Freitag der 13. (Mai) war ein passendes Datum für die zwei Veranstaltungen. Der Bundestag erklärte nicht nur die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern (darüber wurde in den Medien berichtet), er debattierte auch über zwei Anträge der LINKEN zu CETA. Und in Brüssel besprach der EU-Ministerrat das weitere Vorgehen bei CETA. Vor allem die Gabriel-Partei, die gern gegen dieses Abkommen mit Kanada wäre, aber nicht dagegen sein darf, übte sich in Obstruktion des Parlaments, Volksverdummung und schleichender Selbstvernichtung.
Zum Stand der Planungen: Die EU-Kommission will im Juni dem Rat vorschlagen, CETA im Oktober zu unterzeichnen und dann gleich vorläufig anzuwenden, bevor die nationalen Parlamente den Vertrag ratifiziert haben, was wohl nicht alle tun werden. Die Kommission hat sich bisher so positioniert, dass CETA ein Abkommen in alleiniger EU-Zuständigkeit sei. Dann könnte der Rat allein entscheiden. Im Rat sind einige Regierungen –einschließlich der Deutschen – der Meinung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, weil Teile in nationale Zuständigkeit fallen. Dann könnten nur diejenigen Teile vorläufig in Kraft gesetzt werden, für die allein in EU-zuständig ist. Welche das sind, ist aber umstritten. Die Kommission will nicht warten, bis der Europäische Gerichtshof in einem bereits anhängigen ähnlich gelagerten Fall zum Abkommen mit Singapur hierüber entschieden hat. Ob das CETA-Kapitel mit den speziellen Schiedsgerichten für Investoren und den Beteiligungsrechten von Konzernen bei Regulierung und Gesetzgebung vorläufig anwendbar ist, ist umstritten.
Zur Gefahr von CETA für Europa siehe: Europa tappt in die TTIP-Falle
Die LINKE monierte in ihrem aktuellen Antrag, eine vorläufige Anwendung würde Fakten schaffen die kaum oder gar nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten und würden so das Mitbestimmungsrecht des Parlaments aushöhlen. Deshalb solle der Bundestag die Regierung auffordern, einer vorläufigen Inkraftsetzung nicht zuzustimmen.
Debattiert und abgestimmt wurde daneben noch über einen weiteren, älteren Antrag der Linksfraktion, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, das bis dahin finalisierte CETA-Verhandlungsergebnis „als nicht annehmbar“ zurückzuweisen und auch für einen Stopp der TTIP-Verhandlungen mit den USA zu sorgen. Dass die große Koalition diesen Antrag ablehnte, war nicht überraschend.
Bei den Redebeiträgen der Christsozialen gab es keine Überraschung, da sie nie ein Hehl daraus gemacht haben, dass sie Freihandelsabkommen für das Beste seit der Erfindung von geschnittenem Brot halten. Peter Bayer brachte deren Haltung mit zwei possierlichen Feststellungen auf den Punkt. Bei den Kritikern „schwingt immer ein Dosis Anti-Amerikanismus und Anti-Äh-Kanadaismus mit“, bemerkte er. Dieser deutsche Anti-Kanadaismus wieder einmal, von dem wir bisher noch nie etwas gehört haben. Die zweite Feststellung: Deregulierung habe nichts mit niedrigeren Standards zu tun, sondern nur mit weniger Regulierung. (Video)
Sozialdemokratische Logik vom Feinsten
Rainer Spiering von der SPD wies darauf hin, dass Deutschland ein großer Agrarexporteur sei und Kanada ein großer Milchmarkt. Er rief dazu auf, endlich einmal dem EU-Parlament zu trauen und an die große europäische Idee zu glauben. Spiering versicherte, ohne einen Beschluss des Rates werde CETA nicht in Kraft treten. (Video) Das ist eine einigermaßen bizarre Versicherung, ging es doch um einen Antrag der LINKEN, der Bundestag möge die Regierung auffordern im Ministerrat gegen eine vorläufige Anwendung von CETA zu stimmen.
Parteifreundin Nina Scheer setzt noch eins drauf in Sachen verquere Logik. Es bestehe noch viel Klärungsbedarf, gab sie die Kritische, und fügte hinzu, man solle deshalb noch kein Augenmerk auf die vorläufige Anwendung richten. Schließlich wisse man ja noch gar nicht, was da vorläufig angewendet werden solle. Normal begabte Menschen würden sagen, wenn man kurz vor einer Entscheidung der Exektive noch nicht weiß, worüber genau diese beschließen wird, dann ist das für ein Parlament, das seinen Namen verdient, ein Grund, „stopp!“ zu rufen, bis das geklärt ist (Video).
Ebenso Dirk Wiese: Auch er wies darauf hin, dass der Rat die EU-Kommission überstimmen kann. Warum das eine Stellungnahme des Bundestags an die Regierung, wie sie im Rat abstimmen soll, entbehrlich macht, bleibt sein Geheimnis. Er versicherte, dass die SPD-Fraktion sich dafür einsetzen werde, dass das Kapitel zum Investitionsschutz nicht vorläufig in Kraft gesetzt wird. Die Frage ist, wie uns das beruhigen soll, wenn die SPD gleichzeitig dagegen ist, der Regierung in Gestalt ihres Parteivorsitzenden irgendwelche Empfehlungen mit auf den Weg zu geben, wie er im Rat stimmen soll (Video). Und wenn man ein paar Tage später lesen darf, dass der SPD-Parteivorsitzende Gabriel, der immer behauptet, er sei gegen Schiedsgerichte für Investoren, sogar gegen den Willen der EU-Kommission solche Schiedsgerichte auch für inner-europäische Streitigkeiten haben will, dann ist es mit der Beruhigung mangels Glaubwürdigkeit nicht mehr weit her.
Mit der längsten Redezeit und entsprechend den meisten Heucheleien trat für die SPD Klaus Barthel in den Ring: Er sieht ebenfalls noch viele inhaltliche Probleme von CETA. Um sich damit auseinanderzusetzen brauche das Parlament die amtliche deutsche Übersetzung, die erst im Juni vorliegen soll. Wenn er und seine Kollegen dann erst anfangen, sich mit dem legalistischen Riesenwerk von 500 Seiten Vertragstext und 1500 Seiten Anhängen auseinanderzusetzen, dann wird das Parlament beim derzeitigen Zeitplan – und in Anbetracht der Sommerpause – ganz sicher nichts Fundiertes sagen können. Barthel meint, es müsse auch erst noch geklärt werden, ob das Parlament ein vorläufig in Kraft getretenes CETA wieder zurückholen könne. Das wirkt eigentlich schon wieder wie ein Argument dafür, der Regierung zu sagen, sie solle vor dieser Klärung auf keinen Fall zustimmen, aber Herr Barthel scheint zu meinen, es sei ein Argument für das Gegenteil. Dabei ist die Antwort, wie wir noch sehen werden, ein ziemlich klares NEIN. Die SPD will sich laut Barthel darauf verlassen, dass zugesichert worden sei (von wem bleibt unklar), dass der Bundestag sich vor einer Ratsentscheidung ausführlich mit dem Thema befassen und der Regierung eine Abstimmungsempfehlung geben könne. (Video)
Für die Grünen unterstützten Katharina Dröge und Barbel Höhn die Forderung der LINKEN und kritisierten CETA. Warum alle Grünen sich dann bei der Abstimmung über den älteren Antrag der LINKEN enthielten, bleibt ihr Geheimnis. Mit den Stimmen der großen Koalition wurde der Antrag abgelehnt.
Über den Antrag der LINKEN gegen eine Zustimmung der Bundesregierung zum Vorläufiginkraftsetzen von CETA wollte die SPD nicht abstimmen lassen. Zusammen mit der Union lehnte sie die Sofortabstimmung ab und verwies den Antrag an die Ausschüsse. Dort kann er nun genauso alt werden, wie der ältere Antrag, den die SPD-Fraktion mit dem Argument abgelehnt hatte, er beziehe sich auf einen veralteten Sachstand. Es ist schon erstaunlich, dass man sich in der SPD-Fraktion einbildet, mit dieser Art Heuchelei könne man die Bürger bis zur Bundestagswahl davon überzeugen, dass man es ehrlich damit meine, die Interessen der Bürger zu vertreten, und dass man ihnen irgendetwas glauben könne von dem, was ihnen bis zur Wahl an Versprechen noch einfällt.
Unterdessen in Brüssel …
In Brüssel berieten am gleichen Tag die Handelsminister über CETA und stellten fest, dass alle den Entwurf des Abkommens mit Kanada gut fanden und es im Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnen wollen. Alle Minister hätten „ein sehr starkes einstimmiges Votum“ für Ceta abgegeben, freute sich die EU-Handelskommissarin Malmström. Die niederländische Handelskommissarin Ploumen referierte den Wunsch der Kommission, das Abkommen vor den Abstimmungen in den nationalen Parlamenten gleich vorläufig in Kraft zu setzen.
Schon blöd, wenn der Wirtschaftsminister und SPD-Chef genug Englisch kann, um das Abkommen gut zu finden und abzunicken, die Abgeordneten seiner Partei und der gesamten Regierungskoalition aber, bevor sie überhaupt irgendetwas Eigenständiges dazu denken und sagen können, die amtliche deutsche Übersetzung brauchen. Das verschafft der Exekutive doch einen gewissen Vorteil gegenüber den Volksvertretern
Im Juni wird die Kommission also die deutsche Übersetzung vorlegen. Bald danach verabschiedet sich das Parlament in die Sommerpause. Das EU-Parlament, das von Rechts wegen eigentlich nichts zu sagen hat, darf aufgrund einer großzügigen Geste der Kommission CETA und das vorläufige Inkraft setzen des Abkommens durchwinken, mit der Rechtfertigung, dass es beim den Schiedsgerichten genug Schönheitsoperationen gegeben habe, dass man das vertreten könne. Dem Rat wird vorgeschlagen, die nicht-gemischten Teile vorläufig in Kraft zu setzen. Bis ganz zum Schluss wird unklar sein und darüber verhandelt werden, welche Teile das sein sollen, sodass die Heuchler von der SPD-Fraktion bis ganz zum Schluss sagen können, „Wir können nichts entscheiden, weil wir nicht genau wissen, worüber wir entscheiden sollen.“ Und irgendwann, wenn der Vertrag schon vorläufig in Kraft ist, wird der Bundestag über den Antrag der LINKEN abstimmen, der Regierung solle gesagt werden, sie solle einer vorläufigen Anwendung nicht zustimmen und die SPD-Abegeordneten werden wieder sagen, dass sei ja jetzt wohl ein bisschen veraltet.
Es geht auch anders
Dass es auch anders geht, hat das Parlament des wallonischen Teils Belgiens bewiesen. Es hat der Regierung untersagt, CETA zu unterzeichnen, was es der Regierung verbietet, dies zu tun. Wenn sich das nicht ändert, wird CETA nie als Ganzes in Kraft treten. CETA als Ganzes wäre damit schon tot. Es geht dann nur noch um die Teile des Vertrags, die in alleiniger EU-Kompetenz liegen. Um diese vorläufig aber unbefristet in Kraft zu setzen, genügt eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat. Wenn diese zustande kommt, dann bleibt das Teil-CETA in Kraft, bis der EU-Rat mit qualifizierter Mehrheit einen Beschluss fasst, die vorläufige Anwendung wieder zu beenden. Der Bundestag kann zwar CETA ablehnen, das hat jedoch keine direkte Auswirkung auf die vorläufige Anwendung der bereits angewendeten Teile. Ob ein Gerichtsurteil, das feststellt, dass bestimmte vorläufig angewendete Teile doch nicht in alleiniger EU-Kompetenz liegen, irgendwelche Auswirkungen hätte, ist fraglich.
Man kann allerdings hoffen, dass im Fall eines negativen Bundestagsbeschlusses der politisch-moralische Druck auf die Bundesregierung groß genug wäre, dass sie wenigstens versuchen würde, im Rat eine qualifizierte Mehrheit für eine Beendigung der Anwendung zustande zu bekommen. Solange die SPD mit der Union regiert, darf man darauf vertrauen, dass der Beschluss des Bundestags lange auf sich warten lassen wird. Es wird ja soo viel noch zu klären sei, bevor man die Regierung in diese Zwickmühle bringt.
Während der möglicherweise langen Zeit der vorläufigen Anwendung können Investoren bereits vor die Schiedsgerichte ziehen. Die regulatorische Zusammenarbeit wird starten. Alle Lobbyverbände und Unternehmenslobbyisten stehen bereits in den Startlöchern. Sie werden, gemeinsam mit wohlwollenden Regierungsbeamten und den Brüsseler Technokraten keine Zeit verstreichen lassen, um möglichst viele Pflöcke am Parlament vorbei tief einzurammen. An einem Parlament vorbei, dessen großkoalitionäre Mehrheit es nicht anders gewollt hat.
Gabriels Staatssekretär wiegelt ab
Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig versucht trotz dieser Sachlage nicht minder heuchlerisch zu beruhigen als die SPD-Parlamentarier. Auf die Frage, ob eine vorläufige Anwendung nicht die spätere Entscheidung des Bundestags entwerten würde, antwortete er dem Fragenden ebenso ausweichend wie verräterisch:
„Die Ratifizierungsverfahren im Rat, dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten beziehen sich jeweils auf das gesamte CETA-Abkommen. Die Ratifizierung durch den Rat und das Europäische Parlament richtet sich nach den Verfahrensvorschriften des Unionsrechts, während sich die Ratifizierungsverfahren in den nationalen Parlamenten nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht richten. Somit sind weder die noch anstehenden Abstimmungen über CETA (oder später auch zu dem anderen Freihandelsabkommen TTIP) im Vorfeld „entwertet“ noch wird sich die Bundesregierung den Ergebnissen eben jener Abstimmungen entziehen wollen.“
Was wie eine Beruhigung formuliert ist, ist genau besehen die Einräumung, dass die Entscheidung des Bundestags eben doch entwertet wird, weil sich Rat und Kommission nämlich wie Machnig schreibt, nach Unionsrecht richten, nicht nach dem nationalen Recht. Der Bundestag kann dann zwar über CETA insgesamt abstimmen, aber den schon in Kraft gesetzten Teil nicht mehr stoppen Und die Bundesregierung kann auf die Ratifizierung verzichten und hat sich damit wie versprochen „den Ergebnissen eben jener Abstimmungen“ nicht entzogen, selbst wenn der Zombie-Teil des Vertrags in reiner EU-Kompetenz weiterlebt.