Holger Balodis: CDU und Grüne lassen Hoffnung für die Rente keimen

24. 11. 2020 | Fast zur gleichen Zeit präsentieren die Sozialpolitiker der CDU und die Grünen progressive Reformideen für die Rentenversicherung. Holger Balodis feiert das in diesem Gastbeitrag als ein großes Hoffnungszeichen, dass die jahrzehntelange Entkernung der gesetzlichen Rente allmählich zurückgedreht werden könnte.

Holger Balodis.* Gibt es endlich Hoffnung für bessere Renten? Wir erinnern uns: Drei Jahrzehnte lang wurden die deutschen Renten durch eine Vielzahl gesetzlicher Maßnahmen vom höheren Niveau europäischer Nachbarstaaten wie Österreich, den Niederlanden oder Dänemark abgekoppelt. Um bis zu 40 Prozent liegen die Rentenansprüche vieler Versicherter heute real niedriger als zu Zeiten der Wiedervereinigung. Daran haben auch die hitzig debattierten Verbesserungen wie Mütterrente und ‚Rente mit 63’ nichts geändert.

Nun gibt es erstmals so etwas wie eine Morgenröte am Rentnerhimmel. Sie kommt von unerwarteter Stelle: der CDU. Vor wenigen Tagen präsentierte der Bundesfachausschuss für Soziales ein Papier, das – würde es umgesetzt – eine Rentenkehrtwende möglich machen würde. Darin stehen Sachen, die bislang eigentlich zu den unionspolitischen No Go’s gehörten: Die Einbeziehung von Beamten, Freiberuflern und Selbstständigen in die gesetzliche Rente. Beiträge auf alle Einkünfte, also auf Lohn und Gehalt genauso wie auf selbstständige Einkünfte, auf Kapitaleinkommen und auf Mieteinnahmen. Und schließlich der Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze.

Das alles wäre eine Rentenrevolution, die bislang in dieser Klarheit noch nicht mal Die Linke gefordert hat. Topverdiener müssten dann von jedem verdienten Euro Rentenbeiträge zahlen. Die Solidarität in der Rentenkasse würde nicht mehr länger bei einem Jahreseinkommen von 82.800 Euro (für Westdeutschland) enden. Die Riester-Rente solle nicht mehr länger kompliziert und teuer von Versicherungen und Finanzdienstleistern angeboten werden, sondern von einem staatlich organisierten Fonds nach skandinavischem Vorbild preiswert organisiert werden.

Was den Charme dieser Forderungen erhöht: Fast gleichzeitig haben die Grünen ein Grundsatzprogramm beschlossen, das in Rentenfragen fast in dieselbe Richtung führt. Und dieser Gleichklang ist es, der Hoffnung nähren könnte. Schließlich sehen viele Beobachter große Chancen, dass es nach der nächsten Bundestagswahl zu einer schwarz-grünen Regierungskoalition kommen kann.

In Rentenfragen wären die Schnittmengen dann gewaltig, wenn, ja und jetzt kommt leider der Wasser in den Wein, wenn sich die CDU-Sozialen gegen den Widerstand des Unionswirtschaftsflügels durchsetzen könnten. Und hier müssen sich die Erben Norbert Blüms auf geradezu wütende Attacken einstellen.

Wer Spitzenverdiener deutlich mehr belasten will und den Finanzdienstleistern das milliardenschwere Geschäft mit der privaten Vorsorge vermiesen will, kann nicht mit Duldung rechnen. Da droht ein Machtkampf, der sich gewaschen hat. Und falls sich Friedrich Merz beim Rennen um den CDU-Vorsitz durchsetzt, ahnt man, wie dieser Kampf ausgehen wird. Wer gesehen hat, wie hartnäckig die Union die Grundrente von Hubertus Heil (SPD) bekämpft und am Ende kräftig verwässert hat, weiß, wie schwer es die Solidarität in der Union hat.

Und dennoch: Die Sozialpolitiker der CDU haben eine Duftmarke gesetzt. Sie haben Denkverbote gebrochen und klar gemacht, dass es neue Wege in der Rente geben muss. Und wenn man die wissenschaftliche Expertise sowohl der Bertelsmann Stiftung wie auch der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nimmt, so sind diese Rezepte eigentlich längst überfällig.

Die über 100 Jahre währende Trennung in eine Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte einerseits und andererseits in privilegierte Versorgungssysteme für Beamte und Freiberufler in Versorgungswerken, das ist nicht mehr zeitgemäß. Ein schrittweises Eingliedern dieser Personengruppen, beginnend jeweils mit den jungen Jahrgängen, würde der Rentenversicherung über viele Jahrzehnte massive Zusatzeinnahmen bescheren.

Gleiches gilt für den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze und die Heranziehung aller Einkünfte für die Beitragsberechnung. Die in der Vergangenheit oft schon totgesagte Rentenversicherung bekäme gewaltige finanzielle Spielräume.

Wer all das für eine nicht realisierbare Utopie hält, der schaue ins Land der Eidgenossen. In der Schweiz gibt es solche Regelungen schon lange. Dort wurden sie allerdings genutzt, um die Beitragsbelastung extrem niedrig zu halten. Ginge man hierzulande einen Weg moderater Beitragslasten, könnten die Renten für alle massiv erhöht werden und Altersarmut tatsächlich eingedämmt werden. Der politische Kampf um dieses Ziel ist überfällig.

*Holger Balodis ist Volkswirt und Autor, zusammen mit seiner Frau Dagmar Hühne hat er unter anderem den Spiegel-Bestseller „Die Vorsorgelüge“ verfasst. Im jüngsten Buch „Rente rauf! So kann es klappen“ (Leseprobe) stellen die Rentenexperten ein 8-Punkte-Programm vor, in dem sie vorrechnen, wie deutlich höhere Renten finanziert werden können.

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