Brief aus Athen: Wo sind die Schlangen an den Geldautomaten?

Von Markus Barth, Athen. Ich hab‘ heute morgen ein paar Bankgeschäfte zu erledigen. Die „Platia“ von Nea Smirni , einem Vorort Athens der nach der sogenannten „kleinasiatischen Katastrophe“ in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den aus dem heutigen Iszmir vertriebene kleinasiatischen Griechen begründet wurde, bietet sich dafür an. Alle Banken sind durch Filialen hier vertreten. Mal sehen wie die Stimmung ist. An den Zeitungskiosken sammeln sich die Passanten. Griechische Zeitungen werden am Kiosk verkauft und haben knackige Schlagzeilen ohne Boulevard-Zeitungen wie Bild oder Sun zu sein. „Nächliche Belagerung von EZB und Berlin“ titelt die Zeitung Ethnos, „Frontales Aufeinanderprallen mit Berlin“ die konservative Kathimerini, „Bombe von Draghi“ die rechte Elevtheros Typos.“Rendevouz an der Berliner Mauer“ ist der Titel der Syriza-freundlichen Efimerida ton syndakton. Am Kiosk mit der internationalen Presse ist der Spiegel mit“Geisterfahrer Tsipras“ ausverkauft. Die Satire-Zeitung To Pontiki sieht
Tsipras vor seiner „Reifeprüfung“ bei Frau Robinson https://www.topontiki.gr/
Auf der Bank ein eher unerwartetes Bild: Die Athmosphaere ist sehr ruhig. Schlangen an den Schaltern gibt es, aber die sind alltäglich seit die Troika massive Personaleinsparungen auch im Bankensektor durchgesetzt hat. Die kleineren Banken wurden zudem mit den vier grossen fusioniert was zu den erwünschten Synergieeffekten (=Schliessung zahlreicher Bankfilialen) geführt hatte.Im Gegensatz zu anderen Sektoren gab es im Bankensektor keine Massenentlassungen. Aber mit dem Geld der Rekapitalisierung wurden großzügige Entschaedigungs- Angebote an ältere Mitarbeiter gemacht freiwillig früher in Rente zu gehen mit dem schönen Nebeneffekt einer zusätzlichen Belastung der ohnehin leeren Rentenkassen.
An den ABankautomaten ist nichts los, auch nicht an denen der andern Banken rund um die Platia. Der in vielen deutschen Medien beschworene Ansturm auf die Bankkonten ist bisher nicht ersichtlich.Im Kafenio lebhafte Diskussionen. „Ein harter Hund der Schäuble …mal sehen wie sich Varoufakis schlägt…. Na immerhin mal jemand der sein Maul aufmacht… Schlimmer kann,s eh nicht mehr kommen….Eine alte Dame berichtet mit Tränen in den Augen dass man ihr nach dem Tod ihres Mannes die gemeinsam Rente von 600 Euro auf 300 Euro halbiert habe. Im Fernseher läuft die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments mit der Vereidigung der Parlamentarier. 134 der 300 Abgeordneten sind neu. Krawatten sind selten. Tsipras ist zurück aus Paris und redet: „Wir erpressen nicht aber wir lassen uns auch nicht erpressen.“ Den Zuschauern im Kafenio gefällt es.
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