Die Wahl der richtigen Verschwörungstheorie ist Vertrauenssache: Diskussion um Die Anstalt und die NachDenkSeiten

8. 06. 2020 | Der Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger empfahl auf Twitter die jüngste Sendung von Die Anstalt. Aus meiner kritischen Bemerkung dazu entspann sich eine Diskussion, an der sich auch Dietrich Krauß, der dritte Mann der Anstalt im Hintergrund, beteiligte. Es stellte sich heraus, dass wir uneins sind, ob die  NachDenkSeiten und andere zu Recht als Verbreiter von Verschwörungstheorien abqualifiziert werden.

Eine Beschreibung und Rezension der Anstaltssendung will ich hier nicht bieten, da diese unweigerlich der folgenden Diskussion eine mir genehme Einordnung geben würde. Auf der Webseite des ZDF kann man sie sich anschauen.

Uwe Krüger postete:

„Die Wahl der richtigen Verschwörungstheorie ist Vertrauenssache.“ #DieAnstalt über #Corona-Skepsis – intelligent, selbstironisch und trotzdem mit Bill-#Gates-kritischer Tafelnummer

Ich antwortete:

War ich froh, dass mir die Anstalt verbindlich gesagt hat, wo genau die Grenze der Kritik am Tun von Bill Gates liegt. „Wenn ihr Correctiv nicht glaubt, glaubt uns, wir sind anerkannte Systemkritik-Experten.“ War diese Sendung wirklich in Ordnung, Herr Krüger?

Dietrich Krauß erwiderte:

Wo erhebt denn die Anstalt den Anspruch umfassend und verbindlich zu definieren wie Bill Gates zu kritisieren ist? Die vollständige Analyse seiner Einflussnahme passt wohl kaum in eine Nummer.

Norbert Häring:

Das nicht, aber man hätte schon erwartet, dass in einer Sendung zu Verschwörungstheoretikern wenigstens problematisiert wird, was für ein diffamatorischer Kampfbegriff des Establishments gegen kritische Stimmen das geworden ist, z.B. die Nachdenkseiten, stattdessen wurde der Begriff als unproblematisch übernommen und auf vielfache Weise verstärkt und der von der Anstalt abgegrenzten, noch zulässigen Kritik gegenübergestellt, sodass implizit aber sehr deutlich klar wird, Kommerz und Lobbyismus darf man kritisieren, jenseits davon, z.B. bei ID2020, Event 201 und Lock Step wird man zum Aluhut, über dem sogar die Anstalt gemeinsam mit den Mächtigen nach Herzenslust ihren Hohn ausschütten werden, wenn nicht Correctiv, bei denen sich die Sendung wohl teilweise bedient hat, es schaffen zu zensieren, weil der oder die Betreffende auf die führenden sozialen Medien angewiesen ist, oder ein Buch im Selbstverlag rausbringen möchte, was Amazon aber nicht mehr verlegt, wenn bestimmt Wörter in der Beschreibung vorkommen. Und diese um sich greifende Zensur abweichender Meinungen hat die Anstalt mit dieser Sendung ideologisch unterfüttert und indirekt legitimiert. Nicht gut aus meiner Sicht.

Uwe Krüger:

Ja, ich finde die Sendung absolut in Ordnung. Es ist zwar richtig, dass der (Kampf-)Begriff Verschwörungstheorie nicht explizit problematisiert wurde. Aber die Sendung richtete sich m.E. gegen Verschwörungsideologien und nicht gegen rational begründete, empirisch korrekturfähige Verschwörungs-Hypothesen. Ich staune auch, dass Sie die Selbstironie bei Klaus von Wagner nicht wahrgenommen haben. Ich habe keine abschließende, „verbindliche“ Belehrung wahrgenommen, sondern Diskurs mit offengelassenen Enden. Die Grenzen seiner Argumentation hat er mehrmals markiert.

Norbert Häring:

Wer sagt denn, dass ich die Selbstironie nicht wahrgenommen habe. War gut gemacht, lustig und ohne Konsequenzen, außer der, dass man sich zur Verteidigung darauf berufen kann. Zugespitzt hat die Sendung ausgesagt: Kritiker (jenseits der von uns definiert zulässigen Kritik, sind hirnamputierte, wichtigtuerische Aluhut-Träger. Das wurde garniert mit der Selbstironie, dass man bei der Anstalt manchmal auch nur im Internet „googelt“. Kann man ausgewogen nennen, wenn man will. Es wird davon aber nicht ausgewogen. Und Ioannidis, Homburg etc. wurden zwar sachlich kritisiert. Aber wollen Sie bestreiten, dass sie durch Kontext durchgängig mit den Aluhüten in enge Verbindung gebracht wurden. Fragen Sie sich bitte ergebnisoffen, ob es nach dieser Sendung für Menschen aus dem politischen Anstaltsmillieu leichter oder schwieriger geworden ist, Systemkritik zu äußern, die von interessierter Seite als Verschwörungstheorie verunglimpft werden könnte.

Uwe Krüger:

Verstehe ich Sie richtig, dass die Anstalt-Macher, wenn sie eine Mainstream-Position für vernünftig halten, diese nicht vertreten sollten, damit jene ihrer Anhänger, die Anti-Mainstream-Positionen vertreten, sich nicht so alleine fühlen?

Norbert Häring:

Nein, da verstehen Sie mich nicht richtig. Ich wünsche mir vielmehr, dass sie darauf verzichten, Begriffe und Haltungen ideologisch zu unterfüttern und künstlerisch zu legitimieren, die intensiv und noch zunehmend genutzt werden, um Kritik zu diffamieren und zu zensieren.

Uwe Krüger:
mmh, danke. Ich verstehe und teile Ihre Abneigung gegen das Label „VT“. Aber ein Verzicht auf den Begriff reicht Ihnen ja nicht, es geht um die ganze Haltung, die ideologisch sei – was ich nicht teile. Gern würde ich eine längere Kritik der Sendung von Ihnen auf Ihrem Blog lesen.

Dietrich Krauß:

Die Anstalt bzw. ihre Gastkünstler hat den Begriff nur für Hildmann und Co benutzt. Und eben nicht für Wissenschaftler wie Ioannidis. Die Ausweitung des Begriffs „Verschwörungstheoretiker“ kann man auch betreiben indem man ihn da assoziiert, wo er gar nicht genutzt wird, um dann wiederum diese unterstellte Verwendung zu kritisieren. Im Ergebnis wird dann wieder sehr ausgiebig über Labels diskutiert und nicht über Fakten. Ich haue auch mal eine These raus: Wodarg und Homburg muss man gar nicht als Verschwörungstheoretiker diffamieren, die diskreditieren sich von ganz allein: Der eine fabuliert davon, dass die Menschen weltweit nicht am Virus, sondern an Fehlbehandlungen sterben, die an „Völkermord“ grenzten. Der andere schreibt in Zeitungen, spricht auf Demos und behauptet gleichzeitig wir hätten 1933 – und alles wäre gleichgeschaltet. Die Debatte um einen von der Anstalt nie getätigten Verschwörungstheorie-Vorwurf lenkt auch schön davon ab, mit was für aberwitzigen Positionen man es hier zu tun hat.

Norbert Häring:

Die Sendung war voll von Aluhüten und Verschwörungstheorie. Und es ist nun mal leider so, dass rechte Antipathen als Rechtfertigung genutzt werden, um Zensur und Diffamierung gegen Kritiker von rechts UND links zu legitimieren. Da sollte man nicht mitmachen.

Dietrich Krauß:

Wo man auch nicht mitmachen sollte: Eine harte Kritik an unglaublichen Äußerungen und Positionen unterlassen, weil irgendein Hildmann nebenan als Verschwörungstheoretiker bezeichnet wird. Damit betreibt man genau die Diskursverweigerung, die man selbst beklagt.

Norbert Häring:

Das verlangt aber auch keiner. Wenn man Hildmann und co. kritisieren möchte, und sich der Instrumentalisierungsmöglichkeit bewusst ist, kann man ja sowohl verrückte Thesen, als auch deren Instrumentalisierung durch die Mächtigen zum Thema und lächerlich machen. Das geht schon.

Dietrich Krauß:

Nochmal- es geht hier um die aberwitzigen Positionen von Homburg und Wodarg – nicht nur um die von Hildmann und Co . Finden Sie die nicht kritikwürdig ? Ist diese künstliche Verschwörungstheorie-Debatte nicht nur eine Ablenkung, damit man sich nicht dazu verhalten muss?

Norbert Häring:

Lieber Herr Krauss, das ist Realitätsverweigerung. Eintrag Nachdenkseiten von Wikipedia: „Der Blog wurde anfangs als wichtiger Bestandteil einer Gegenöffentlichkeit gelobt, sieht sich in letzten Jahren jedoch vermehrt dem Vorwurf ausgesetzt, Verschwörungstheorien zu verbreiten.“

Antwort 1 Dietrich Krauß:

Nun ich finde man leistet einer Zuordnung – wie auf Wiki – selbst Vorschub, indem man sich konsequent weigert Homburg Wodarg oder auch Jebsen für ihre unglaublichen Äußerungen zu kritisieren. Ja, die Begriffverwendung wird meiner Meinung nach zu sehr ausgeweitet. Aber diejenigen, die sich als Verschwörungstheoretiker diffamiert sehen, verweigern eben auch oft um fast jeden Preis eine kritische Auseinandersetzung mit Personen und Portalen, die dieses Label nicht zu Unrecht tragen.

Norbert Häring zu 1.:

Reden sie mit dieser und der vorangegangenen Antwort nicht extremem Konformitätszwangs das Wort? Schon wer sich „weigert“ Abweichler, die von allen Seiten heftig kritisiert werden, ebenfalls öffentlich zu kritisieren, macht sich mit diesen gemein und mitschuldig, und ist dann selbst schuld, wenn er bei Wikipedia völlig quellenfrei als Verschwörungstheoretiker verunglimpft wird. Dabei scheut er vielleicht nur den toxischen Sumpf der Diskussion um Leute wie Homburg, Wodarg und Jebsen, in dem einem aus jedem Wort ein Strick werden kann.

Dietrich Krauß:

Hier haben wir wirklich einen grundlegenden Dissens: Ich finde die Kritik an kritikwürdigen Positionen – und wir reden hier von einem Prof der die Situation heute mit 1933 gleichsetzt und einem Doktor der nur um seine These von harmlosen Virus aufrechtzuerhalten behauptet Mediziner würden weltweit Falschbehandlungen durchführen, die an „Völkermord“ grenzten – diese Kritik speist sich bei der Anstalt aus der Sache und nicht aus einem äußeren Konformitätszwang. Diesen gefährlichen Unsinn als irgendwie doch richtigen weil ja vom Mainstream abweichende Position zu adeln bzw. nicht zu kritisieren – weil das ja auch der Mainstream macht – halte ich für grundfalsch. Die Abgrenzung vom Mainstream wird dann zum Selbstzweck. Sie geht einher mit einer unguten Immunisierung gegen Kritik, die ohne Inhaltliche Auseinandersetzung reflexhaft nur mehr als gesteuerte Kampagne als Umfallen oder als Verrat wahrgenommen wird. Damit macht man genau das, was man dem Mainstream vorwirft: Argumenten ausweichen und Kritik diffamieren (ergänzt 20 Uhr, N.H.).

Antwort 2: Uwe Krüger:

Das aber muss nicht an der Anstalt, sondern könnte an den NachDenkSeiten selbst liegen. Symptomatisch wohl der Ausstieg von Mitgründer Wolfgang Lieb 2015, erklärtermaßen wegen vermehrter Spekulations- und Diffamierungsfreude von Mitgründer Albrecht Müller:

Norbert Häring zu 2.:

Bin geschockt, Herr Krüger, von Ihnen die üble Querfront-Kampagne gegen ein lästiges linkskritisches Medium zustimmend herbeizitiert zu lesen. Dazu habe ich seinerzeit Einiges geschrieben,

Uwe Krüger:
Ich zitiere nicht die Storz-Studie, sondern Wolfgang Lieb, der seine Erfahrungen bei den Nachdenkseiten gemacht hat. Ordnen Sie Lieb als Querfront-Kampagnero ein?

Norbert Häring:

Aber sicher. Seine öffentliche Abrechnung war Kernelement einer breiteren Kampagne gegen die Nachdenkseiten mit Storz-Studie und FR-Breitseiten. Das war mehr als ein desillusionierter Einzelner.

Uwe Krüger:

ich sehe es alles andere als „sicher“ an, dass Wolfgang Lieb Teil einer gesteuerten Kampagne gegen NDS war. Man lese noch einmal seinen Abschiedstext. Ich habe ihn 2017 auf einer Tagung erlebt (vorhin verlinkt) und er hielt sich beim „Abrechnen“ sehr zurück.

ENDE

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