Wie die Assekuranz EU-Gelder zur Altersforschung kontrolliert

Derzeit erscheinen in grosser Menge oekonomische Fachaufsaetze zur Frage, wie viel laenger die meisten Arbeitnehmer verschiedener Laender gesundheitlich in der Lage waeren, zu arbeiten. Einhellig lautet die Antwort: Einige Jahre laenger als bis 65 oder 67. Den Versicherungsunternehmen, vor allem, aber bei weitem nicht nur  Krankensversicherern, kommen solche Ergebnisse sehr zupass.  Zufall? Eher nicht, wie sich schnell zeigt, wenn man schaut, wer die Forschung steuert, die da mit vielen EU-Millionen betrieben wird.

„Die Deutsche Rentenversicherung trägt eine hohe Verantwortung gegenüber den Versicherten.“ Daraus ergebe sich für ihr Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) die Aufgabe, in den Debatten um die Alterssicherung für einen sachlich fundierten Diskurs zu sorgen. Das liest man auf der Website des von der Rentenvrsicherung getragenen FNA und: „Die Diskussionen dürfen nicht nur Institutionen überlassen bleiben, die eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen wie z. B. Banken oder private Versicherungen.“ Das FNA will demgegenüber die Entwicklung rein wissenschaftlich fundierter Argumente fördern. 

So weit die Theorie. In der Praxis förderte das FNA, wie auch die EU-Kommission die Arbeit der Mitarbeiter eines Instituts, das mit Geld der Versicherungswirtschaft gegründet und unterhalten wurde. Damit förderte die Versicherungswirtschaft ein Forschungsprogramm zu einem Thema, an dem sie ein großes Geschäftsinteresse hat. Die Rede ist vom Institut MEA des eng mit der Finanzbranche verbandelten Wissenschaftlers Axel Börsch-Supan. Als einer der „weitsichtigen Sponsoren“ habe der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) neben anderen das Potenzial des Themas demografischer Wandel erkannt, und „in einer innovativen Private Public Partnership die Gründung und das Wachstum des MEA ermöglicht.“ Das schreibt Börsch-Supan in einer Broschüre zum zehnjährigen Jubiläum des Instituts. Bei Gründung 2001 stand MEA für „Mannheim Center for the Economics of Aging“, 2011 zog Börsch-Supan mit dem Institut nach München um. Ab da stand „M“ für Munich. „Die Beibehaltung des Namenskürzels ist programmatisch, denn trotz des Umzugs nach München im Juli 2011 gehen die Forschungsarbeiten des MEA unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft kontinuierlich weiter“, betonte der Institutsdirektor damals. Waren Vertreter der Versicherungswirtschaft im Vorstand des Mannheimer MEA stark präsent, sind sie es nun im Kuratorium des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, wo MEA eine von zwei Abteilungen bildet.

Die Ethikregeln von Ökonomenverbänden wie dem Verein für Socialpolitik (VfS) verlangen, „Sachverhalte zu benennen, die auch nur potenziell zu Interessenkonflikten oder Befangenheit des Autors der Autorin führen könnten“.

Auf Anfrage, warum er in seinen Veröffentlichungen nicht auf die Rolle der Versicherungswirtschaft im MEA hinweise, betont Börsch-Supan, das Munich Center for the Economics of Aging (MEA) werde von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) finanziert und beziehe keine Gelder aus der Wirtschaft. Das Kuratorium setze sich aus Vertretern von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammen, wie in der Satzung der MPG vorgesehen. Das vom GDV mitfinanzierte Mannheim Research Institute for the Economics of Aging (MEA) an der Universität Mannheim sei geschlossen worden.

Auch Hendrik Jürges, früher Mitarbeiter am MEA, heute Inhaber der Barmenia Stiftungsprofessur für Gesundheitsökonomie in Wuppertal sieht keinen Grund, die Beziehung zu dem Krankenversicherer offenzulegen, denn der Geldgeber habe sich verpflichtet, keinen Einfluss auf Forschung und Lehre zu nehmen. Ein Mitglied er Ethikkommission des VfS, Gerhard Clemenz, von der Universität Wien, wollte zum konkreten Fall keine Stellung nehmen. Er werde die Anfrage aber zum Anlass nehmen, in der Ethikkommission die Offenlegungserfordernisse bei Stiftungsprofessuren zu diskutieren.

Kodifizierte Ethikregeln gab es noch nicht, als das MEA Mannheim mit Geld der Versicherungswirtschaft die Befragungs-Datenbanken und das Forschungsprogramm aufsetzte, an dem das Münchener MEA heute mit öffentlichem Geld weiterarbeitet. Die EU-Kommission antwortete auf die Frage, ob es nicht problematisch sei, Millionen in ein Forschungsprogramm zu stecken, dessen Konzeption maßgeblich von einem Institut mit derart engen Beziehungen zur Versicherungswirtschaft bestimmt werde, von einer Mitfinanzierung des Instituts durch die Versicherungswirtschaft bis 2011 sei der Kommission nichts bekannt. Das FNA erklärte, für die Entscheidung über die Förderung eines Forschungsprojekts sei allein der Inhalt des Forschungsantrags maßgebend. Es seien mehrfach Anträge von Wissenschaftlern eingegangen, die beim MEA beschäftigt sind oder waren. Für die Annahme oder Ablehnung sei das ohne Belang.

Auch die Fachöffentlichkeit bekam davon wenig mit. So steht in einem Aufsatz, in dem Börsch-Supan und Jürges 2005 die Methodik des EU-geförderten SHARE-Programms erläutern, kein Hinweis auf Geldgeber und Vorstände des MEA. SHARE steht für Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe, also Umfrage zu Gesundheit, Alter und Rente in Europa. Börsch-Supan war und ist Koordinator des Projekts. Die Daten werden von den Forschern des MEA und vielen anderen für ihre Untersuchungen genutzt. Ohne die Förderung durch den GDV und andere wäre es nicht möglich gewesen, dieses Großprojekt zu übernehmen, erklärte Börsch-Supan in der Jubiläumsbroschüre.

In einer aktuellen Untersuchung auf Basis von SHARE stellen Börsch-Supan und Jürges fest: „Zwei Drittel der Bevölkerung wären in der Lage, zu arbeiten, bis sie 70 werden, wenn sie es wollten.“ Für Versicherer wie die Barmenia, bedeutet eine längere Lebensarbeitszeit, dass sie höhere Beiträge einnehmen.

Börsch-Supans Empfehlungen sind oft kompatibel mit den Interessen der Versicherer. Er ist Verfechter des Übergangs zur kapitalgedeckten Rentenversicherung. Ein am MEA entwickeltes Simulationsmodell des Altersvorsorgesystems habe „uns geholfen, die Mär zu widerlegen, dass ein Übergang zu mehr Kapitaldeckung wegen des Übergangsproblems unmöglich sei“, schreibt er in der Jubiläumsbroschüre. Börsch-Supan war Mitglied der Rürup-Kommission, auf die der Nachhaltigkeitsfaktor zum Bremsen von Rentenerhöhungen und die Rente mit 67 zurückgehen. Seit Februar 2015 ist er Vize-Aufsichtsratschef der Pioneer Investments Kapitalanlagegesellschaft. Zur Frage, ob das nicht offengelegt werden müsste, antwortet Börsch-Supan: „Als ‚Independent Director‘ ist es meine Aufgabe, darüber zu wachen, dass die Interessen der Geldanleger (also der Arbeitnehmer) in Pensionsfonds der betrieblichen Altersvorsorge gewahrt sind.“ 

Die Versicherungswirtschaft war nicht nur in Deutschland so weitblickend, sich Einfluss auf die Forschung zum Thema Alter und Rente zu sichern. In den Niederlanden gibt es NETSPAR, das Netzwerk für Studien zu Pensionen, Alter und Rente, das mit SHARE-Daten forscht. Zum Stiftungsvorstand gehören einige Vertreter von Versicherern und Assetmanagern.

Die britischen Forscher Carl Emmerson und Gemma Tetlow bringen in ihrem SHARE-Papier immerhin den Hinweis auf eine Offenlegung an. Wer dem Hinweis folgt und auf ihre Website geht, kann lesen, dass Versicherer und Anlagegesellschaften die beiden verschiedentlich gesponsert haben.

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