „verschwinden“

Von Paul Schreyer. In der Filiale einer großen Buchhandelskette in meiner Heimatstadt ist seit einigen Wochen ein seltsames Schauspiel zu beobachten. Die Bühne ist das gut ausgeleuchtete Regal im Eingangsbereich, in dem die aktuellen Spiegel-Bestseller präsentiert werden. Da stehen sie, die Lieblinge der Buchkäufer: „Erkenne dich selbst“ von Richard David Precht, „Die Kunst des guten Lebens“ von Rolf Dobelli oder „Über den Anstand in schwierigen Zeiten“ von Axel Hacke. Seit allerdings das Sachbuch „Kontrollverlust“ des Autors Thorsten Schulte sich in diesem Herbst fest in der Bestsellerliste etabliert hat, weigert sich die hiesige Buchhandlung hartnäckig, den Titel in das zugehörige Regal zu stellen. Der Platz bleibt dabei nicht etwa leer, sondern wird fortlaufend aufgefüllt mit Büchern, die dem Personal offenbar besser gefallen. Eine Farce, könnte man sagen – doch sie steht für eine Haltung im Land.

Zunächst präsentierten die Buchhändler auf der Regal-Position von „Kontrollverlust“ Boris Palmers „Wir können nicht allen helfen“, wohl ein verschämtes Zugeständnis an die Interessen einer „flüchtlingskritisch“ orientierten Leserschaft. Wenn die Leser „solche Bücher“ schon mögen, dann sollen sie lieber das eines grünen Politikers kaufen, so vielleicht das Kalkül. Letzte Woche wurde „Kontrollverlust“ dann durch das einigermaßen themenfremde, wenngleich hoffnungsvollere „Heilen mit der Kraft der Natur“ ersetzt. Immerhin originell. Diese Woche nun nimmt den Platz des ungeliebten Bestsellers der Ratgeber „Mit Rechten reden“ ein.

Man könnte das Ganze als schlechten Scherz bezeichnen, oder, weniger wohlwollend, als Zensurversuch. Noch drastischer war im Sommer diesen Jahres ja der SPIEGEL vorgegangen, der ein unerwünschtes Buch gleich komplett aus seiner eigenen offiziellen Bestsellerliste gelöscht hatte. Mich erfasste bei der Beobachtung des Schauspiels (das nur derjenige Ladenbesucher überhaupt erkennt, der die neben dem Regal hängende Bestsellerliste mit dem Regalinhalt vergleicht) jedenfalls ein tiefes Unbehagen. Welches Buch würde nächste Woche, nächsten Monat als „unpassend“ aussortiert werden? Schließlich fasste ich mir ein Herz und fragte an der Kasse nach, was es mit dieser Aktion auf sich habe. Sei das vielleicht die offizielle Firmenpolitik der Buchhandelskette?

Daraufhin blickte die Kassiererin fragend zu einer neben ihr stehenden Mitarbeiterin, die mir beschied: „Keine Firmenpolitik, aber unsere Filialpolitik.“ Ich wisse vielleicht, so die Buchhändlerin, dass das fragliche Werk in einem umstrittenen Verlag erschienen sei. Ich runzelte die Stirn. Sie meinte den Kopp Verlag. Solche Dinge wolle man nicht fördern, daher die Entfernung aus dem Regal. Selbstverständlich, so die Mitarbeiterin, könne sie das Buch aber bestellen, überhaupt kein Problem!

Mein Hinweis, dass Besucher der Buchhandlung durch das falsch bestückte Regal in die Irre geführt würden, lief ins Leere. Die Mitarbeiterin verstand sich offenkundig als kraft ihres Amtes ermächtigt, ihren Kunden auch ungefragt Orientierung zu geben.

Nun bin ich kein Fan dieses Buches, dessen Autor, ein geschmeidiger ehemaliger Investmentbanker und Ex-Wahlkampfchef von CDU-Mann Laurenz Meyer, rhetorisch eher die grobe Keule führt und der neben seinem Buch massiv den Kauf von Edelmetallen bewirbt. Doch ein Bestseller ist nun mal ein Bestseller. Und wer ein entsprechendes Regal in seinem Laden aufstellt (wozu ja keine Buchhandelskette gezwungen wird), der sollte den Tatsachen (und seinen Kunden) vielleicht doch besser ehrlich ins Auge sehen. Dieser Gedankengang war dem Personal allerdings nicht zu vermitteln.

Angeregt durch den aktuellen „Alternativvorschlag“ schaute ich dann doch noch in das Buch „Mit Rechten reden“ – und erlebte ein Déjà-vu. Der gleiche abgehobene und selbstgerechte Ton, dieselbe Unfähigkeit, konträren Positionen inhaltlich zu begegnen. Die Autoren – ein Philosoph, ein Jurist und ein Historiker – erklären genau das sogar zur besonderen Qualität ihres Werks: mit den geistigen Niederungen der Argumente mögen sich andere befassen, wahre Intellektuelle beleuchten dagegen die Meta-Ebene, die „Art des Redens“ (Seite 12). Zwar kritisieren auch sie stumpfes Lagerdenken und die Selbstgerechtigkeit auf beiden Seiten, vor allem aber geht es ihnen darum, im Spiegelsaal der Eitelkeiten kunstvolle Pirouetten der eigenen Klugheit zu drehen. Zitat: „Andererseits hat das Rätselhafte immerhin den Vorteil, Fragen aufzuwerfen. (…) Du sollst Ja zum Nein zum Ja sagen.“ (Seite 14, 15) So raunt es über Seiten hinweg und am Ende ist dann doch wieder alles ganz einfach: Die anderen, ob nun rechts oder anderswo, sind die Dummen, zumindest dümmer als die eloquenten Autoren.

Das deutsche Feuilleton ist davon ganz begeistert. ZEIT-Literaturchef Ijoma Mangold jubelte: „Dieses Buch sprüht förmlich vor Geist und Witz.“ Man ist geneigt, nachzufragen, wann Mangold das letzte Mal persönlich mit einem AfD-Wähler gesprochen hat. Die Diagnose lautet: Kontaktverlust. Und das betrifft dann auch diejenigen Buchhändler, die ein solches Werk ihren Lesern ans Herz legen und dafür ein anderes „wegmogeln“.

Neu ist die Erkenntnis nicht, dass ein Bildungsbürgertum, das sich selbst als fortschrittlich versteht, oft keinen Draht zur breiten Bevölkerung hat. In aufgeheizten Zeiten aber wird das um so gefährlicher, denn jegliche Kommunikation hat nun mal eine ebenso einfache wie zwingende Voraussetzung: Den anderen ernst nehmen. Gesäuberte Regale helfen ebenso wenig wie Verschraubungen im Elfenbeinturm.

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Soweit der Text von Paul Schreyer. Die Nachdenkseiten löschten den Text, nachdem sie darauf hingewiesen wurden, dass der Autor des Buches „Kontrollverlust“, Thorsten Schulte, AfD-nah ist. Tags darauf wurde Schreyers Text, mit der Einräumung, dass die Löschung ein Fehler gewesen sei, mit einem sehr kritischen Begleitkommentar wieder online gestellt. Der Begleitkommentar kritisiert, dass Schreyer die Nachdenkseiten und deren Leser nicht ausdrücklich und ausführlich über den politischen Hintergrund von Schulte informiert habe.

In der Diskussion darum bringt Schreyer den Satz der alles auf den Punkt bringt:

„Wer die Meinungsfreiheit erst dann verteidigt, wenn die eigene Meinung unter Feuer kommt, der wird sie wahrscheinlich verlieren.

Er hat Recht. Es ging in seinem Text nicht darum, was in dem Buch von Schulte stand. Es ist nicht ansatzweise eine Rezension. Sein kurzer Satz, dass er kein Fan von Schulte ist, muss deshalb reichen. Es ging darum, dass ein Text aus einer vermeintlich objektiven Bestsellerliste entfernt wird, und das auch noch auf eine Weise, dass das Publikum das möglichst nicht merkt. Das ist eine üble Form der Manipulation. Es ist nicht nur heuchlerisch, wenn Linke, die sonst für Meinungsfreiheit und gegen Unterdrückung von Andersdenkenden streiten, dies gutheißen, nur weil es den politischen Gegner trifft. Es ist auch extrem kurzsichtig und selbstschädigend. Denn derartige Zensurbemühungen – man denke nur an Maas‘ unsägliches Facebook-Zensurgesetz oder die gemeinsame Zensurdatenbank der Internet- und Social-Media-Giganten – werden mit gutem Grund und voller Absicht, als Maßnahme gegen den rechten Rand eingeführt und gerechtfertigt. So kann man neben der eingelullten Mitte auch die vermeintlich kritischen Geister im linken Spektrum dafür gewinnen, oder wenigsten von lautstarken Protesten abhalten. Und flugs wird das so hoffähig gemachte Instrumentarium dann gegen eben diese kritischen Geister auf der Linken eingesetzt. In den USA passiert das schon, Bei uns wird es nicht lange dauern.

Es ist ein großer Schritt in den Totalitarismus, wenn Bücher verschwinden gelassen werden, auch und erst Recht, wenn das Hauptargument ist, dass der Verlag anrüchig sei. Wenn man das weit genug treibt, dann haben Autoren, deren Thesen gegen vermeintliche oder tatsächliche Umtriebe der Mächtigen als Verschwörungstheorien verunglimpft werden, sodass sie keinen renommierten Verlag mehr finden, überhaupt keine Möglichkeit mehr, Gehör zu finden. Eine Gesellschaft, in der man die Mächtigen nicht mehr öffentlich kritisieren kann – von links oder von rechts – ist totalitär.

Schreyers Stellungnahme und Leserbriefe an ihn finden Sie hier.

Den Text auf den Nachdenkseiten mit kritischem Kommentar finden Sie hier.

Mein Dossier zum laufenden Kampf gegen die Meinungsfreiheit finden Sie hier.

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