Es wird ernst: Der UN-Generalsekretär möchte jederzeit den globalen Notstand ausrufen können

Mit P.S. und P.P.S. | 9. 09. 2024 | Gut versteckt im hinteren Teil eines bereits ausverhandelten Zukunftspakts, der auf einem UN-Zukunftsgipfel ab 22. September verabschiedet werden soll, steht eine Aufforderung an den UN-Generalsekretär, die es in sich hat. Er soll das Protokoll für den Umgang mit künftigen, von ihm auszurufenden globalen Notständen ausarbeiten. Koordiniert hat die Ausarbeitung dieses Pakts die Bundesregierung, zusammen mit der Regierung Namibias.

Wer bis dahin beim Lesen des Pact for the Future nicht schon lange eingeschlafen oder im Floskelsee ertrunken ist, schreckt bei Maßnahme 57 (von 60) aus seinen Träumen auf. Das von der Bundesregierung im Ressort der grünen Außenministerin Annalena Baerbock koordinierte Werk ist auf der Netzseite des UN-Zukunftsgipfels in der Fassung der 3. Revision zu finden. Maßnahme 57 lautet (übersetzt):

Wir werden die internationale Reaktion auf komplexe globale Schocks verstärken.
Wir erkennen die Notwendigkeit einer kohärenteren, kooperativen, koordinierten und multidimensionalen internationalen Reaktion auf komplexe globale Schocks und die zentrale Rolle der Vereinten Nationen in dieser Hinsicht an. Komplexe globale Schocks sind Ereignisse, die schwerwiegende Störungen und nachteilige Folgen für einen beträchtlichen Teil der Länder und der Weltbevölkerung mit sich bringen und Auswirkungen auf mehrere Sektoren haben, sodass eine multidimensionale, von mehreren Akteuren getragene und von der gesamten Regierung und Gesellschaft getragene Reaktion erforderlich ist. (…) Wir fordern den Generalsekretär auf:

(a) den Mitgliedstaaten Protokolle für die Einberufung und den Betrieb von Notfallplattformen (emergency platforms) auf der Grundlage flexibler Ansätze zur Reaktion auf eine Reihe verschiedener komplexer globaler Schocks zur Prüfung vorzulegen, einschließlich Kriterien für die Auslösung und Beendigung von Notfallplattformen, wobei sicherzustellen ist, dass Notfallplattformen für einen begrenzten Zeitraum einberufen werden und keine ständige Institution oder Einrichtung darstellen.(…)“

Viel mehr erfährt man in dem Pakt nicht darüber, was ein „komplexer globaler Schock“ ist, und was passieren soll, wenn der Generalsekretär den Notstand ausgerufen hat. Der Verdacht drängt sich auf, dass das Geplante Menschen verstören und Widerstand hervorrufen könnte. Und der Text des Pakts läuft ja Gefahr, von einigen Menschen tatsächlich gelesen zu werden, von manchen vielleicht sogar bis zum Ende.

Näheres in einem Policy Brief von 2023

In einem Kurzbericht für Fachleute, dem Our Common Agenda Policy Brief 2 von März 2023, hat der UN-Generalsekretär genauer ausgeführt, welche Notstandsrechte er gerne hätte.

„Ich schlage vor, dass die Generalversammlung den Generalsekretär und das System der Vereinten Nationen mit einer ständigen Vollmacht ausstattet, um im Falle eines künftigen komplexen globalen Schocks von ausreichendem Ausmaß, Schweregrad und Reichweite automatisch eine Notfallplattform einzuberufen und einzusetzen. (…) Der Generalsekretär würde entscheiden, wann eine Notfallplattform als Reaktion auf einen komplexen globalen Schock einberufen werden soll.“

Der UN-Generaldirektor will also in eigener Machtvollkommenheit den globalen Notstand ausrufen und den Umgang mit diesem tatsächlichen oder angeblichen Notstand koordinieren dürfen. Nach den Erfahrungen mit dem heftigen Widerstand dagegen, den Chef der Weltgesundheitsorganisation im Rahmen eines Pandemievertrags mit solch diktatorischen Vollmachten auszustatten, wollte die Bundesregierung das wohl nicht für alle nachlesbar in den Entwurf des Paktes schreiben.

Der Generalsekretär verriet in dem Kurzbericht auch, wer alles zusammenwirken soll, um im Krisenfall die Geschicke der Welt in die richtigen Bahnen zu lenken:

„Eine Notfallplattform würde die Beteiligung aller relevanten Akteure ermöglichen, die in der Lage sind, einen sinnvollen Beitrag zur globalen Reaktion zu leisten. Dazu sollten relevante Akteure aus allen Teilen der Welt gehören, einschließlich des privaten Sektors, der Zivilgesellschaft, Fachexperten, Akademiker und andere. Der Generalsekretär wäre dafür verantwortlich, solche relevanten Akteure zu identifizieren und ihren Beitrag zur Reaktion zu beaufsichtigen. (…)

Nach ihrer Aktivierung würde sie (die Notstands-Plattform) führende Vertreter der Mitgliedstaaten, des Systems der Vereinten Nationen, der wichtigsten Ländergruppen, der internationalen Finanzinstitutionen, regionaler Gremien, der Zivilgesellschaft, des Privatsektors, fachspezifischer Branchen oder Forschungseinrichtungen sowie andere Experten zusammenbringen.(…)

Jeder Reaktionsmechanismus muss sicherstellen, dass die beteiligten Akteure klare Verpflichtungen eingehen, die die globale Reaktion auf einen komplexen Schock direkt und unmittelbar unterstützen. (…) Die Teilnehmer müssten die Verantwortung für die Einhaltung dieser Zusagen übernehmen.“

Der Generalsekretär oder diejenigen, die hinter ihm stehen und Macht ausüben, suchen sich also nach Gutdünken „willige Regierungen“, Institutionen, Unternehmen und Organisationen aus, von denen sie annehmen können, dass sie ihre Macht oder ihr Renommee im Sinne derer ausüben, die sie einladen. Die Beteiligten, also auch die teilnehmenden Regierungen, würden genötigt, an den Parlamenten vorbei Selbstverpflichtungen einzugehen, für deren Einhaltung sie Rechenschaft ablegen müssen. Regierungen mit wenig Geld könnten unter Druck gesetzt werden, indem die beteiligten Internationalen Finanzorganisationen ihre Unterstützung von einer konstruktiven Haltung gegenüber den für die ganze Welt angeblich so wichtigen Empfehlungen der Notstandsplattform abhängig machen.

Corona-Krise als Vorbild

Wer bei den Floskeln und dem geplanten Vorgehen unwillkürlich an den Umgang mit der Corona-Krise denkt, der denkt richtig. Corona wird als Musterbeispiel eines komplexen globalen Schocks mehrfach angeführt. Die Lehre daraus sei:

„Trotz aller Bemühungen des multilateralen Systems hat die Pandemie gezeigt, dass die nationalen Regierungen und das globale multilaterale System nicht in der Lage waren, das Ausmaß und die Komplexität dieses Notfalls wirksam zu bewältigen. Das Ergebnis war eine globale Reaktion auf COVID-19, die nicht ausreichend koordiniert war.“

Das ist ein erstaunlicher Befund, war doch viel auffälliger, wie weltweit abgestimmt und koordiniert und vorher geübt die Kommunikation der Regierenden in Sachen Covid war, und wie die ganze Welt plötzlich die mehr oder weniger gleichen radikalen Maßnahmen umsetzte, die zuvor in praktisch keinem Pandemieplan vorgesehen waren. Zum Teil wurde das dadurch erreicht, dass die Internationalen Finanzorganisationen Weltbank und IWF Hilfskredite für arme Länder von der Verhängung von Lockdowns und anderen Maßnahmen abhängig machten.

Hätte es die Notfallplattformen schon gegeben, hätte man diese Koordination ganz offen betreiben können. Vertreter der US-Regierung, der Gates- und der Rockefeller-Stiftungen, des Wellcome Trusts, der EU, der PR-Agentur Edelman, von IWF und Weltbank, der WHO, der Charité und der Harvard Universität und willfähriger Verbände hätten unter der Ägide der UN beraten und „unverbindliche“ Empfehlungen abgegeben, gegen deren Umsetzung sich kaum ein Land hätte wehren können.

Dieses Koordinationsmodell, das in der Corona-Krise so blendend funktionierte, zum Vorteil der Pharmakonzerne und der IT-Multis, soll formalisiert und auf alle möglichen anderen Krisen angewendet werden. Die offene Liste der möglichen komplexen globalen Notstände im Kurzbericht des Generalsekretärs lautet:

  • Großflächige Klima- oder Umweltereignisse, die erhebliche sozioökonomische Störungen und/oder Umweltzerstörung verursachen;
  • Künftige Pandemien mit kaskadenartigen Sekundärauswirkungen;
  • Ereignisse von großer Tragweite, bei denen ein biologischer Kampfstoff (absichtlich oder unabsichtlich) eingesetzt wird;
  • Ereignisse, die zu Unterbrechungen der globalen Waren-, Personen- oder Finanzströme führen;
  • Groß angelegte zerstörerische und/oder störende Aktivitäten im Cyberspace oder Unterbrechungen der globalen digitalen Konnektivität;
  • Ein Großereignis im Weltraum, das schwere Störungen in einem oder mehreren kritischen Systemen auf der Erde verursacht;
  • Unvorhergesehene Risiken („schwarzer Schwan“).

Fazit

Auf kaltem Weg soll die UN zu einer Art Weltregierung ausgebaut werden, die zwar formal nur Empfehlungen aussprechen können soll, welche aber durch alle möglichen Formen des Drucks immer mehr zu Befehlen werden. Das ist um so bedenklicher, als die UN durch systematisches Aushungern abhängig gemacht wurde von Spenden der großen Konzerne und freiwilligen Leistungen der großen Mitgliedstaaten. Daher ist zu befürchten, dass eine Quasi-Weltregierung der UN vor allem deren Interessen bedienen würde.

P.S. Wenn Sie auf die Idee kommen sollten, auf der Netzseite des Future Summit nach den teilnehmenden Gruppen und Unternehmen zu schauen, um eine Idee zu bekommen, wer vielleicht künftig im Krisenfall die Geschicke der Welt lenken dürfen soll, dann werden sie kein Glück haben. Die handverlesenen, teilnahmeberechtigten Organisationen werden nicht veröffentlicht. Und die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt.

P.P.S.: Zur Einordnung der Bedeutung dieses Vorgangs sei an die Worte des Rechtsphilosophen Carl Schmitt erinnert:

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. (…) die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht. (…) Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme.“

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