Das Spiegel-Märchen von der eingebildeten Altersarmut

23. 05. 2019 | „Angebliche Gerechtigkeitslücke“ und „Das Märchen von der Altersarmut“. So betitelt Der Spiegel, das Sturmgeschütz des deutschen Neoliberalismus einen Beitrag des ehemaligen Berliner Büroleiters Michael Sauga. Illustriert wird er mit betagten Segelyachturlaubern. Darin wird alles, was Altersarmut entgegenwirken soll als fehlgeleitete Umverteilung von den armen Jungen zu den reichen Alten verunglimpft.

Die Seniorengeneration ist so reich wie nie zuvor.

„Drei von vier Bundesbürgern, so zeigen Umfragen, sorgen sich um den Lebensstandard im Alter“, berichtet der Kolumnist. Die Politik mache sich in populistischer Manier diese Sorge zum Anliegen. Dabei sorgten sich die Menschen völlig zu Unrecht, weiß Sauga. Sie sind nämlich reich:

Die Seniorengeneration ist so reich wie nie zuvor. Nach den jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes verfügen die über 70-Jährigen mit knapp 130.000 Euro über das höchste mittlere Vermögen aller Altersgruppen. (…) Reichtum, so geht aus dem Zahlenwerk hervor, ist in Deutschland – mehr denn je – nicht nur eine Klassen-, sondern auch eine Altersfrage.

Herr Sauga ist gelernter Volkswirt. Man darf daher annehmen, dass er den Unterschied zwischen Median und Durchschnitt kennt und bewusst die passende Kennzahl aussucht. Welche es ist, muss man sich erschließen, denn „mittleres“ Vermögen kann beides sein. Es ist erkennbar der Durchschnitt, denn der andere mittlere Bürger, im Sinne von Median, dessen Vermögen genau in der Mitte der Verteilung liegt, hat kein nennenswertes Netto-Vermögen. Das Vermögen ist nämlich sehr ungleich verteilt und weit oben konzentriert.

Vermögen wird in aller Regel nicht verbraucht, sondern angesammelt und vermehrt. Es ist daher selbstverständlich, dass die reichen Alten noch reicher sind als die reichen Jungen. Was heißt das für die Rente und dafür, wie die vermögenslose Mehrheit der Alten sich gegenüber der vermögenslosen Mehrheit der Jungen stellt? Nichts. Rein gar nichts.

Als Hilfsargument hat Herr Sauge auch noch Zahlen zu bieten, wonach Armut im Alter auch kein großes, sondern nur ein angebliches Problem ist. So habe die Armutsgefährdungsquote bei Senioren weniger zugenommen als in anderen Altersgruppen, bei den über 75-jährigen sei sie sogar gesunken. Als armutsgefährdet gilt für die Statistiker, wer in einem Haushalt mit weniger als 60% des durchschnittlichen, bedarfsgewichteten Haushaltseinkommen lebt.

Für die geringe Zunahme der Altersarmut gibt es jedoch eine einfache Erklärung. Es sind die ehemaligen Beamten, die Pensionäre, die dafür sorgen. Sie sind nämlich wegen ihrer privilegierten Versorgung praktisch nicht von Altersarmut betroffen. Da früher sehr viel verbeamtet wurde – auch die ehemaligen Angestellten von Telekom und Post sind Pensionäre – machen Pensionäre noch einen hohen Anteil der Ruehständler aus. Er wird massiv abnehmen.

Staatstragende Verschleierung des Problems

Das Statistische Bundesamt weist die Armutsgefährdungsquoten nur für Rentner und Pensionäre gemeinsam aus, sehr zum Gefallen der Regierung, darf man annehmen. Denn so wird ein sehr viel schöneres Bild der Situation der Ruheständler gezeigt, als bei getrennter Ausweisung der Rentner.

Die Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker Gerd Bosbach, Jens-Jürgen Korff haben sich mit Hilfe des rentenpolitischen Sprechers der Linken, Matthias Birkwald, kostenpflichtig (!) vom Statistischen Bundesamt eine getrennte Ausweisung nach Rentnern und Pensionären geben lassen. Sie zeigt:

Während bei den über 65-jährigen die Armutsgefährdungsquote von 2007 bis 2017 um 3,3 Prozentpunkte auf 14,6 Prozent angestiegen ist, und damit noch deutlich unterdurchschnittlich war, war der Anstieg bei den Rentnern (ohne Pensionäre) viel stärker. Hier stieg die Armutsgefährdungsquote um 5,5 Prozentpunkte auf 19,5 Prozent. Das ist fast drei Punkte höher als der Durchschnitt aller Altersgruppen.

Und dabei fangen die beschlossenen Einschnitte bei den Renten erst an, sich auszuwirken. Es ist absehbar, dass bald ein Viertel der Senioren armutsgefährdet sein wird. Die nichtreiche Bevölkerungsmehrheit der Deutschen hat also entgegen der märchenhaften Spiegel-Welt allen Grund, sich um ihren Lebensstandard im Alter Sorgen zu machen, auch wenn ihre Altersgruppe dank der Quandts und Albrechts im Durchschnitt reich ist. Und die Regierung hat allen Grund, der mutwillig fast zerstörten gesetzliche Rente wieder neues Leben einzuhauchen.

Auch wenn die Arbeitgeberlobbyisten von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und vom Spiegel nicht müde werden, einen Interessengegensatz von Alt und Jung bei der Rente herbeizuschreiben: Auch die Mehrheit der Jungen profitiert davon, wenn ein funktionsfähiges gesetzliches Rentensystem sie im Alter absichert.

Siehe auch: Bericht in der Süddeutschen Zeitung über die Sonderauswertung

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