Benjamin Netanjahu und das Den-Haag-Invasionsgesetz der USA

24. 11. 2024 | Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister Joav Galant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen. Zu diesem Anlass erinnern US-Senatoren die Europäer an das Den-Haag-Invasionsgesetz. Gleichzeitig macht das Urteil eines US-Militärgerichts den Deutschen klar, dass sie nicht in einem souveränen Staat leben.

Für die Bundesregierung und andere Länder, die den Vernichtungskrieg der in Teilen offen rassistischen israelischen Regierung gegen die Palästinenser politisch und mit Waffenlieferung unterstützen, ist dieser Haftbefehl hochgradig peinlich. Einerseits, weil er die behauptete Rechtfertigung von zehntausenden getöteten Frauen und Kindern als Selbstverteidigung gegen die ebenso barbarischen Attacken der Hamas untergräbt, andererseits, weil Deutschland als Mitgliedsstaat des Strafgerichtshofs verpflichtet ist, Netanjahu und Galant festzunehmen, sollten sie nach Deutschland kommen. Die Bundesregierung will das erkennbar nicht tun, anders als die Regierung des Sitzlandes des IStGH, der Niederlande, die signalisiert hat, dass sie sich an Recht, Gesetz und unterschriebene Verträge gebunden fühlt.

Die USA halten grobes Besteck in Reserve, um zu vermeiden, dass einer der ihren, oder ein enger Verbündeter wie Netanjahu von einer frechen Regierung wie der niederländischen wegen seiner mutmaßlichen Verbrechen verhaftet und an Den Haag überstellt wird. Und sie scheuen sich auch nicht, es vorzuzeigen. Republikanische Senatoren wie Tom Cotton oder John Thune, der ab Januar Mehrheitsführer im Senat werden könnte, erinnerten aus Anlass des Haftbefehls den Strafgerichtshof, die Niederlande und alle anderen nicht hinreichend unterwürfigen Regierungen in recht deutlichen Worten daran, dass das amerikanische Gesetz zum IStGH nicht umsonst das „Den-Haag-Invasionsgesetz“ genannt wird.

Das Gesetz „American Servicemembers Protection Act“ aus dem Jahr 2002 ermächtigt den Präsidenten alle Mittel einzusetzen, bis hin zu militärischen, um US-Bürger oder die Bürger von mit den USA verbündeten Staaten zu befreien, sollten sie vom IStGH in Haft gehalten werden. Die USA drohen damit dem Nato-Staat Niederlande militärische Gewalt an, sollte er seinen Verpflichtungen gegenüber dem IStGH auch im Hinblick auf Personen nachkommen, die den Schutz der US-Regierung genießen.

Es ist also kein Wunder, dass die Regierung eines Landes wie der Bundesrepublik, das in besonderer Weise unter dem Pantoffel Washingtons steht, fürchterlich herumeiert, wenn sie gefragt wird, ob sie zu ihren IStGH-Verpflichtungen oder zu Washington und Israel hält, wenn ein israelisches Regierungsmitglied wegen seiner mutmaßlichen Kriegsverbrechen verhaftet und vom IStGH belangt werden soll.

Der alles andere als souveräne Status Deutschlands wurde uns gerade erst wieder in Zusammenhang mit einem US-Soldaten eingerieben, der in Deutschland einen Bundesbürger erstochen hatte, dies gegenüber der deutschen Polizei gestand und dennoch im Oktober von einem US-Militärgericht, an das man ihn hatte überstellen müssen, in die Freiheit entlassen wurde. Die deutsche Bevölkerung, die Hinterbliebenen des Opfers und die deutschen Gerichte und Behörden bekamen nicht einmal eine vernünftige Erklärung für diesen eigenwilligen Richterspruch. Die Nachdenkseiten haben berichtet.

Das für den Fall zuständige Justizministerium in Mainz antwortete, dem Bericht zufolge, auf die kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Andreas Hartenfels, die Landesregierung werde den Fall zum Anlass nehmen, etwaigen Handlungsbedarf im Hinblick auf die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens dazu zu prüfen. Das ist auch bitter nötig, wenn Deutschland zu einem souveränen Staat werden will.

Das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, eine deutsche Spezialität, und eine damit verbundene „geheime Note“, die 1963 in Kraft traten, heben, dem Bericht der Nachdenkseiten zufolge, unter anderem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses in Deutschland auf und erlauben den USA Eingriffe in die deutsche Strafverfolgung, wie in dem Fall des freigesprochenen Soldaten. Gemäß geheimen Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und den Westalliierten, die der Historiker Josef Foschepoth vor 20 Jahren bei einer Archivrecherche im Auswärtigen Amt fand und die zum Teil noch gelten, haben die US-Geheimdienste freie Hand in Deutschland. Eine Regierungssprecherin sieht jedoch „keinen Grund“, die Zusatzvereinbarung zum Nato-Truppenstatut, die viele Staatsrechtler für grundgesetzwidrig halten, aufzukündigen. Die deutsche Regierung hat nicht einmal genug Souveränität um die Beschränkungen der eigenen Souveränität zu benennen und zu beklagen.

Fazit

Die Machtverhältnisse sind, wie sie sind, und nicht leicht zu ändern. Aber wenn von westlichen Werten, transatlantischer Partnerschaft, Demokratieverteidigung und regelbasierter internationaler Ordnung die Rede ist, sollte man wissen, was damit gemeint ist: ein despotisches System unter Führung der USA, in dem Deutschland sich als treuer Vasall wohnlich eingerichtet hat, weil es damit bisher recht gut gefahren ist. Dass man sich darauf heute nicht mehr verlassen kann, mag man langsam merken, eine Strategie, damit umzugehen fehlt aber noch. Die denkwürdige „US-Strategie“ einer „balancierten Partnerschaft“, die ein schnell vergessener SPD-Außenminister während der ersten Präsidentschaft von Donald Trump verkündet hat, war in Wahrheit eine verbrämte Unterwerfungserklärung (siehe „Mehr“). Es steht zu erwarten und zu befürchten, dass auch vor und während der zweiten Trump-Präsidentschaft ein Zerwürfnis-Theater aufgeführt werden wird, mit dem gewünschten Ergebnis, dass wir noch mehr für Waffen ausgeben und uns international noch mehr militärisch für die US-Interessen engagieren.

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