Wirtschaftskrisen, wie die derzeitige in der Türkei, haben oft ihren Ursprung in der Geldpolitik der USA

Das Weltwirtschaftsklima hat sich abgekühlt. In wichtigen Schwellenländern wie China geht das Wachstum zurück, andere, wie die Türkei, Argentinien und Brasilien stecken in veritablen Wirtschaftskrisen. Als Gründe werden gern die zunehmenden Handelsstreitigkeiten angeführt, außerdem Fehler der Regierungen. Selten ist dagegen die Rede von etwas, das die gemeinsame Aufwärts- und Abwärtsbewegung in ganz verschiedenen Weltgegenden mit erklären könnte: der Abhängigkeit der Entwicklungs- und Schwellenländer von der amerikanischen Geldpolitik.

Als der indische Notenbankchef und frühere Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF) Raghuram Rajan, die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) 2014 aufforderte, sich mehr um die Auswirkungen ihrer Geldpolitik auf andere Länder zu kümmern, und sie besser mit den betroffenen Ländern zu koordinieren, erhielt er eine schroffe Abfuhr. Der ehemalige Fed-Chef Ben Bernanke fragte rhetorisch, ob Rajan tatsächlich meine, Indien wäre ohne die geldpolitische Lockerung in den USA besser gefahren. Und der Präsident der regionalen Fed von Chicago, Charles Evans, sagte ganz unverblümt: „Unser Mandat, unsere Aufgaben beziehen sich auf die USA.“

Welche Konsequenzen das für andere Länder haben kann, beschreibt Ulrich Volz, ein Experte für internationalen Kapitalverkehr, an einem Beispiel: „Als Bernanke 2013 den Ausstieg der Fed aus der expansiven Geldpolitik ankündigte, führte das zu erheblichen Verwerfungen in Schwellenländern.“ Kapital floss aus den Schwellenländern ab, Währungen gaben stark nach, die Inflation zog an. „Die Zinspolitik der Fed hat maßgeblichen Einfluss auf Rohstoffpreise und internationale Kapitalflüsse“, konstatiert Volz, der an der SOAS University in London lehrt und am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik forscht.

Inzwischen hat die Fed nicht nur aufgehört, per Saldo neue Wertpapiere aufzukaufen und dadurch den Dollar-Umlauf zu erhöhen. Seit 2016 hat sie in neun Schritten ihren Leitzins von nahe null auf 2,25 Prozent erhöht. Deshalb musste sich die Notenbank auch weiterhin der Kritiker aus Entwicklungs- und Schwellenländern erwehren. Darauf antwortete Fed-Chef Jerome Powell im letzten Jahr in einer Rede: „Die US-Geldpolitik ist nicht der wichtigste Treiber von Kapitalflüssen in Schwellenländer.“ Wichtig seien auch die Geldpolitik anderer Notenbanken wie der Europäischen Zentralbank (EZB), Wachstumsdifferenzen und Rohstoffpreise. Daraus folgerte er: „Es gibt guten Grund zu der Annahme, dass die Normalisierung der Geldpolitiken der entwickelten Länder für die Schwellenländer weiterhin gut zu managen sein wird.“

Ausgerechnet aus dem Kreis der US-Notenbank kommt Widerspruch. Falk Bräuning von der Federal Reserve in Boston und Harvard-Ökonomin Victoria Ivashina zeigen in dem Beitrag „U.S. Monetary Policy and Emerging Market Credit Cycles“, der demnächst im renommierten „Journal of Monetary Economics“ erscheint, dass Powell den Einfluss der US-Geldpolitik deutlich zu niedrig ansetzt. Sie stellen fest, dass über 80 Prozent der Kredite ausländischer Banken an Unternehmen in ärmeren Ländern in Dollar denominiert sind. Selbst Bankkredite in europäische Schwellenländer lauten überwiegend auf Dollar und sind damit ziemlich direkt an den US-Leitzins gekoppelt. Es geht um riesige Summen. 2016 hatte das ausstehende grenzüberschreitende Kreditvolumen an diese Länder sieben Billionen Dollar erreicht.

Das Besondere an ihrem Forschungsbeitrag ist, dass sie nicht hochaggregierte Länderdaten verwenden, die anfällig für sonstige Einflüsse sind, sondern Mikrodaten. Das sind Daten über die Kredite spezifischer Banken an spezifische Unternehmen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Dadurch können sie den Einfluss der von Powell genannten Faktoren, etwa der Rohstoffpreise minimieren.  Denn wenn Rohstoffunternehmen bei steigenden Rohstoffpreisen mehr Kredit bekommen, dann wird das als „Unternehmenseffekt“ ausgesondert und nicht der US-Geldpolitik zugeschrieben. Es stellt sich jedoch heraus, dass der Einfluss der US-Zinsen auf das Kreditvolumen über alle Unternehmen, Branchen und Länder hinweg auch laut ihrer Untersuchung vorhanden und stark ist. Eine US-Leitzinserhöhung um zwei Prozentpunkte würde danach die grenzüberschreitende Kreditvergabe an diese Länder um 16 Prozent senken.

EZB ohne großen Einfluss

Entgegen Powells Verweis auf den Einfluss anderer Notenbanken können die Autoren keinen eigenständigen Einfluss der EZB-Geldpolitik feststellen. Dazu bewegt sich die EZB viel zu sehr im Schlepptau der Fed.

Es ist im Einzelfall immer sehr schwierig, derartige globale Einflüsse von Effekten nationaler Wirtschaftspolitik zu trennen. Liegt der Kurssturz der türkischen Lira und der Einbruch der Wirtschaftsleistung daran, dass der autokratische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ausländische Anleger verschreckt hat, oder an der US-Geldpolitik? Für Letzteres spricht, dass die türkische Wirtschaft unter demselben Erdogan jahrelang boomte, angetrieben auch von einem mit ausländischem Geld befeuerten Kreditboom. „Seit letztem Sommer wird Kapital abgezogen“, stellt Volz fest. Er mutmaßt, dass das „durchaus mit der US-Geldpolitik zusammenhängen dürfte“. Allerdings liefere Erdogan mit seinem Lamentieren über eine ausländische Verschwörung gegen die türkische Wirtschaft den Kreditgebern nicht gerade Gründe, ihr Geld in der Türkei zu lassen.

Ein Verfall der heimischen Währung, wie ihn die Türkei erlebt, ist typisch für einen „Sudden Stop“, bei dem das kurzfristige ausländische Geld schlagartig das Land wieder verlässt. Die Regierung kommt dann in das Dilemma, ob sie versuchen will, das ausländische Kapital mit starken Zinserhöhungen im Land zu halten und dabei riskiert, die Wirtschaft zusätzlich abzuwürgen. Erdogan entschied sich dagegen und nahm Inflationsraten um 20 Prozent in Kauf.

Um einen kreditgetriebenen Boom zu vermeiden, in dessen Folge ein „Sudden Stop“ eintritt, empfiehlt Volz, dass die betroffenen Länder auf Anzeichen von Überhitzung schnell reagieren und sich genau anschauen, wofür die Kapitalimporte genutzt werden. Unbedenklich seien Investitionen in neue Produktionskapazitäten. Fließe das Geld aber in Wertpapiere und Immobilien, könnten Beschränkungen des Kapitalzuflusses sinnvoll sein. Ex-Notenbankchef Rajan hat allerdings starke Zweifel zu Protokoll gegeben, dass Regierungen von Entwicklungsländern sich dem Auf und Ab der Kapitalflüsse entgegenstellen können. Zu den Hinderungsgründen gehört, dass freier Kapitalverkehr in internationalen Abkommen die Norm ist.

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