Warum vertritt ein rotgrünes „Progressives“ Zentrum reaktionäre Thesen?

 Mit seiner Kampagne „TruLies Europe“ ist Das Progressive Zentrum angetreten, populistische Kritik an der EU zu „dekonstruieren“ und zu entlarven. Wie das Projekt griechische Kritik an der desaströsen Wirtschaftspolitik für das Land und italienische Kritik an einer nachweislich korrupten Elite zu diffamieren versucht, zeugt jedoch von einem reaktionären Geist, der die herrschenden Verhältnisse für sakrosankt erklärt. Dabei wird das „progressive“ Zentrum vom Who is Who der Grünen und SPD gestützt.

Im Freundeskreis (Circle of Friends) von Das Progressive Zentrum finden sich prominente Namen wie die Grünen Katrin Göring-Eckardt, Omid Nouripour und Cem Özdemir, von der SPD Thomas Oppermann, Hubertus Heil und Brigitte Zypries und linke Publizisten wie Robert Misik, allesamt Leute, die man nicht auf Anhieb mit reaktionärem Gedankengut verbinden würde. Man fragt sich, ob sie wirklich Freunde dessen sind, was man an prominenter Stelle auf der TruLiesSeite findet, die Das Progressive Zentrum zusammen mit dem Institut für Europäische Politik und der Stiftung Mercator auf die Beine gestellt hat. Motto: „Die Wahrheit über Lügen zu Europa“

TruLies Europe, ist ein Projekt, das populistische und europaskeptische Aussagen dekonstruiert und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft.

Professor Heinz-Jürgen Axt teilt in seinem prominent platzierten Stück über Populismus in Griechenland alle nennenswerten griechischen Parteien ein in entweder „pro-europäisch“ oder populistisch. Die Kombination „Pro-europäisch“ und populistisch gibt es offenbar schon per Definition ebensowenig wie die Kombination „anti-europäisch“ und nicht-populistisch. Ob sich die „anti-europäischen“ oder „europaskeptischen“ Parteien eher Asien oder Amerika anschließen wollen, wird nicht erläutert, ebenso wenig der Grund ihrer Gegnerschaft gegen den Kontinent. Man errät aber schon, dass es nicht wirklich um den Kontinent Europa, sondern um die EU und konkreter, um die von der EU-Führungsriege verfolgte Politik geht, die einen zum Populisten macht, wenn man sie kritisiert und ändern will.

Von der griechischen Regierungspartei Syriza heißt es, sie lehne zwar die EU nicht grundsätzlich ab, „aber wenn es um Verpflichtungen geht, glaubt man, diese ignorieren zu können wie z. B. die Grenzen maximaler Verschuldung im Währungsraum.“ Abgesehen von der ungeniert eingenommenen Gläubigerperspektive ist das eine äußerst eigenwillige Darlegung, vor allem, wenn man es mit der Erklärung zusammennimmt, warum Syriza populistisch ist. Sie hatte nämlich Wahlkampf gemacht und wollte auch noch an die Regierung:

 Bei SYRIZA trifft zu, was als Kennzeichen des Populismus gilt: Strategie zum Machterwerb zu sein. Anhänger wurden mobilisiert, indem die bislang dominierenden Parteien PASOK und Neue Demokratie für die Krise mit ihren ökonomischen und sozialen Verwerfungen verantwortlich gemacht wurden. Die Wahl von SYRIZA war zugleich eine Abwahl dieser Parteien.

Nehmen wir im Wege der Ersatzvornahme die Prüfung auf den Wahrheitsgehalt vor, welche die TruLies-Website verspricht, die meisten Autoren dort aber tunlichst vermeiden, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, ihre eigene Weltsicht als DIE Wahrheit zu präsentieren. Dass PASOK und Nea Demokratia den griechischen Karren tief in den Dreck gezogen haben, in dem er heute steckt, ist nicht umstritten. Dass sie für die übermäßige Verschuldung verantwortlich sind, und nicht Syriza, ist ebenfalls offensichtlich, allein schon chronologisch.

Ist der IWF populistisch?

Wichtige Syriza-Vertreter haben aus der Opposition vor Überschuldung gewarnt und als sie an der Regierung waren, im Einklang mit dem Internationalen Währungsfonds und vielen anderen festgestellt, dass Griechenland hoffnungslos überschuldet sei, und seine Schuld nie werde zurückzahlen können. Man darf gern streiten, ob und wann ein teilweiser Schuldenerlass sinnvoll sei, aber man darf sich als vorgeblicher Fact-Checker nicht hinstellen und so tun als verkünde man eine objektive Wahrheit, wenn man die Schäublesche Gläubiger-Sichtweise vertritt und über die andere Seite böswillig-verzerrend behauptet, die Regierung habe einfach keine Lust sich an Verpflichtungen zu halten. Dann wären der IWF und viele andere auch populistisch.

Der Text lässt kaum durchscheinen, dass Griechenland unter der inzwischen fast sieben Jahre währenden Regierung der Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB in eine Depression geraten ist, die selbst die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre hinter sich lässt und dass dadurch weite Schichten der Bevölkerung verarmt und verelendet sind. Entsprechend fehlt in dem Text jegliche Einräumung auch nur der Möglichkeit, dass Brüssel und Berlin etwas falsch gemacht haben könnten, und dass Gegnerschaft gegen eine Fortsetzung dieser Politik eine sachliche Grundlage jenseits von Populismus haben könnte.

Italien: Kritik an einer Tangentopoli-Elite ist populistisch

Im Beitrag zum Populismus in Italien klassifiziert ein Flavio Chiapponi von der Universität Pavia nicht nur die Parteien Lega Nord und Fünf Sterne als populistisch, sondern auch einzelne Politiker anderer Parteien, insbesondere Silvio Berlusconi und, etwas überraschender, Matteo Renzi von der Demokratischen Partei. Er tut das mit nur beschränkt wissenschaftlich anmutenden Bemerkungen wie „Auch einzelne Politiker sind als Populisten bezeichnet worden“ und zählt sie auf dieser weniger als dünnen Grundlage fortan ganz selbstverständlich zu den Populisten. All diese Einordnungen kommen ohne den geringsten Versuch aus, explizit zu definieren, was Populismus von normalem demokratischen Werben um Stimmen unterscheidet. Die „Eliten“ zu kritisieren scheint das Hauptvergehen zu sein. Aber ist es wirklich progressiv, wenn jeder schlecht gemacht wird, der gegen eine durch massive Korruptionsskandale (Tangentopoli) zutiefst diskreditierte politische Elite antritt? Ich würde es reaktionär nennen.

Was ist Populismus?

Schauen wir uns also etwas genauer an, was Populismus angeblich ist. Immerhin hat Professor Axt sich in seinem Stück über griechischen Populismus an einem „pragmatischen Klassifiziertungsansatz“ versucht. Zu einer Definition reicht es nicht, denn 

Populismus entzieht sich in der Regel einer einfachen Klassifizierung und Definition. Die Unschärfe des Begriffs spiegelt wieder, was den politischen Erfolg dieser Politik ausmacht. Konsens lässt sich schon eher darin finden, dass Populismus eine Strategie zum Machterwerb darstellt.

Also: Populist ist, wer an die Macht will. Da das für alle im demokratischen Wettbewerb ins Rennen geworfene Programme und Aussagen gilt, kann mit dieser Definition jede Partei und jede Politikerin als populistisch klassifiziert werden. Sie ist völlig leer. Das sieht auch der Autor so und verfügt daher:

 Aus heuristischen und erkenntnispragmatischen Gründen sollen zur Einordnung der hier zu untersuchenden Parteien die folgenden Merkmale dienen: Inanspruchnahme, Repräsentant des Volkes zu sein. Dazu kommt die Antihaltung gegenüber dem „Establishment“, dem Pluralismus, dem Individualismus, der Globalisierung und dem freien Markt. Die Haltung gegenüber der EU, der Europäischen Währungsunion, der Einwanderung und dem Islam ist distanziert. Eine aktive Rolle des Staates wird befürwortet, der Nationalismus ebenso. Aus der distanzierten Haltung gegenüber Globalisierung und Europäisierung folgt eine Nähe zu Russland.

Das ist jetzt im Gegensatz zu der ersten, extrem unspezifischen Definition außergewöhnlich situationsgebunden-spezifisch.

Übersetzt: Damit das herauskommt, was herauskommen soll (aus heuristischen und erkenntnispragmatischen Gründen) soll alles populistisch heißen, was sich gegen einen Status-Quo richtet (Establishment), der meinen wirtschaftspolitischen Überzeugungen (Pro-Globalisierung; Pro-Neoliberalismus, pro-Euro), meinen geostrategischen Vorlieben (feste Westbindung) und meinen gesellschaftspolitischen Wünschen (multikulturelle Gesellschaft) widerspricht und was sich darüber hinaus noch erdreistet, mit einem entsprechenden Wahlprogramm in die politische Auseinandersetzung um Wählerstimmen zu gehen. 

Wer würde eine solche Haltung wirklich „pluralistisch“ und „progressiv“ nennen wollen? Ich persönlich lese darin einen totalitärer Alleingeltungsanspruch gemischt mit einer reaktionären Grundhaltung wonach die vorherrschenden Machtstrukturen und Politiken die einzig guten sind und alle, die etwas anderes wollen, allein schon deswegen falsch liegen und gefährlich sind. 

Die rotgrünen Politiker im Freundeszirkel von Das Progressive Zentrum sollten sich gut überlegen, ob das tatsächlich die Haltung ist, mit der sie in einem Wahljahr in Verbindung gebracht werden wollen.

Siehe auch: TruLies, Fake News und der überaus heldenhafte Kampf von Heiko Maas für die Wahrheit der Regierenden

[3.5.17]

 

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