Missverständnisse über das Gendern

16. 02. 2021 | Hören | Mein Beitrag zum Gendern hat so viele Zuschriften generiert wie wenige andere, zumeist kritische, von Männern und von Frauen. Ich bin dankbar, dass fast alle trotz erkennbarer Emotion respektvoll blieben. Ich glaube, ein Teil der Kritik beruht auf einem Missverständnis.

Um das erste vermutete Missverständnis gleich beim Namen zu nennen: Wenn ich das generische Femininum verwende greife ich damit niemand an. Es bedeutet nicht, auch nicht indirekt, dass ich Menschen, die die Sprache weiter genau so benutzen wollen, wie sie ist, unterstelle frauenfeindlich oder Gegnerinnen der Gleichberechtigung zu sein, oder dem Vorschub zu leisten.

Warum ich nicht mit * gendere

Ich schätze Konservatismus im Sinne des Bewahrens des Bestehenden und von Traditionen. Denn die Grundannahme, dass das was ist, meist aus guten Gründen so ist, wie es ist, hat einiges für sich. Ich schätze auch Konservatismus in Sachen Sprache, weil er verhindert, dass die Sprache zum Spielball aller möglichen kurzfristigen Interessen, Moden und Sperenzchen wird.

Von daher kann ich die Quelle des Widerstands gegen feministisch motivierte Änderungen des Sprachgebrauchs gut verstehen. Auch ich störe mich zum Beispiel kolossal daran, wenn mich kommerzielle Unternehmen mit Du anreden, weil ich das respektlos finde. Ich will, wie sich das im Deutschen gehört, mit Sie angeredet werden, auch wenn ich ein Mann bin und es eine weibliche Form ist, die die respektvolle Distanz ausdrücken soll.

Ich glaube auch nicht, dass sich am Sprachgebrauch letztlich der Erfolg oder Misserfolg des Gleichberechtigungsanliegens entscheidet. Dafür gibt es sicherlich wichtigeres. Aber das Eine zu tun bedeutet ja nicht, deshalb das Andere zu lassen.

Senderinnen und Empfängerinnen

Kritiker und Verteidiger des tradierten Sprachgebrauchs reden viel aneinander vorbei, weil die einen vor allem von der Senderin und ihrer beabsichtigten Botschaft her argumentieren, die anderen von der Empfängerin und dem was bei ihr ankommt. Das ist oft nicht dasselbe.

Ich verstehe, dass die männliche Form von Berufs- und Personenbezeichnungen die unbestimmte ist, und deshalb sprachlogisch Personen jeglichen Geschlechts mit meint, und dass es eben keine grammatische Form gibt, die ausdrückt, dass ein Bäcker ein männlicher Bäcker ist. Mann muss das, wenn es wichtig ist, durch den Zusatz männlich oder die Nutzung von klarstellenden Artikeln wie „er“ oder „sein“ deutlich machen, während es für weibliche Bäcker die Form -in oder -innen gibt.

Logisch ist das völlig korrekt und auf der logischen Ebene kaum problematisch. Wenn man jemand fragt, ob wohl nur Männer gemeint sein können, wenn von den Bäckern die Rede ist, werden fast alle richtig antworten, dass das nicht so ist.

Aber es gibt eben auch noch eine andere, mindestens genauso wichtige Ebene neben der kognitiven, bewussten Sprachverarbeitung, und das ist die unbewusste. Es sind die Bilder, die beim Lesen und Hören im Kopf entstehen. Das unbewusste kennt keine abstrakten Begriffe und keine Personen mit unbestimmtem Geschlecht. Wir haben keine Bilder für Personen mit unbestimmtem Geschlecht.

Dazu gibt es eine Vielzahl von überzeugenden Studien, die in einem Beitrag von Republik von Juni 2020 verlinkt sind und sehr gut eingeordnet werden. (Diesen Absatz habe ich am 18. 02. eingefügt.)

Innere Bilder sind wichtig

Wenn wir Geschichten von Gewerkschaftern der Bäcker und der Piloten hören, die sich bei Politikern beschweren, dass ihre Anliegen nicht beachtet werden, wissen wir kognitiv, dass damit Gewerkschafter, Bäcker, Piloten und Politiker jedweden Geschlechts gemeint sind.

Aber auf einer anderen Ebene stellen wir uns entweder einen Mann oder eine Frau in einer Backstube, im Flugzeug oder im Parlament vor. Und hier – so die These – entfaltet das generische Maskulinum seine problematische Wirkung. Die meisten werden sich meistens Männer vorstellen, zum Teil, weil es historisch oder immer noch häufiger der Fall ist, dass Bäcker, Piloten und Politiker männlich sind, zum Teil aber auch, weil das Maskulinum dazu einlädt.

Das ist anders als bei vielen kleinen femininen Bestandteilen der Sprache, wie der Höflichkeitsform „Sie“ oder der Pluralbildung mit „sie“ oder „die“ wie in „die Männer“. Diese kleinen Wörter sind nicht bildgebend. Sie erschließen sich nur durch Nachdenken als feminine Formen. Bei „die Männer“ haben wir ohne Wenn und Aber männliche Wesen vor Augen, ganz unbeeinflusst von dem „die“ davor.

Ebenso wie ich Sprachkonservative verstehe, verstehe ich, dass Menschen, die die Benachteiligung der Frau beenden wollen, sich dabei nicht Sprachformen bedienen wollen, die dazu einladen, vor allem an Männer zu denken, wenn von Menschen mit bestimmten Eigenschaften die Rede ist. Dass soll nicht heißen, dass ich jede Form der Sprachkritik, auch die aggressiveren, vorwurfsvollen Varianten, gutheißen würde. Das tue ich nicht, ebensowenig, wie ich aggressiv-gehässige Formen des Sprachkonservatismus gutheiße.

Aber ich finde es gut, wenn manche der Tendenz entgegenwirken, dass durch die Sprache bei den Empfängern so viele Bilder von Männern und so wenige von Frauen erzeugt werden. Das schafft einen gewissen Ausgleich und kann dazu beitragen, bei den Sprachempfängern das Entstehen der Bilder etwas bewusster zu machen. Idealer Weise mischen sich dann, wenn von Gruppen die Rede ist, zunehmend Frauen in das innere Gruppenbild, und wenn von Einzelnen die Rede ist, tauscht die Empfängerin gelegentlich halb-bewusst das schnelle erste Bild eines Mannes gegen das einer Frau aus.

Das ist die Absicht dahinter, dass ich das generische Femininum verwende. Ich möchte niemand drängen es auch so zu tun. Es reicht völlig, wenn manche es tun. Diese sind deshalb keine besseren Menschen als diejenigen, die es nicht tun. Jeder und jede hat andere wertvolle Anliegen, die ihnen wichtig sind und für die sie eintreten.

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