Die neuen Benimmregeln des EZB-Direktoriums haben ein skandalöses Loch

Das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) hat gut 16 Jahre nach Gründung Richtlinien für seine „externe Kommunikation“ beschlossen. Sie sind schwammig und weich formuliert. Selbst schon drängende Zweifelsfragen, wie die Teilnahme des EZB-Präsidenten an Sitzungen der Großbankenlobby G30, klären sie nicht. Zudem gibt es eine skandalöse Ausnahme in einer Fußnote.

Die EZB reagiert mit den Richtlinien auf einen rufschädigenden Skandal, den Direktoriumsmitlgied Benoît Coeuré hervorgerufen hat, indem er vor hochvermögenden internationalen Bankern in London Details zu den bevorstehenden Anleihekäufen verriet. Einige der Anwesenden nutzten die Insiderinformation offenkundig sofort um am Devisenmarkt zu spekulieren. In den Richtlinien steht nun, dass so etwas nur zulässig sein soll, wenn die Öffentlichkeit die Chance hat, die Information annähernd gleichzeitig auch zu erhalten. Das ist im Prinzip nichts Neues. Die EZB hat schon vorher betont, dies sei die Norm und die Veröffentlichung der Rede schon zu Beginn des Vortrags sei nur durch ein Versehen unterblieben.

Diese Richtlinie ist zu weich. Solche Insiderinformationen sollte kein Direktoriumsmitglied vor einem privilegierten Kreis verkünden. Es ist immer noch ein Unterschied, ob man live dabei ist, oder ob man, wenn man rechtzeitig erfährt, dass die Rede veröffentlicht wird, die Gelegenheit hat, diese mitzulesen. Wenn aus dem Titel oder den Umständen nicht zu erwarten ist, dass darin marktsensible Informationen enthalten sind, werden das nicht viele der Nicht-Eingeladenen tun.

Eine weitere Richtlinie enthält eine wertvolle Klarstellung, dass ein anderer skandalöser Auftritt des Herrn Coeuré entgegen der bisherigen Sprachregelung der EZB eben doch nicht in Ordnung war. Coeuré  war 2013 als Dinner-Redner auf einer zweitägigen Journalisten-Werbeveranstaltung der Deutschen Bank aufgetreten. Deren Thema war die Neuorganisation des Deutsche-Bank-Vermögensmanagements. Coeuré reihte sich damit ein in eine Phalanx von Rednern aus der Deutschen Bank, welche die Presse über Themen aufklärten wie „Deutsche Asset & Wealth Management – Produktüberblick“ oder „Deutsche Asset & Wealth Management – gebaut, um den Kunden zu dienen“.  Das wird künftig nicht mehr gehen. Denn nach der neuen Richtlinie  sollen die Direktoriumsmitglieder bei der Auswahl von Redeengagements „versuchen, sicherzustellen“, dass sie damit dem Organisator keinen Prestigevorteil vor Wettbewerbern geben oder ihm erlauben, finanziell vom Eindruck zu profitieren, dass er anscheinend exklusive Kontakte zu Direktoriumsmitgliedern hat.

Die Direktoriumsmitglieder haben ihre Auftritte bei Bankveranstaltungen schon deutlich zurückgefahren, jedenfalls wenn man nach den auf der Website aufgeführten Anlässen geht, die allerdings nicht vollständig zu sein scheinen. Es ist vor allem noch der Luxemburger Yves Mersch, der recht regelmäßig solche Bank-Veranstaltungen mit seinem Auftritt adelt, zletzt im Juli bei der DZ-Bank, im Juni bei Morgan Stanley und im Mai bei der Swedbank. Mal sehen, ob das jetzt weniger wird oder aufhört.

Das große Loch der Richtlinien ist in einer Fußnote versteckt. Dort heißt es:  Diese Richtlinien gelten nicht für … Aufsichtsdialoge mit beaufsichtigten Institutionen.

Man wüsste schon gerne, welche der neuen Kommunikationsrichtlinien da nicht gelten sollen. Die weitaus meisten sind offenkundig für Aufsichtsgespräche nicht relevant, sodass die Fußnote nicht nötig gewesen wäre. Übrig bleibt eigentlich nur die folgende Richtlinie:

  • refrain from offering to any institution, company or person who could derive profit from such information personal views about the state of the economy or the financial sector relevant to the future stance of monetary policy that have not already been expressed publicly”

Wenn diese Richtlinie für Aufsichtsgespräche nicht gelten soll, so bedeutet das wohl: ein Direktoriumsmitglied der EZB darf in einem Aufsichtsgespräch mit der Führung einer Bank ungeniert persönliche Ansichten über den Zustand der Wirtschaft oder des Finanzsektors kundtun, die relevant für die künftige Geldpolitik sein könnten, selbst wenn der Empfänger dieser Botschaften daraus finanzielles Kapital schlagen kann.

Das die EZB-ler das tun könnten, ist nicht etwa ein abwegiger Gedanke. Es ist vielmehr genau das, was eine von Bankern durchsetzte Arbeitsgruppe der Großbankenlobby G30 sich ausdrücklich von der EZB wünscht. EZB-Chef Mario Draghi ist Mitglied der G30.

„Der Aufsicht ist es wichtig, dass Finanzinstitute erfolgreich sind, denn das ist die beste Versicherung dafür, dass sie sicher und gesund sind“,

heißt es in dem G30-Bericht „A New Paradigm: Financial Institutions Boards and Supervisors“ Diese Gewinne sollen die Aufseher aktiv sichern helfen, wenn es nach der Gruppe der 30 geht,  indem sie „ihre einzigartige Perspektive“ aus ihrer Erfahrung mit Konkurrenzvergleichen und mit Finanzmarktrends einbringen, und die beaufsichtigten  Finanzinstitute auf etwaige Schwächen ihrer Strategien oder ihres Geschäftsmodells hinzuweisen.Sie sollen also genau das machen, was die Richtlinien den Direktoriumsmitgliedern der EZB verbieten würden, wenn Aufsichtsgespräche nicht ausdrücklich ausgenommen würden: sie sollen die beaufsichtigten Großbanken mit Insiderinformationen füttern, damit sie mehr Geld verdienen und damit das Finanzsystem sicherer machen.

Die Diskussion um die Mitgliedschaft Draghis in der G30 klären die Richtlinien auch nicht in die eine oder andere Richtung. Die oben zitierte Richtlinie verbietet, dass Draghi seinen privatwirtschaftlichen G30-Kollegen, die jede Info über die künftige Geldpolitik in großem Stil zu Geld machen können, „persönliche Einschätzungen über den Zustand der Wirtschaft oder der Finanzbranche“ mitteilt, die nicht vorher schon veröffentlicht wurden. Der Zweck der G30 besteht aber gerade darin – hinter geschlossenen Türen – über solche Dinge zu reden. Wenn Draghi sich tatsächlich darauf beschränken würde, in solchen Gesprächen nur vorher veröffentlichte Kommuniqués der EZB oder alte Redetexte wiederzukäuen, wäre er in der Gruppe schnell ziemlich deplatziert. Aber die EZB kann natürlich weiter behaupten, er agiere so. Die Richtlinien schweigen sich einfach aus über die Frage, ob ein Direktoriumsmitglied in so einer Gruppe mitmachen und wie es sich gegebenenfalls dabei verhalten sollte.

Eine weiter Richtlinie wirkt einschlägig, auch wenn die Einfügung des Wortes „bilateral“ dafür sorgt, dass sie für die G30-Treffen formal nicht gilt:

“Second, when considering invitations to speak at non-public events or to accept bilateral meetings, e.g. with bankers, industry representatives, or with special interest and advocacy groups, the members of the Executive Board will ensure that no financial market-sensitive information is divulged. As a matter of principle and where practical, an ECB staff member should be present at bilateral meetings.”

Bei (bilateralen) Treffen mit Bankern hinter geschlossenen Türen soll das Direktoriumsmitglied also sicherstellen, dass er keine finanzmarktsensible Information gibt. Das ist schwer, wenn Draghi in der G30 mit den Bankern über den Zustand der Finanzmärkte diskutiert, und darüber, was man eventuell tun sollte, um diesen zu verbessern. Wenn sich Draghi nur mit einem einzigen Banker hinter geschlossenen Türen trifft, soll wenn möglich ein EZB-Stabsmitglied als Aufpasser dabei sein. Wenn es mehrere Banker sind, mit denen er hinter geschlossenen Türen redet, wie bei den G30, dann ist das nicht bilateral und es braucht anscheinend keinen Aufpasser und anscheinend auch kein Verbot, Insiderwissen preis zu geben. Das ergibt keinen Sinn.  

Richtlinien, die nicht einmal bereits aufgetauchte und diskutierte Problemfälle klären helfen, sind ziemlich nutzlos. Am 8. Oktober wurde Draghi noch als Mitglied der G30 geführt, woraus man schließen kann, dass er sich von den neuen Richtlinien nicht daran gehindert fühlt, diese Mitgliedschaft weiter auszuüben und hinter geschlossenen Türen mit internationalen Geschäftsbankern über den Zustand der Wirtschaft und der Finanzmärkte zu parlieren.

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