Wenn Hörer sich über Meinungsvielfalt ihres Lokalradios beschweren

23. 4. 2020 | Henry Mattheß. Weil ein kleiner privater Radiosender in Bayern Mediziner und Wissenschaftler interviewt, die sich kritisch zur Regierungslinie in Sachen Virus-Bekämpfung äußern, bekommt er einen Mahnbrief von der Aufsicht. Hörer hätten sich über dieses zu Viel an Meinungsvielfalt beschwert.

Der nichtkommerzielle Lokalsender Radio München wurde in der ersten Lockdown-Woche ab 23. März mit einer Interviewreihe weit über München hinaus bekannt und zu einer wichtigen Informationsquelle zur Bundespolitik. Als einer der ersten und wenigen Sender interviewte er zu diesem Zeitpunkt mehrere Kritiker der staatlichen Lockdown-Strategie. Im Gegensatz dazu wurden von den überregionalen öffentlich-rechtlichen und privaten Qualitätsmedien kritische Stimmen unbeirrt ignoriert oder diffamiert.

Die Interviews von Radio München lösten bei einigen Hörern jedoch offenbar Irritationen aus, sodass sie anfragten und kritisierten, warum der Sender Wissenschaftlern ein Forum biete, die doch in der Presse mehrfach widerlegt seien. Die einseitige Berichterstattung überregionaler sogenannter Qualitätsmedien bewirkte also, dass Hörer sich über eine zu weitgehende Meinungsvielfalt bei ihrem Lokalradio beschwerten, was durchaus als Groteske bezeichnet werden kann.

Unter Berufung auf „mehrere Hörerbeschwerden“ wurde die Bayrischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) aktiv. Diese öffentlich-rechtliche Anstalt beaufsichtigt die privaten Rundfunkprogramme in Bayern, wozu auch die Prüfung von Programmbeschwerden zählt. Dem freien Radiosender wurde beschieden:

„Die Landeszentrale kommt zu dem Ergebnis, dass das Interview zwar keine Verletzung der Programmgrundsätze nach § 5 BayMG und 41 RStV darstellt; es aber den notwendigen Umgang mit der journalistischen Sorgfaltspflicht stark vermissen lässt.

Begründet wird diese Einschätzung zum einen mit der Auswahl der Talkgäste der „Corona-Reihe“, die als kritisch gegenüber den aktuellen Entscheidungen der Bunderegierung [sic!] aufgefasst werden kann. Zwar ist die Auswahl der Interviewgeber eine eigenverantwortliche redaktionelle Entscheidung, allerdings ist gerade bei medizinischen Themen die journalistische Sorgfaltspflicht besonders zu beachten. […]

So sollten wissenschaftliche Aussagen weder unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen bei den Hörerinnen und Hörern wecken, noch Forschungsergebnisse ohne sorgfältige Prüfung besonders herausgestellt werden. Deshalb ist zum anderen auch die Interviewführung zu bemängeln, die weder kritische Nachfragen enthält, noch die Aussagen des Gastes deutlich in den aktuellen wissenschaftlichen Kontext einordnet.

Ob die Interviewerin es tatsächlich an journalistischer Sorgfaltspflicht bzgl. der im letzten Abschnitt genannten Kriterien „stark vermissen lässt“, kann am bemängelten Interview überprüft werden. Nach ihrer Einschätzung ist die Kritik der Landeszentrale ungerechtfertigt. Die vielleicht einseitig erscheinende Auswahl der Interviewten erklärt die Redakteurin gegenüber der Landeszentrale damit, dass die ebenfalls angefragten Vertreter der Gegenmeinungen ihr aus Zeitmangel keine Interviews gegeben hätten.

Eine denkbare Zielrichtung des Schreibens der BLM deutet sich besonders an dessen Ende an, insbesondere wenn es im Kontext der zeitgleichen Einführung eines verschärften Lockdowns durch den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder gelesen wird:

„Die Landeszentrale sieht von einer förmlichen Beanstandung ab, aber weist abschließend jedoch ausdrücklich auf eine nachhaltige Beachtung der Programmgrundsätze hin, insbesondere der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht, damit derartige problematische Sendungen zukünftig ausbleiben.

Der letzte Halbsatz liest sich eher wie eine unverhohlene Aufforderung zur Selbstzensur und weniger als Ergebnis einer neutralen Prüfung.

Dennoch fragte die Programmverantwortliche höflich beim Absender des Schreibens nach, worin die Mängel bei der journalistischen Sorgfalt gelegen hätten, und welche kritischen Nachfragen gefehlt hätten, damit Radio München künftig die Einhaltung der Programmgrundsätze besser gewährleisten könne. Dieses Ansinnen wies die Aufsicht  entschieden zurück, denn selbstverständlich obliege die Auswahl der Interviewgäste der Programmleitung, der es natürlich frei stehe, auch regierungskritische Gesprächspartner zum Thema Corona zu befragen – auf Basis von Ausgewogenheit und Unabhängigkeit. Auch die redaktionelle Gestaltung von Interviews falle unter ihre journalistische Kompetenz und Verantwortung, weshalb man sich zu konkreten Inhalten nicht äußern wolle. Aber deutlich auf die Einhaltung der Programmgrundsätze hinweisen werde man doch wohl dürfen.

Radio München ist eine freies Lokalradio mit Schwerpunkt Kultur, dessen RedakteurInnen ehrenamtlich und nebenberuflich seit 2012 ein Programm für die Stadtgemeinschaft gestalten:

„Als Mitglied der Gemeinwohl-Ökonomie will Radio München seinen Beitrag zu einem positiven und nachhaltigen Miteinander leisten. Ethisch korrektes Verhalten, Wirtschaften und Transparenz sind für uns in allen Unternehmensbereichen wichtig.

Dass eine Einlösung dieser Ansprüche eine gelebte Meinungsvielfalt voraussetzt, praktizieren die ehrenamtlichen und unabhängigen RadiomacherInnen auch in der aktuellen Virusdiskussion – ganz im Gegensatz zum Großteil der Berufsjournalisten. Ein Zufall?

Schreiben Bayrische Landeszentrale für neue Medien an Radio München

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