Wie Merkel und Gabriel mit Juncker gemeinsame Sache machen, um CETA durchzuschummeln

Wir erleben gerade ein Schmierentheater erster Güte, mit dem Sigmar Gabriel und seine SPD zusammen mit Angela Merkel und ihrer CDU verbergen wollen, dass sie einen perfiden Plan der EU-Kommission unter dem Wenn-es-ernst-wird-musst-du-Lügner Jean-Claude Juncker stützen. Dieser will das von der Bevölkerung weithin abgelehnte Handels- und Investorenprivilegienabkommen CETA mit Kanada EU-rechtswidrig an den Parlamenten vorbeischleusen.

Die Kommission, die CETA unbedingt will, und die Regierungsvertreter, die CETA unbedingt wollen, haben offenkundig einen ausgefeilten Plan entwickelt, wie sie das anstellen, ohne dass die nationalen Politiker zu viel Stress kriegen, weil die Parlamente, die nach den Regeln der EU alles aufhalten könnten, ausgebotet werden.

Dazu das einschlägige Juncker-Quote:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Und so sieht entsprechend die Regieanweisung des dafür nötigen Schmierentheaters aus:

Wir tun so, als hätte die Kommission das Sagen darüber, was die Rechtsnatur des CETA-Abkommens und davon abgeleitet die Beteiligungsrechte der Parlamente sind. Wir lassen den Luftballon vorher in einem deutschen Pressemedium unauffällig steigen und schauen, ob wir damit durchkommen. Wenn sich kein großer Protest und keine juristische Debatte erheben, machen wir es so. Danach dürfen sich diejenigen, die Parteien vertreten, die CETA-skeptisch sind, ein bisschen öffentlich echauffieren, damit das (Partei-)Volk denkt (oder behaupten kann), die Kommission sei schuld und der eigene Parteivorsitzende hätte gekämpft, wie ein Löwe, aber leider verloren. Diejenigen, mit hinreichend knetbaren Parlamenten, dürfen diese scheinbar verbindlich fragen. Die renitenteren Parlamente werden entweder übergangen oder sind nicht wichtig, weil sie es nicht zu einer Sperrminorität bringen. Dann verabschieden wir CETA mit qualifizierter Mehrheit und setzen es gleich vorläufig in Kraft. Das EU-Parlament nickt das ab. Wenn der Europäische Gerichtshof dann in einem oder zwei Jahren über die Rechtsnatur von CETA entscheiden und feststellen sollte, dass es doch Einstimmigkeit und Parlamentszustimmungen gebraucht hätte, dann ist es zu spät. Denn ein völkerrechtlicher Vertrag gilt weiter, auch wenn der Vertreter einer Vertragspartei im Innenverhältnis gar nicht das Recht hatte, ihn abzuschließen. Im Fußball nennt man das ein taktisches Faul, in anderen Zusammenhängen einen (klug) kalkulierten Rechtsbruch.

Was bisher entsprechend diesem Plan geschah

Am 10. Juni verkaufte die FAZ die Rechtsauffassung der Kommission zu CETA als Neuigkeit und garnierte das mit der redaktionell erscheinenden, aber offensichtlich von der Kommission inspirierten Feststellung:

„Die Mitgliedstaaten könnten am Ende auch gegen den Willen der Europäischen Kommission einen gemischten Status durchsetzen. Das müsste aber einstimmig geschehen.“

Es rauschte ein bisschen im Blätterwald, aber fast niemand zweifelte öffentlich an dem (äußerst fragwürdigen) Vorschlagsrecht der Kommission in Sachen Rechtsnatur und dem Erfordernis der Einstimmigkeit im  Rat, damit dieser seine Rechtsauffassung gegen die Kommission durchsetzen könne. (Das „fast niemand“ bezieht sich auf diesen Beitrag von Wilfried Pürsten.) Der Luftballon war erfolgreich aufgestiegen, der Plan konnte weiter verfolgt werden.

Entsprechend hat Juncker am Mittwoch verkündet, CETA sei ein Abkommen, das allein in die Zuständigkeit der EU falle. Folglich hätten die nationalen Parlamente nichts zu sagen und der EU-Rat brauche nur eine qualifizierte Mehrheit, statt der sonst nötigen Einstimmigkeit, um CETA in Kraft zu setzen.

Diese Rechtsauffassung, die der Rechtsauffassung der Mehrheit der Regierungen im EU-Rat widerspricht, ist nicht neu, wie man etwa an diesem Beitrag von Anfang März erkennen kann. Die Regierungen halten CETA für ein gemischtes Abkommen, weil es eine Vielzahl von Bereichen regelt, die in nationale Zuständigkeit fallen. Neu ist, dass die Kommission so tut, als könne sie darüber bestimmen, welchen Charakter CETA hat. Das ist aber nicht der Fall, wie Wilfried Pürsten ausgeführt hat.

Die Regierungen haben der Kommission den Auftrag gegeben, ein gemischtes Abkommen zu verhandeln. Sie hat nicht die Kompetenz, am Ende zu sagen, das, was sie ausgehandelt hat, sei ein EU-only-Abkommen. Sie beruft sich dabei auf Art. 293 AEUV, der die Abänderung von Gesetzen regelt, für die die Kommission das Vorschlagsrecht hat. Diese kann der Rat vor Weiterleitung an das EU-Parlament tatsächlich nur einstimmig abändern. Das, so die Kommission gelte nun auch für die Einschätzung der Kommission zur Rechtsnatur von CETA.

Das ist aus zweierlei Gründen falsch. Selbst wenn Artikel 293 einschlägig wäre: Der Rat kann eine Gesetzesvorlage ablehnen, statt sie zu ändern. Dann muss die Kommission mit einem neuen, mehrheitsfähigen Vorschlag kommen. Wichtiger noch. Es gibt einen speziellen Art. 218 AEUV für die Verabschiedung von völkerrechtlichen Verträgen, und diesem zufolge hat der Rat das Sagen.

Merkel und Gabriel könnten und müssten also, wenn sie ihre vielfachen Versprechen einhalten wollten, dass der Bundestag nach eingehender Beratung das Sagen über CETA haben werde, Juncker in die Parade fahren und klarstellen, bzw. ernsthaft prüfen lassen, wer bestimmt, welche Rechtsnatur CETA hat. Doch nichts dergleichen geschieht.

Stattdessen tun beide so, als sei die Rechtsauffassung der Kommission korrekt und unumstößlich. Dass der Rat die Einschätzung der Kommission zur Rechtsnatur von CETA nicht einstimmig zurückweist, werden mindestens die Italiener sicherstellen, denen die Kommission nötigenfalls mit einer Genehmigung von Hilfen für die italienischer Banken danke sagen könnte. Die Bundesregierung kann also gefahrlos dagegen stimmen und sich besiegen lassen.

Gabriel muss seiner Partei eine größere Show bieten

Statt effektiv zu kontern und Juncker für den kalkulierten Rechtsbruch die gelbe Karte zu zeigen, akzeptiert Merkel diesen als Recht und verspricht stattdessen dem Bundestag, dass sie ihn – unverbindlich – nach seiner Meinung fragen werde, bevor sie über CETA befinde. Und Gabriel, der seiner etwas rebellischeren Partei eine größere Show des Protests bieten muss, tönt lautstark, es sei töricht, was Juncker da plane und es werde das TTIP-Abkommen mit den USA zum Scheitern verurteilen. Dabei weiß jeder, dass TTIP tot ist, unter anderem weil die USA keinerlei Kompromisse einzugehen bereit sind, weil sie die Vorteile von TTIP auch über CETA bekommen können. Vor allem die Europäer sind gekniffen, wenn es CETA gibt aber TTIP nicht (mehr dazu hier).

Gabriel weiter: „Was immer die EU-Kommission beschließt: in Deutschland entscheidet der deutsche Bundestag.“ Ohne ein Ja des Bundestages werde er „auf keinen Fall Ceta zustimmen“.

Das ist dasselbe wie Merkel sagte, nur mit mehr Getöse gesagt. Dass der Bundestag CETA vorher inhaltlich nicht vernünftig diskutieren können wird, haben Gabriel und seine leicht widerstrebende Fraktion sichergestellt. Denn die Fraktionen der großen Koalition haben sich im Bundestag hartnäckig geweigert, über den Inhalt von CETA zu debattieren. Der Vorwand: Der Vertrag liege noch nicht in verbindlicher deutscher Übersetzung vor. Das ist immer noch so, und die Sommerpause steht vor der Tür. Und im September will der Rat schon entscheiden. Es lohnt sich, nochmal die Reden der SPD-und Unions-Parlamentariern anzuschauen oder zusammengefasst zu lesen, die kürzlich noch behauptet haben, der Bundestag werde noch genug Zeit haben, das hochtechnische Regelwerk mit der vierstelligen Seitenzahl ausgiebig zu beraten.

Anfang März schrieb ich zynisch, die EU-Kommission wolle den Briten das Ja zum Brexit leicht machen, indem sie CETA auf undemokratische Weise durchboxt. Jetzt muss man wohl sagen, sie will die Italiener und die Niederländer animieren, es den Briten gleich zu tun. Viel Glück, Jean-Claude!

Nachtrag (30.6.2016, 11:10: Wenn CETA wie ein EU-only-Abkommen behandelt wird, hat das für die Bundesregierung den schönen Nebeneffekt, dass ihr der Bundesrat mit seinen problematischen Mehrheitsverhältnissen nicht in die Parade fahren kann. Bei einer freiwilligen Befragung des Bundestags kann angesichts der Mehrheitsverhältnisse dort und der Flexibilität der SPD-Fraktion nicht allzu viel passieren und man hat Beteiligung des Parlaments vorgegaukelt.

Änderungshinweis (30.6.2016, 8:50): Ich habe den Titel geändert und das Wort „betrügen“ herausgenommen, weil es eine nicht intendierte strafrechtliche Konnotation hat.

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