Keynesianer und Geldwesen – Antwort auf Heiner Flassbeck

 Heiner Flassbeck hat unter dem schönen Titel „Helikoptergeld – oder wer über das Kuckucksnest fliegt“ ausführlich auf meine Einwände zu seinen Anti-Helikoptergeld-Artikeln (hier, mit Spiecker, frei) und (hier, im Abo) geantwortet. Helikoptergeld heißt, dass die Notenbank, anstatt neues Geld in die Finanzmärkte zu pumpen, dieses direkt in die produzierende und konsumierende Wirtschaft einspeist. Seine Antwort erlaubt mir,

deutlich zu machen, warum ich es für sinnvoll und wichtig halte, über die Möglichkeit des Helikoptergeldes aufzuklären, obwohl und gerade weil die Europäische Zentralbank (EZB) sehr weit davon weg ist, so etwas ernsthaft in Betracht zu ziehen.

 Meine Argumentation hat drei Ebenen. Die sachliche, in der ich zum einen deutlich machen will, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Situation – was Flassbeck übersieht – besonders geeignet ist, Helikoptergeld einzusetzen und zu fordern. Zum anderen argumentiere ich, dass der Vorwurf der fehlenden Konsensfähigkeit nicht alle denkbaren und möglichen Varianten von Helikoptergeld gleichermaßen trifft, die ich angeführt habe. Einige wären leicht konsensfähig, wenn guter Wille da wäre.

 Das wird zur zweiten Ebene führen, der Frage, was die Entscheidungsträger wollen, eine ganz grundlegende Frage, die Flassbeck fast völlig ignoriert.

 Das schließlich führt als dritte Ebene zum Zweck der ganzen Aktion: Aufklärung. Aufklärung darüber, dass es Alternativen überhaupt gibt, dass die Entscheidungsträger den Entscheidungshorizont künstlich massiv verengen, um den Eindruck von Alternativlosigkeit zu erzeugen. Aufklärung darüber, was die Entscheidungsträger tatsächlich bezwecken, nämlich den Reformdruck aufrechterhalten. Das ist ein Euphemismus für: den Umbau Europas nach dem angelsächsischen Modell, mit minimalen Arbeitnehmerrechten und maximaler Konkurrenz der Arbeitnehmer untereinander. Eigentlich, so meine Argumentation, ist das etwas, wogegen gerade Heiner Flassbeck nicht argumentativ schießen sollte.

 Mit dieser Vorrede sollte klar sein, dass es mir – entgegen dem was Heiner Flassbeck sagt, worum es gehe – eben gerade nicht um die Frage geht, „ob Helikoptergeld eine realistische Alternative zu den heutigen Rettungsversuchen in der EU ist.“ Gerade weil die EZB  so weit weg davon ist, an Helikoptergeld zu denken, ist es so wichtig, darüber aufzuklären, dass es Alternativen gäbe, die die EZB abwählt. Die Beschäftigung mit den Gründen dafür hilft, die Zielsetzung der EZB, für die Öffentlichkeit herauszuarbeiten und so zu bekämpfen.

 Das Beispiel aus Afrika, das Heiner Flassbeck aus seiner UNCTAD-Erfahrung erzählt, erlaubt schön, die Bedeutung der derzeitigen ungewöhnlichen Situation mit zu niedriger Inflation darzulegen. Flassbeck:

 „Ein Regierungsvertreter aus Afrika kam auf mich zu und stellte eine einfache Frage. Er sagte, in seinem kleinen afrikanischen Land bräuchte man dringend eine Eisenbahn von West nach Ost. Aber der Staat habe kein Geld dafür. Was, fragte er, spricht ökonomisch dagegen, das Geld für die Eisenbahn zu drucken und damit die Eisenbahn sofort zu bauen.“

 Flassbeck und die von ihm eingeladenen Experten hätten gesagt, das sei kein Problem, erzählt er. Dann habe er aber feststellen müssen, dass „Geld drucken, um eine Investition zu finanzieren, für 99 Prozent der anwesenden Beamten eine absolute Horrorvision“ war, weil sie das den geldleihenden Institutionen und ihren Entscheidungsträgern zuhause nicht vermitteln konnte. Das überträgt er auf unsere Situation heute und schließt, „dass man die Menschen einschließlich der Politiker immer da abholen muss, wo sie sich gerade befinden. Zumindest ist das in einer Demokratie so.“

 Aufklärung über Zusammenhänge kann nicht demokratiefeindlich sein. Das Argument zieht auf dieser Ebene nicht. Auf der sachlichen Ebene zieht es auch nicht. Ich weiß nicht welches Land es war und wann genau. Aber die afrikanischen Länder haben typischerweise ein Inflationsproblem, kein Deflationsproblem und sie haben enge außenwirtschaftliche Restriktionen zu beachten. Unsere Situation heute ist ganz anders. Wir haben einen Export- und Leistungsbilanzüberschuss in Europa. Es ist weitgehend unumstritten, dass mehr Geld in Umlauf kommen muss, und wir haben ein Problem mit zu niedriger Inflation, nicht mit zu hoher. Wann kann man je ernsthaft über Helikoptergeld reden, wenn nicht jetzt. Deswegen reden ja derzeit auch so viele, zum Teil sehr renommierte Leute darüber.

 Um zu meinen weniger radikalen Vorschlägen zu kommen: Was ist dagegen zu sagen, dass die Notenbanken ihre extrem konservative Buchführungspraxis ändern, die immer schon dazu gedient hat, den Regierungen möglichst wenig vom Geldschöpfungsgewinn abzugeben, und stattdessen riesige eigene Vermögensbestände aufzubauen, mit denen sie dank ihrer extrem intransparenten Bilanzierung und der Abwesenheit von Kontrolle, im Dunkeln ihre Macht spielen lassen können. Wenn sie die gutwillige Zielsetzung hätten, die Heiner Flassbeck ihnen implizit unterstellt, könnten sie ihre ausschüttungsfähigen Gewinne fast mit einem Federstrich massiv steigern und so viel mehr Geld in Umlauf bringen. Sie könnten das offen tun, durch Ändern ihrer selbstgewählten Buchführungsregeln oder versteckt, indem sie durch entsprechende Geschäfte unnötige stille Rücklagen zu offenen Gewinnen werden lassen. So könnten sie mehrere hundert Milliarden Euro an vorher künstlich gebundenen Gewinnen freigeben und an die Regierungen ausschütten. Aber das wollen sie nicht, weil die Klammheit der Regierungen nicht abgemildert werden soll, damit der Reformdruck erhalten bleibt, dieser schönfärberische Ausdruck dafür, dass die EZB den Regierungen vorschreiben kann, eine Politik gegen den Willen von der jeweiligen Bevölkerung zu machen.

 Sie könnten damit auch die Banken sanieren, die sie dank ihres Versagens in der Bankaufsicht in die Krise haben rutschen lassen. Aber das wollen sie nicht, denn das würde ja indirekt auch wieder Druck von den Regierungen nehmen.

 Aus dem gleiche Grund missbrauchen sie ihre Aufsehermacht dafür, zu verfügen, dass die Regierungen sich nicht mehr nennenswert direkt über die Banken refinanzieren können, sondern immer auf den manisch-depressiven Anleihemarkt angewiesen bleiben, der noch dazu von der EZB nahezu beliebig steuerbar ist. So hält die EZB die Staatschuldenkrise am Laufen und ihre Macht hoch, die Wirtschaftspolitik zu diktieren. Was spricht aus Flassbeckscher Sicht dagegen, gegen so etwas anzuschreiben und zu fordern, dass die EZB so etwas nicht tun und nicht tun dürfen soll? Ich bin traurig darüber, dass Heiner Flassbeck all diese Vorschläge nicht einmal zur Kenntnis nimmt, sondern wegen des Reizworts Helikoptergeld im gleichen Artikel gleich mit verdammt.

Ganz zum Schluss seiner Antwort schreibt sich Heiner Flassbeck in Rage und unterstellt mir, dass ich mich in luftige theoretische Höhen verdünnisiere, wo ich niemand störe.

 „Helikoptergeld, Grundeinkommen, Vollgeld und eine Reihe anderer schöner Ideen sind sehr attraktiv. Man fliegt mit ihnen so hoch über das Kuckucksnest, dass man bei niemandem aneckt, weil man sowieso nicht ernst genommen wird. Man erspart sich die Mühen der Ebene und den täglichen Kampf mit den geistigen Windmühlen, die unsereinem das Leben so schwer machen. Daher, liebe Freunde von der Helikopterfraktion, lasst euch gesagt sein, dass ich den Don Quichote in diesem Demokratietheater manchmal notgedrungen noch gebe, aber den Pausenclown, den mache ich bestimmt nicht.“

Das ist nicht nur gemein. Das ist eine eklatante Verkennung der Interessenlagen. Was meint Heiner Flassbeck, warum die Notenbanken und ihre finanzkräftigen Alliierten in der Finanzbranche dafür gesorgt haben, dass fast alle Lehrbücher den Geldschöpfungsprozess verdunkeln, statt ihn zu erklären, und dass bei den einflussreichen Journals das Wort „Credit creation“ (Geldschöpfung/Einlagenschaffung) auf dem Index der verbotenen Inhalte steht? Ich kann ihm wohl 100-mal so viele vernünftige Artikel zur Lohnpolitik oder zum Arbeitsmarkt in führenden Journals finden, wie er mir  entsprechende Artikel in diesen Journals nennen kann, die das Geldwesen vernünftig darstellen. Von denen, die mich aufgesucht haben, um ihren Auftraggebern ein Dossier über mich abzuliefern, hat sich keiner dafür interessiert, dass ich hier und da für den Mindestlohn oder produktivitätsorientierte Lohnpolitik eingetreten bin. Sie haben sich viel mehr für meine Ansichten zum Geldwesen und meine Vernetzung auf diesem Gebiet interessiert. Wie soll Henry Ford so schön gesagt haben:

Gut dass niemand versteht, wie unser Geldwesen funktioniert. Sonst hätten wir Revolution.“

Solange kaum einer versteht, wie es funktioniert, kann man über das Geldwesen viel wirksamer und geräuschloser die elitenbegünstigende Verteilung herstellen, als allein über die Lohnpolitik. Es ist die Kontrolle über das Finanzwesen, die es der EZB ermöglicht, große Teile Europas zu „Arbeitsmarktreformen“ zu zwingen (siehe z.B. hier und hier), also zum Gegenteil von dem, was Heiner Flassbeck will. Da kann er noch 20 Jahre lang für eine andere Lohnpolitik werben. Solange man die EZB das tun lässt, und er sogar denen argumentativ in den Rücken fällt, die es denunzieren und darüber aufklären wollen, wird sich daran nichts ändern.

Jetzt ist es ein bisschen mit mir davongegangen. Heiner Flassbeck möge es als Ausweis meiner Wertschätzung nehmen, dass mich seine Ablehnung in diesem Punkt so fuchst. Ich will das zum Abschluss nochmal in aller Deutlichkeit sagen. Ich wundere mich sehr darüber, dass die allermeisten Keynesianer und Post-Keynesianer, angefangen bei Keynes, das Geldsystem mindestens in Ruhe lassen, oft aber sogar noch mit besonderer Verve gegen Häretiker verteidigen. Ein gewerkschaftsnaher Ökonom hat mir in dieser Diskussion mit Heiner Flassbeck geschrieben, ich hätte ja Recht, aber er würde das so offen nicht vertreten, weil das in seinen Kreisen schlecht ankomme. Das macht mich sehr nachdenklich

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