Sparen macht reich, aber es ist keine soziale Tugend

Es gibt eine einzige falsche Binsenweisheit, die sehr vielen  falschen Politikempfehlungen zugrunde liegt. Es ist die Behauptung, dass man erst sparen müsse, um zu investieren, und die davon abgeleitete These, dass mehr Ersparnis zu mehr Investitionen führt. „Falsch“ nenne ich die abgeleiteten Empfehlungen nur in dem Sinne, dass sie nicht bewirken, was sie angeblich bewirken sollen. Es gibt natürlich viele Nutznießer dieser 

Politikempfehlungen, sonst würden die hanebüchenen Theorien, die ihnen zugrunde liegend, nicht so hartnäckig benutzt und immer weiter verfeinert.

Leser des Handelsblatts mögen mir verzeihen, dass ihnen einiges bekannt vorkommen wird, aber auch für sie lohnt es sich, die Studie von IMK-Volkswirt Fabian Lindner: „Does Saving Increase the Supply of Credit? ACritique of Loanable Funds Theory„, zu lesen, auf die ich hier verlinke. Sie wird derzeit im World Economic Review im offenen Gutachterprozess (hier) beurteilt und wird, wenn sie es in die nächste Ausgabe schafft, ziemlich bekannt werden. Die letzte Ausgabe der Online-Fachzeitschrift ist gerade erschienen und wurde schon am ersten Tag über 5000-mal komplett heruntergeladen (Downloads einzelner Artikel nicht mitgerechnet). Genug der Zeitschriftenwerbung:

Lindner behauptet und zeigt:  „Wer eine Investition finanzieren will, braucht niemanden, der bereit ist zu sparen. Er braucht eine Bank, die ihm Kredit gibt.“ Denn die verfügbare Kreditmenge ist in Wirklichkeit flexibel und kein fester Pool von ausleihbaren Mitteln. Sie ist nicht dadurch begrenzt, wie viel von ihrem Einkommen die Menschen sparen.

Nur wenn die Produktionskapazitäten ausgelastet wären, gäbe es eine Begrenzung durch das Sparvolumen. Es müsste also Vollbeschäftigung herrschen (was die neoklassichen Theorien und Lehrbücher verrückter Weise als normal annehmen) und auch die Maschinen müssten voll ausgelastet sein. Nur dann muss erst jemand auf Konsum verzichten, damit Kapazitäten für die Produktion von Investitionsgütern frei werden.

In der Praxis gibt es aber fast immer ungenutzte Kapazitäten. Selbst bei guter Konjunkturlage sind, wie man regelmäßig statistisch belegt bekommt, die industriellen Kapazitäten kaum je mit viel mehr als 80 Prozent ausgelastet. Es kann also praktisch immer mehr investiert werden, wenn die Banken das Geld dafür zur Verfügung stellen. Durch die Investition entsteht zusätzliches Einkommen, wodurch die Übereinstimmung von Investitionssumme und Ersparnissumme, die die volkswirtschaftliche Bilanzierung voraussetzt, nachträglich immer gegeben ist. Doch im Vorhinein muss das nicht so sein.

In diesem Lichte erhöht Sparsamkeit für den Einzelnen zwar die Wahrscheinlichkeit, dass er reich oder zumindest wohlhabend wird. Aber sie ist nicht die volkswirtschaftliche Tugend, als die sie meist ausgegeben wird. Eher im Gegenteil, wie wir noch sehen werden.

Die Fehleinschätzung der meisten Ökonomen und Wirtschaftspolitiker geht darauf zurück, dass in den Lehrbüchern kein echtes Geld vorkommt. Dort gibt es nur eine Art Warengeld, zum Beispiel Weizen. Wer investiert, muss seine Montagearbeiter ernähren, ohne bereits Umsatz und Gewinn zu machen. Er muss sich Weizen leihen. Jemand muss dafür darauf verzichten, seinen Weizen zu essen. Keine Bank und auch sonst niemand kann einfach per Kredit ein Weizenguthaben schaffen, das vorher nicht da war. In einer solchen Welt gibt es tatsächlich einen festen Pool an verleihbarem Geld. Was investiert werden soll, das muss in einer solchen Modellwelt vorher gespart werden. Die gängigen Lehrbücher bewegen sich in dieser antiquierten Welt. Bis heute. Sie halten die sogenannte Lonable-Funds-Theory hoch. Dazu zählen etwa die Bestseller-Einführungslehrbücher von Greg Mankiw oder Paul Krugman. Beide lassen den Kreditvergabeprozess damit beginnen, dass ein Sparer sein Bargeld zur Bank trägt, die es als Vermittler an einen Investor weitergibt. Das hat nichts mit dem normalen Bankgeschäft zu tun. Eine Bank gibt kein Geld weiter, sondern sie schreibt es auf dem Konto gut.

So erklärt sich ganz leicht, warum in den europäischen Krisenländern trotz exzessiver Sparerfolge die Investitionen nicht anspringen. Das eine hat direkt nichts mit dem anderen zu tun. Indirekt aber schon, weil größere Erparnis in einem Land weniger Nachfrage in diesem Land bedeutet. Dann sinkt der Absatz und die Kapazitätsauslastung. Es gibt noch weniger Grund zu investieren. Und weil weniger investiert und weniger Kredit nachgefragt wird, kommt auch weniger Geld in Umlauf. Das bewirkt, dass die  tatsächliche Ersparnis hinter der angestrebten Ersparnis zurückbleibt und die Nachfrage noch weiter gedrosselt wird.

Auch die Mär von der privaten Altersvorsorge, die angeblich besser mit der Bevölkerungsalterung zurecht kommt, als das Umlageverfahren geht auf den Fehlschluss zurück, dass aus Ersparnis Investition folgt. Wenn viel Geld für das Alter zurückgelegt und entsprechend weniger konsumiert wird, sinkt die Nachfrage und die Kapazitätsauslastung. Außer unter glücklichen Umständen bewirkt das nicht höhere Investitionen, sondern geringere. Es ist dann im Alter nicht mehr für alle da, sondern weniger als wenn man auf die Übung verzichtet hätte. Aber wenigstens die Finanzdienstleister verdienen gut daran.  

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