In der erhitzten Debatte in Deutschland über die Forderung der neuen griechischen Regierung, das angebliche Hilfsprogramm für Griechenland neu zu verhandeln kein deutscher Politiker und kaum jemand in den Medien überhaupt auf die Frage eingeht, ob das Programm, so wie es ist, funktioniert, ob es den Griechen zumutbar ist, und ob es den Interessen der Gläubiger dient. Beides ist offenkundig nicht der Fall. Warum aber dann so hartnäckig daran festhalten. Professor Thiess Büttner, den Schäuble zum Chef seines wissenschaftlichen Beirats gemacht hat, legt nun schonungslos die kalte Logik hinter dieser Haltung offen.
In einem Gastkommentar im Handelsblatt schreibt Büttner zum Ziel der Auflagen für die Griechen:
„ESM bzw. EFSF (die „Rettungsschirme“ N.H.) sehen Finanzhilfen für Krisenländer nur unter Auflagen vor. Dies ist zur Sicherung der Ansprüche erforderlich. Würde man dieses Prinzip aufgeben, würden aus Finanzhilfen einseitige Transfers.“
So weit, so einsichtig. Die Gläubiger wollen kein Geld in ein Faß ohne Boden werfen. Es muss schon glaubhafte Bemühungen geben, das Fass abzudichten. Aber dann kommt es:
„Nun könnte man argumentieren, dass es mittelfristig nicht darum gehen soll, das Hilfsprogramm aufzugeben. Es soll lediglich nachgebessert werden. Selbst wenn dies zu einer Stärkung der griechischen Wirtschaft führen würde, wie es die griechische Regierung suggeriert, ergäbe sich aber eine erhebliche Beschädigung der Glaubwürdigkeit. Denn das Aufkündigen der Vereinbarungen nach einer Wahl stellt jede Konditionalität grundsätzlich in Frage.“
Mit anderen Worten: Es kommt nicht darauf an, ob es funktioniert. Es kommt nicht darauf an, ob die Interessen der Gläubiger geschützt werden. Es kommt nur darauf an, dass Verträge eingehalten werden. Wenn man vereinbart hat, das Fass mit einer Dichtmasse abzudichten, von der sich herausstellt, dass sie wasserlöslich ist, dann muss weiter bis zur Erschöpfung damit an der Abdichtung gearbeitet werden. Sonst leidet die Glaubwürdigkeit.
Es ist unter ernst zu nehmenden Ökonomen nicht mehr strittig, dass die griechische Wirtschaft kaputtgespart wurde, und dass das den Interessen der Gläubiger nicht gut getan hat. Die Schuldenquote ist wegen der wegbrechenden Wirtschaftsleistung auf 175 Prozent derselben angestiegen.
Was Alexis Tsipras vorschlägt und verspricht: Ein dauerhafter Überschuss der Staatseinnahmen über die Ausgaben (ohne Zinsen) auf dem schon erreichten Niveau von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, anstatt weiterer destruktiver Kürzungsorgien um auf 4,5 Prozent Überschuss im Relation zu einer weiter schrumpfenden Wirtschaft zu kommen, ist im Interesse der Gläubiger.
Wenn nun die neue griechische Regierung die destruktiven Teile eines auf undemokratische Weise aufoktroyierten Reformprogramms durch andere Maßnahmen ersetzen will, ohne das Ziel von einem Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben aufzugeben, dann ist mit einem Eingehen auf diese Forderung kein Glaubwürdigkeitsverlust der Kreditgeber verbunden. Dafür verhindert es, dass der Ansehensverlust Europas, der ohnehin schon fast katastrophale Züge angenommen hat, ungebremst voranschreitet.
Es ist fast hundert Jahre her, dass Keynes sein hellsichtiges „The Economic Consequences of the Peace“ geschrieben hat, in dem er voraussagte, dass die untragbaren Wiedergutmachungslasten, die Deutschland aufgebürdet wurden, in die Katastrophe führen würden. Jeder Handelnde in diesem Krimi weiß das und kennt die Parallelen. So hartherzig und vor allem so dumm können weder Professor Büttner noch Wolfgang Schäuble sein, dass sie dem Prinzip des Pacta Sunt Servanda und der Bestrafung des säumigen Schuldners die Zukunft Europas opfern wollen.
Man muss sich also fragen, was sie mit ihrer Haltung tatsächlich bezwecken. Geht es nur darum, hoch zu Pokern um die andere Seite zum Kleinbeigeben zu bringen, oder geht es darum, die Bedingungen festzulegen unter denen die europäische Fiskalunion eingeführt wird. Wollen sie unbedingt, dass das letztlich unvermeidliche Abschreiben der Schulden so stattfindet, dass Griechenland und alle weiteren Südländer, die dem Druck nicht mehr standhalten können, dauerhaft unter Brüsseler und indirekt Berliner Zwangsverwaltung kommen, anstatt von eigenen, gewählten Regierungen regiert zu werden. Ich fürchte fast, darum geht es. Für dieses Ziel nehmen Büttner und Schäuble das Risiko in Kauf, dass in Frankreich bald der Front National regiert, die Währungsunion auseinanderfliegt und Europa zum Schimpfwort verkommt.
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