Wozu die Fixierung auf die 7-Tage-Inzidenz führt, am Beispiel einer ntv-Jubelmeldung über den Lockdown in Berchtesgaden

11. 11. 2020 | Unter der Überschrift „Entspannung in Berchtesgaden: Früher Lockdown half in Corona-Hotspot“ berichtet ntv über den Rückgang der 7-Tage-Indzidenz im frühen Lockdown-Kreis. Der Artikel vergleicht nur Inzidenzwerte von Kreisen, als ob es darauf letztlich ankommt. Ein Blick auf die Anzahl der Intensivpatienten legt andere Schlüsse nahe.

In dem Artikel heißt es:

„Der vorgezogene Lockdown im Berchtesgadener Land macht sich nach drei Wochen in den Infektionszahlen bemerkbar. Die Sieben-Tages-Inzidenz ist dort nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf 141,6 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner gefallen.

Im Rest des Artikels wird das mit vielen Inzidenzwerten und Entwicklungen in anderen Kreisen und im Bundesgebiet verglichen, als ob es darauf letztlich ankäme.

Letztlich kommt es aber darauf an, die Anzahl der ernsthaft kranken Menschen klein zu halten. Im Kreis Berchtesgadener Land sind sechs Menschen im Krankenhaus in Intensivpflege. Das sind einer auf knapp 18.000 Einwohner. Im Laufe der letzten Wochen waren es unter Schwankungen zwischen zwei und sechs Intensivpatienten mit Covid. Für vergleichbare Werte wie im Bundesgebiet dürften es höchstens vier sein. Kein großer Unterschied.

Im Zuge meiner Befassung mit dem Landkreis habe ich mir zum Vergleich am 27.10. ein paar andere Landkreise angeschaut, die außer Rottal-Inn deutlich niedrigere Inzidenzwerte hatten.

Was ist los im Berchtesgadener Land? Update 6.11. und vorläufige Schlussbetrachtung

Berchtesgadener Land war damals bei einem Intensivpatienten zu 35.000 Einwohnern, das Bundesgebiet bei 1 zu 55.000.

„Der zweite Lockdown-Kreis, Rottal-Inn, ebenfalls ländlich mit wenigen Einwohnern, liegt mit einem je 40.000 Einwohner noch näher am Bundesschnitt. In Frankfurt am Main, wo ich wohne, zum Vergleich, ist die Relation mit einem Intensivpatienten auf 18.000 Einwohner mehr als doppelt so hoch, in der Nachbarstadt Offenbach mit einem auf 13.000 Einwohner dreimal so hoch wie im Lockdown-Kreis Rottal Inn. Im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge kommt ein Intensivpatient aus dem Kreis auf nur 4000 Einwohner.

Das lässt sich wiederholen. Der Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge kommt mit seinen 70 Covid-Intensivpatienten inzwischen sogar auf 1 zu 3.500 bei einer weiterhin eher unauffälligen Inzidenz von 186. Das sind vergleichbar fünfmal mehr Intensivpatienten als im Berchtesgadener Land. Hier wurde kein vorgezogener Lockdown für nötig befunden. In Frankfurt am Main und Offenbach hat sich die Relation von Intensivpatienten zu Bevölkerung ebenfalls leicht verschlechtert und ist mit 1 zu 15.000 und 1 zu 12.000 weiterhin schlechter als im Berchtesgadener Land. Auch hier wurde kein vorgezogener Lockdown für nötig befunden. die Inzidenzzahlen haben sich in beiden Städten deutlich auf Werte um 300 verschlechtert.

Fazit

Weder Berchtesgadener Land, noch Rottal-Inn waren nach vernünftigen Kriterien „Corona-Hotspots“. Steuerung der Maßnahmen anhand der 7-Tageinzidenz war und ist nicht zielführend. Der Verbindung zu dem, worauf es letztlich ankommt, ist nicht eng und verlässlich genug. In der Öffentlichkeit erwecken die ständigen und fast ausschließlichen Inzidenzwerte-Verkündungen einen völlig falschen Eindruck. Es geht dabei unter anderem unter, dass die Covid-Sterbefallzahlen weiterhin sehr viel geringer sind als im Frühjahr. Das soll nicht heißen, dass die Krankheit harmlos sei. Das ist sie nicht. Aber zu einer vernünftigen Berichterstattung gehören umfassende und aussagekräftige Informationen, nicht das alleinige Wiederkäuen und Vervielfältigen dessen, worauf die Regierung sich als vermeintlich einzig wichtiges Kriterium festgelegt hat.

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