Russland-Sanktionen: Russland und Deutschland tragen die Hauptlast

Ökonomen haben berechnet, wie viel Handel aufgrund der Sanktionen gegen Russland verloren geht und wie sich der Schaden verteilt. Am schlimmsten sind die Finanzsanktionen der USA. Russland und Deutschland tragen die Hauptlast. Die USA selbst sind kaum betroffen…

Seit über fünf Jahren gelten Handels- und Finanzsanktionen westlicher Länder gegen Russland. Wissenschaftler aus Hongkong und Kiel haben untersucht, wie sich die Sanktionen und die russischen Gegensanktionen auswirken und welche Länder am stärksten betroffen sind. Sie kommen zu dem Ergebnis: Russland trägt gut die Hälfte des Schadens, den Rest schultern die sanktionierenden Länder. Und unter diesen ist Deutschland besonders stark betroffen, die USA kaum.

Die Sanktionen waren eine Reaktion auf die Annexion der Krim-Halbinsel und die Russland unterstellte Unterstützung von separatistischen Rebellen in der Ostukraine seit dem Winter 2013/14. Was die 37 beteiligten Länder, darunter die USA, Japan und alle EU-Länder, als Strafe für die russische Regierung einführten, schadet auch den Sanktionierenden und steht deshalb in Deutschland und manchen anderen Ländern in der Kritik. Unternehmensvertreter und Politiker monieren, dass ein Erfolg in Form eines geänderten Verhaltens der russischen Regierung bisher nicht erkennbar sei und dass manche Regionen und Unternehmen aufgrund der Sanktionen schmerzhafte finanzielle Einbußen verkraften müssen. Zuletzt sorgte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer im Juni mit der Forderung nach einem Ende der Sanktionen für Aufsehen. Kurz darauf hat die EU die Sanktionen ein weiteres Mal für ein halbes Jahr verlängert.

Eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2017 kam nicht über die Feststellung hinaus, dass die Einbußen im Handel mit Russland zu einem erheblichen Teil auf die sehr schlechte wirtschaftliche Entwicklung in Russland zurückzuführen seien.

Nun haben Matthieu Crozet von der Lingnan University in Hongkong und Julian Hinz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft unter dem Titel „Friendly Fire: The Trade Impact of the Russia Sanctions and Counter-Sanctions“ eine Studie vorgelegt, die den Anspruch erhebt, den Einfluss der Sanktionen zu isolieren. Sie erscheint demnächst in der Zeitschrift „Economic Policy“.

Die beiden Forscher schätzen zunächst als Vergleichsmaßstab, wie sich der Handel der verschiedenen Länder mit Russland ohne Sanktionen entwickelt hätte. Aus der Vergangenheit isolieren sie die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Handelsströme, wie zum Beispiel Abstand und Entwicklung der Konjunktur in Russland und bei den Handelspartnern. Diese hypothetische Entwicklung ohne Sanktionen vergleichen sie – heruntergebrochen auf einzelne Länder und Produktkategorien – mit der schwächeren tatsächlichen Entwicklung. Die Differenz ist der Handelsverlust aufgrund der Sanktionen und Gegensanktionen.

Die Zahlen sind nicht so hoch, wie sie von Industrieseite gelegentlich genannt werden, vor allem weil ein guter Teil des Einbruchs der Russlandexporte einer Rezession im Jahr 2015 zugeschrieben wird, die nicht den Sanktionen geschuldet sei, sondern einem Verfall von Ölpreis und Rubel. Außerdem werden in andere Länder umgelenkte Exporte nicht als Schaden gerechnet. Andererseits sind die Schäden aber auch nicht vernachlässigbar, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die stark auf Russland ausgerichtet waren.

Vier Mrd. Dollar Handelsverlust pro Monat

Der Studie zufolge geht durch die Russland-Sanktionen Handel im Volumen von vier Milliarden Dollar pro Monat verloren. Von diesen Exportverlusten tragen 1,8 Milliarden Dollar oder 45 Prozent die sanktionierenden Länder, 55 Prozent Russland. Die Europäische Union wiederum trägt 92 Prozent des Schadens der sanktionierenden Länder. Den Löwenanteil trägt Deutschland mit 38 Prozent oder 667 Millionen Dollar Handelsverlust pro Monat.

Bemerkenswerterweise stellen Hinz und Crozet fest, dass der Handelsschaden ganz überwiegend nicht durch Export- oder Importverbote für bestimmte Güter entsteht, sondern indirekt. Es sind nämlich nur wenige Güter direkt betroffen. Bei Exportverboten sind das vor allem militärische Güter und Ausrüstungen für die Ölbranche, sowie alle Produkte von der Krim. Bei den russischen Importverboten sind es einige Agrarprodukte. Ein Gutteil der Sanktionen richtet sich in Form von Reisebeschränkungen und Finanzsanktionen gegen Einzelpersonen, denen eine Rolle bei der russischen Krim- und Ukraine-Politik zugeschrieben wird.

Entscheidend für die handelsdämpfende Wirkung sind offenbar vor allem die amerikanischen Finanzsanktionen gegen eine im Lauf der Zeit gewachsene Liste wichtiger russischer Finanzinstitute und Energieunternehmen.

Das hat offenbar, so die Autoren, das russische Bankensystem geschwächt und für Unsicherheit gesorgt, welche Finanzbeziehungen zulässig sind und künftig noch zulässig sein werden. Entsprechend schwieriger wurde es, das Exportgeschäft mit Russland zu finanzieren, so die Wirkungshypothese. Sie wird erhärtet dadurch, dass Exporte von Produkten, bei denen Finanzinstrumente typischerweise eine größere Rolle spielen, besonders stark zurückgingen.

Einen genaueren Blick warfen die Autoren auf die Exporttätigkeit französischer Firmen, weil dazu besonders gute Daten verfügbar sind. Sie stellten dabei fest, dass Firmen, deren Exporte nach Russland zurückgingen, den Verlust nur zu einem kleinen Teil durch Exporte in andere Länder ausgleichen konnten.

Auch wenn die sanktionierenden Länder zusammen fast die Hälfte des Schadens haben, bleibt festzustellen, dass Russland stark betroffen ist. Die Regierung in Moskau preist ihre Gegensanktionen mit dem Argument, das Land sei nun weniger auf Importe der betroffenen Lebensmittel angewiesen. Eine Studie von Hinz mit Evgenii Monastyrenko zeigt allerdings, dass die russischen Konsumenten teuer dafür bezahlen. Nach ihren Berechnungen stiegen die Preise für die betroffenen Lebensmittel kurzfristig um rund 10 Prozent. Der Konsum ging stark zurück. Mit der Zeit schwächte sich der Preiseffekt auf rund vier Prozent ab, weil die Produkte zum Teil aus anderen Ländern importiert oder selbst produziert wurden, oder weil die gesunkene Nachfrage die Knappheit reduzierte. Insgesamt verteuerte sich der gesamte russische Konsumwarenkorb durch die Importverbote um 0,2 Prozent.

Die russische Regierung argumentiert, die erhöhte Eigenproduktion steigere gleichzeitig die Einkommen in der Landwirtschaft. Ob das die negativen Effekte aufwiegt, ist aber fraglich.

[9.12.2019]

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